Staatliche Bierbrauereien Ist der Staat der bessere Brauer?

Tannenzäpfle Quelle: imago images

Der Bierkonsum sinkt seit Jahren, doch Marken wie Tannenzäpfle, Hofbräu und Weihenstephan wachsen. Spielt es eine Rolle, dass sie nicht in Privat- sondern in Staatsbesitz sind?

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Taugt der Staat als Unternehmer? Über diese Frage haben Wirtschaftswissenschaftler Bücher geschrieben, haben Experten gestritten und gute und schlechte Beispiele abgewägt. Für die Mehrheit der hiesigen Familienunternehmer steht fest: Der Staat ist kein guter Unternehmer und sollte sich deshalb so weit es geht aus dem Geschäftsleben heraushalten. Knorr-Bremse-Chef und Lufthansa-Großaktionär Heinz Hermann Thiele etwa äußerte sich zuletzt wieder dahingehend. Elring-Klinger-Chef Stefan Wolf polterte kürzlich gar: „Es ist eine sozialistische Hoffnung, dass der Staat der bessere Unternehmer ist. Das ist schlichtweg nicht der Fall.“ Und selbst Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte zurückhaltend, er wisse, „dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist“.

Aber gilt das auch für Brauereien? Deutschland ist das Land der Bierbrauer und Europas größter Bierproduzent. Statistiker zählen hierzulande mehr als 1500 Brauereien. Darunter sind jedoch drei besondere Bierhersteller – sie befinden sich zu 100 Prozent in Staatsbesitz: die Badische Staatsbrauerei Rothaus AG mit der Pilsmarke „Tannenzäpfle“ sowie die beiden bayerischen Brauereien Weihenstephan und Hofbräu München. Gibt es Unterschiede zu nichtstaatlichen Brauereien? Und wie schneiden die drei ab im Vergleich mit privaten Brauereien?

Der Gilde geht es nicht besonders gut. Das hiesige Brauereigewerbe befindet sich seit Jahren im langsamen, aber stetigen Niedergang, denn die Deutschen trinken von Jahr zu Jahr weniger Bier. Der Pro-Kopf-Verbrauch sank von einst 145 Liter in den 80er Jahren auf zuletzt nur noch rund 100 Liter. Viele der großen Brauereien vermelden – bis auf wenige Ausnahmen – seit Jahren mit einer gewissen Zuverlässigkeit schlechte Nachrichten, berichten von seitwärtsbewegenden oder gar sinkenden Umsätzen. Und dann kam auch noch das Virus. Wegen der Corona-Pandemie mussten die allermeisten Gaststätten, Kneipen, Restaurants und Fußballstadien zwangsweise schließen, tausende Veranstaltungen wurden abgesagt – die Konsequenz: Im ersten Halbjahr 2020 sank der Bier-Absatz der Mitgliedsbrauereien des Deutschen Brauer-Bundes um 16 Prozent, wie der Verbund kürzlich vermeldete.

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Staatsbrauereien wachsen

Alle drei Staatsbrauereien aber haben in den vergangenen Jahren ihre Umsätze gesteigert. Die größte der drei ist Rothaus im Schwarzwald. Die „Tannenzäpfle“-Brauer konnten ihren Umsatz von 75,6 Millionen Euro (2016) auf 77,6 Millionen Euro (2018) vermehren. Nachzulesen ist das im Beteiligungsbericht des Landes Baden-Württemberg. Mönche gründeten die Brauerei 1791 in einem Kloster; auf einem 1000 Meter hohen Berg in Grafenhausen, nahe der Schweizer Grenze. Im Zuge der Säkularisation übernahm das Großherzogtum Baden die Brauerei. Heute untersteht sie dem baden-württembergischen Finanzministerium. Warum leistet sich das Bundesland noch immer eine Brauerei? Antwort des Ministeriums: Weil die Staatsbrauerei „in einer strukturschwachen Region des Landes angesiedelt“ ist und dort „mittelbar und unmittelbar dem Erhalt zahlreicher Arbeitsplätze“ diene. Mehr als 300 Angestellte arbeiten für Rothaus. Doch im Unterschied zu privat geführten Brauereien stehen bei Rothaus „eine höchstmögliche Dividendenausschüttung und damit Gewinnmaximierung (…) nicht im Vordergrund“, wie das Finanzministerium auf Anfrage schreibt. Ein Gewinn aber ist angefallen, den investierte Rothaus 2019 zum Beispiel in eine neue Abfüllanlage.

