Steiff Vom Plüschtier-Hersteller zum Innenraumausstatter

Zur Geburt ein Teddy oder Strampler - das reicht Steiff nicht mehr. Das berühmte Unternehmen will nun auch die deutschen Wohnzimmer erobern. Kann der Sprung zum Deko-Label gelingen?

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Eisbär Arco: Weiß und kuschelig soll der bis zu 1,20 m lange Plüschbär nicht nur im Kinderzimmer einziehen, sondern auch auf der heimischen Wohnzimmer-Couch eine gute Figur machen. Quelle: Steiff

Arco ist weich und plüschig. Wer ihn sieht, will ihn sofort knuddeln - vorausgesetzt, er hat große Hände und lange Arme. Denn der Eisbär ist 1,20 Meter groß. Für ein Kinderbettchen ist er zu riesig, für die Wohnzimmercouch genau richtig. Davon ist zumindest Daniel Barth überzeugt. Der 47-Jährige ist seit Oktober 2013 Chef von Steiff, Deutschlands berühmtester Plüschtier-Marke. Und er hat sich einiges vorgenommen. Er möchte das Unternehmen verwandeln. Steiff soll mehr sein als ein Hersteller von Kuscheltieren. Steiff soll eine Lifestyle-Marke werden.

Seit mehr als 130 Jahren werden im schwäbischen Giengen an der Brenz Plüschtiere gefertigt. Ein nachkoloriertes Foto der Gründerin Margarete Steiff hängt in Barths Büro. Das sei eine gute tägliche Inspiration, sagt Barth. Margarete Steiff war für die damalige Zeit eine fortschrittlich denkende und handelnde Frau. Ihre Lebensgeschichte diente 2006 sogar als Vorlage für einen TV-Mehrteiler mit Heike Makatsch in der Hauptrolle. Ein Millionenpublikum verfolgte das vermeintliche Drama der an den Rollstuhl gefesselten, aber mit einem eisernen Willen gesegneten Frau, die es trotz aller Widrigkeiten zur erfolgreichen Geschäftsfrau bringt.

Fluch und Segen
Bei so viel Tradition ist es für eine Marke schwierig, modern zu bleiben. Innovativ, ohne die Ursprünge zu vergessen. Originell, ohne jeden Hype mitzumachen. Ein Problem, dessen Folgen viele Unternehmen schmerzhaft erfahren mussten. Auch Modelleisenbahn-Legende Märklin mühte sich in den vergangenen Jahren um einen neuen Kurs, der treue Sammler genauso berücksichtigte wie die so dringend nötige junge Kundschaft. Bei Märklin scheint der eingeschlagene Weg zu funktionieren, bei Steiff überlegt man derzeit noch fieberhaft, welche neuen Geschäftsfelder zum alten Plüsch passen.

Die Ausgangslage könnte kaum besser sein, attestiert zumindest Peter Pirck von der Brandmeyer-Markenberatung: "Steiff ist eine klassische Marke, aber keineswegs angestaubt oder unhipp." Doch dieses Image ist Fluch und Segen zugleich: "Bei Steiff denkt jeder sofort an einen Teddy mit Knopf im Ohr." Der Wandel ist also gewagt - und er braucht Zeit. Zeit, die der neue Chef sich nehmen will.

Früher arbeitete Barth unter anderem bei Lacoste und Faber-Castell. Er hat gelernt, Entscheidungen nicht zu überstürzen - und das kann er sich bei Steiff leisten. Das Unternehmen ist gesund.

Knapp 100 Millionen Euro will er in diesem Jahr umsetzen, sieben bis acht Prozent über Vorjahr wachsen. Der Plüschartikel-Markt in Deutschland ist stabil, 2013 wuchs das Segment sogar überproportional stark. Die Produktion in Tunesien mit 870 Mitarbeitern ist gut ausgelastet, man könne sich sogar den Ausbau der Kapazitäten vorstellen, deutet Barth an. Die Eigenkapitalquote liegt bei rund 50 Prozent.