Die Rothaus-Brauerei wurde jahrzehntelang von Politikern oder Ex-Politikern geführt, so etwa vom früheren baden-württembergischen Innenminister Thomas Schäuble. Ihm folgte der Ex-Finanzminister Gerhard Stratthaus. Seit 2013 steht erstmals ein Manager an der Unternehmensspitze, der zwar keine Erfahrung mit Politik, sehr wohl aber mit Brauereiwesen vorweisen kann: Christian Rasch hatte lange bei Radeberger gearbeitet und drei Jahre lang das Stuttgarter Hofbräu geführt, bevor er bei Rothaus übernahm. Rasch ließ die Brauerei umbauen und eröffnete auf dem Gelände eine sogenannte Erlebniswelt. Den neun Personen umfassenden Rothaus-Aufsichtsrat dominieren allerdings weiterhin Politiker: Aufsichtsratschef ist Peter Hauk, Baden-Württembergs Verbraucherschutzminister; seine Stellvertreterin ist Gisela Splett, Staatssekretärin im baden-württembergischen Finanzministerium. Greift der Staat also weiterhin ein? Dazu schreibt das zuständige Finanzministerium: „Das Unternehmen gehört zwar zu 100 Prozent dem Land, allerdings entscheidet bei einer Aktiengesellschaft der Aufsichtsrat über Vorstandsangelegenheiten.“

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Zwei Ministerien für zwei bayerische Staatsbrauereien

Für die beiden bayerischen Staatsbrauereien sind wiederum zwei verschiedene Ministerien zuständig: Für die Staatsbrauerei Weihenstephan ist das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst verantwortlich, während das Staatliche Hofbräuhaus München dem bayerischen Finanz- und Heimatministerium untersteht. Diese Kompetenztrennung hat historische Gründe: Die Brauerei Weihenstephan ist heute Teil der Technischen Uni München (TUM). Sie dient der Universität „als Musterbetrieb zur Lehre und Forschung über Vorgänge und Einrichtungen des praktischen Brauereibetriebs“, teilt das bayerische Wissenschaftsministerium mit. Weihenstephan nennt sich „älteste Brauerei der Welt“: Im Jahr 1040 erwarb ein Abt des Benediktiner-Klosters Weihenstephan von der Stadt Freising das Brau- und Schankrecht. 1803 wechselte die Klosterbrauerei ins Königliche Staatsgut Schleißheim, 1930 ging die Brauschule in der TU München auf. In den vergangenen Jahren konnte die Weihenstephan-Brauerei ihre Umsätze von 38 Millionen Euro (im Jahr 2016) auf knapp 42 Millionen (2018) steigern. Der Jahresüberschuss betrug 2018 rund 1,6 Millionen Euro. Allerdings lag der Absatz im ersten Halbjahr 2019 um 7,9 Prozent unter dem des Vorjahreszeitraums.

Das Staatliche Hofbräuhaus München wiederum wurde 1589 gegründet, weil Herzog Wilhelm V. von Bayern nicht länger das teure Bockbier aus Niedersachsen importieren wollte; zunächst belieferte das Hofbräuhaus auch ausschließlich den Münchener Hof, das gemeine Volk durfte erst Jahre später Hofbräu trinken. 1852 ging das Hofbräuhaus in bayerischen Staatsbesitz über. Seit 1988 sitzt die Brauerei mit ihren 135 Angestellten im östlichen Stadtteil Riem. Auch das Staatliche Hofbräuhaus München konnte seinen Umsatz steigern: von 47 Millionen Euro (2016) auf 52 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Laut dem zuständigen bayerischen Finanzministerium sind die Hofbräu-Biere „ein wichtiger Imageträger für den Tourismus in Bayern sowie den bayerischen Biermarkt im In- und Ausland“.

Vorteil Staatsbrauerei

Im Gegensatz zu Baden-Württemberg vertraut der Staat Bayern seine beiden Brauereien offensichtlich schon länger externen, sprich: nichtpolitischen Führungskräften an. Seit 20 Jahren führt Josef Schrädler als Direktor die Staatsbrauerei Weihenstephan. Schrädler ist promovierter Betriebswirt und seit 2008 auch Honorarprofessor an der TU München. Vergangenes Jahr eröffnete er ein neues Logistikzentrum, es war nach eigenen Angaben die größte Investition in der Firmengeschichte. Und erst im Juni brachte Weihenstephan ein zweites Helles auf den Markt, als „Antwort auf den nationalen und internationalen Trend hin zu eher milderen Biersorten“, wie Schrädler sagte.

Ebenfalls seit 20 Jahren führt Michel Möller das Staatliche Hofbräuhaus. Der studierte Brauwissenschaftler entstammt einer Brauerei-Familie aus dem österreichischen Kärnten („Brauerei Hirt“). Möller setzt auf das Franchise-Geschäft mit der Marke Hofbräu. Er verkauft das gleichnamige Gastronomie-Konzept und lässt international Hofbräuhäuser bauen, etwa in Las Vegas, St. Louis und Chicago, in Schanghai, Dubai, Bangkok und Tokio. Das Hofbräuhaus, schreibt das bayerische Finanzministerium, erfülle somit „eine wichtige Aufgabe, die weit über den eigentlichen Betriebszweck der Brauerei hinausgeht“.

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Auf starke Geschäftsführer und Gesellschafter kommt es an

Die drei Staatsbrauereien scheinen also der allgemeinen Brauereikrise im Land zu trotzen. Aber wo liegen nun die Unterschiede zu nichtstaatlichen Brauereien? Eine Historie über mehrere Jahrhunderte haben schließlich sehr viele deutsche Brauereien. Rüdiger Ruoss war jahrzehntelang selbständiger Marketing- und Kommunikationsberater für Biermarken. In den 70er Jahren arbeitete er als Bier-Berater in den USA, unter anderem für die Spaten-Brauerei und Hofbräu: „In den USA hat man damals Hofbräu gegenüber Spaten bevorzugt, weil eine staatliche Brauerei etwas Gehobeneres war als eine private“, erinnert sich der 81-Jährige: „Darüber hinaus signalisieren die beiden Umlaute sehr deutlich die Herkunft Old Germany.“ Und die Badische Staatsbrauerei Rothaus genieße auch einen Bonus, den kein Werbefachmann planen könnte: „Tannenzäpfle ist eine Kultmarke“, sagt Ruoss. „Durch linke Schwaben, die nach Berlin ausgewandert sind, wurde dieses eigentlich regionale Bier weit über Schwaben hinaus populär.“

Aber grundsätzlich gebe es kaum Unterschiede zwischen Staats- und Privatbrauereien: „Es gibt keine großen Vorteile, gibt aber auch keine Nachteile.“ Private Brauereien profitierten häufig von einem starken Inhaber oder Geschäftsführer; so etwa Pia Kollmar bei der Brauerei Oettinger, Bernhard Schadeberg bei Krombacher oder Alexandra Schörghuber bei der Paulaner Brauerei. „Darauf kommt es an“, sagt Ruoss. „Wenn staatliche Brauereien aber klug ausgewählte Führungskräfte haben, haben sie diesbezüglich keinen Nachteil gegenüber privaten.“

Und wie sehen das die Mitarbeiter? Nachgefragt bei einem 22-jährigen gelernten Brauer und Mälzer, der seine Ausbildung bei einer mittelständischen Privatbrauerei absolvierte und heute bei einer Staatsbrauerei arbeitet. Er möchte seinen Namen nicht im Artikel lesen, spricht aber nur positiv: „Es gibt keine großen Unterschiede.“ Sicher, im sozialen Bereich sei er nun als Staatsangestellter recht sichergestellt, werde nach Tarif bezahlt. Viele kleinere Brauereien seien oftmals nicht tarifgebunden. Er bemerke den Staat aber nicht im Arbeitsalltag: Der vom Staat bestellte Chef führe das Unternehmen, wie anderswo auch. Insofern, sagt er, „kann der Staat ein guter Brauer sein“.



Nur Staatsbier in der Staatsgastronomie?

Ein Unterschied fällt Werber Ruoss dann aber doch noch ein: „Staatliche Brauereien genießen hier und da einen Vorteil, weil sie – zumindest in der Vergangenheit – einfacher an Bierlieferungsverträge in staatlichen Gastronomiebetrieben kamen. Das ist kein generelles Gebot, wird aber hier und da schon noch ausgespielt.“ Tatsächlich gab es 2001 die Idee des damaligen bayerischen Finanzminister Kurt Faltlhauser, an „staatseigenen Objekten“ nur noch Bier der Brauereien Weihenstephan und Hofbräu auszuschenken. Faltlhauser war zu jener Zeit auch Chef der Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen mit rund 60 Denkmalanlagen (darunter auch das Schloss Neuschwanstein). So kam es etwa zu dem Wechsel im Biergarten am Chinesischen Turm im Englischen Garten, statt Löwenbräu wird dort seit 2002 Hofbräu ausgeschenkt. Das sorgte damals für Aufregung, denn am Turm wurde seit 120 Jahren Löwenbräu ausgeschenkt. Einige Grünen-Politiker in Bayern forderten damals eine Privatisierung der beiden Staatsbrauereien, doch Faltlhauser argumentierte privatwirtschaftlich: Löwenbräu oder Paulaner würden nie daran denken, in eigenen Gebäuden fremdes Bier auszuschenken.


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Auch wenn die flächendeckende Staatsbier-Pflicht in den Gaststätten der bayerischen Schlösser und Gärten ausgeblieben ist – für Lothar Ebbertz, Hauptgeschäftsführer des bayerischen Brauerbunds, ist die grundsätzliche Idee nachvollziehbar: Für Unterhalt und Instandhaltung der Schlösser sei schließlich der Freistaat verantwortlich. „Da finde es ist nicht prinzipiell verwerflich, dass er die wenigen vorhanden Möglichkeiten, mit diesen Objekten Geld zu verdienen, auch nutzt – unter anderem eben mit dem Ausschank seines eigenen Bieres.“

Und noch ein Vorteil liegt auf der Hand: Wenn der Präsident des Deutschen Brauer-Bundes angesichts der Corona-Pandemie vor einer „Pleitewelle im nächsten Frühjahr“ warnt, „wie wir sie nie zuvor erlebt haben“ – dann dürften die drei Staatsbrauereien sich nicht angesprochen fühlen. Oder doch? „Auch die staatlichen Brauerei-Unternehmen müssen sich im wirklich harten Biermarkt behaupten, wie jede andere Brauerei auch“, sagt Lothar Ebbertz. „Sollten sie auf Dauer gravierenden Verlust schreiben, würde sicherlich auch der Freistaat Bayern die Sinnhaftigkeit hinterfragen.“

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