Traumwerte eines Mittelständlers

Daniel Barth: Der ehemalige Lacoste-Manager ist seit Oktober 2013 Chef des Plüschtier-Herstellers Steiff. Quelle: Steiff

Eigentlich ist also alles in Ordnung in der plüschigen Welt des Daniel Barth – und doch muss sich etwas bewegen. Aber was? Die Konkurrenz zu digitalem Spielzeug ist hart. Doch Barth winkt ab. Videospiele oder Apps sind vorerst kein Thema in Giengen. Hier liebt man es handfest. Schon vor ein paar Jahren hat Steiff sein Sortiment um Baby- und Kinderkleidung erweitert. Strampler, Hosen, Kleidchen für Null- bis Sechsjährige – das Angebot wächst. Barth kann sich vorstellen, die Altersgrenze weiter anzuheben. Auch Zehnjährige könnten Steiff-Pullover tragen – vielleicht nicht mehr mit Bärchen-Design, aber dafür werde sich ein Konzept finden. Demnächst soll es auch Steiff-Schuhe geben.

"Das alles sind naheliegende, gut funktionierende Erweiterungen der Marke", sagt Markenexperte Pirck. Die Zielgruppen – Eltern und Kinder – decken sich und beide Produktgruppen haben eine "hohe Geschenkfähigkeit", wie Pirck es nennt. "Als Geschenk zu Geburt, Geburtstag oder Taufe, da schlägt die Stunde der hochpreisigen Marken". Nicht nur in Deutschland.

Expansion nach Asien
In Japan hat Steiff einen Laden, in China schon sechs, weitere sollen folgen. Gemeinsam mit einem Lieferanten aus dem Bereich Webstoffe, der sich ein zweites Standbein aufbauen will, will Barth in Asien die Marke Steiff als Premium-Produkt etablieren. "Alle Kinder sollten die Chance haben, mit einem Steiff-Tier aufzuwachsen", sagt er.

Deshalb will er auch einige alte Kontakte in den USA nutzen, wo Steiff bereits eine Tochter-Gesellschaft unterhält. Auch in Russland ist man präsent "mit viel Luft nach oben". Auch Polen sei interessant.

Neben der Internationalisierung will er die Zahl der eigenen oder mit Partnern betrieben Geschäfte in Deutschland ausbauen. Vor gut sechs Wochen hat die neue Steiff-Galerie in Berlin am Leipziger Platz eröffnet. Bundesweit gibt es neun Steiff-Shops, in denen Plüsch und Mode gemeinsam präsentiert werden.

Mittelfristig werden sicher fünf bis zehn dazukommen, verspricht Barth. Weil sich Mode viel weniger zyklisch verkauft als Spielwaren, ist das Fashion-Geschäft besonders interessant.

Pailetten statt Plüsch
Seine Geheimwaffen sind allerdings Objekte, die auf den ersten Blick nichts mit den plüschigen, knopfäugigen Kuscheltieren zu tun haben. Etwa das Chamäleon Caspar Paradise, das Steiff als "stilvolles und extravagantes Accessoire fürs Schlafzimmer, Wohnzimmer oder Bad" anpreist. Caspar ist 20 Zentimenter lang und aus funkelndem, mintgrünem Pailettenstoff. Das wirkt kalt und kratzig. "Man erkennt nicht auf den ersten Blick, dass es Steiff ist", sagt Markenexperte Pirck skeptisch.

Mit Bären und Hirschen

Baby- und Kindermode von Steiff verkauft sich blendend. Bald könnte es auch Schuhe von Steiff geben, deutet Chef Barth gegenüber WirtschaftsWoche Online an. Quelle: Screenshot

Daniel Barth hingegen ist vom Erfolg der Deko-Objekte übrzeugt. Gerade weil sie überraschend sind, seien die Produkte gut angekommen. Nach der knapp dreijährigen Testphase soll jetzt grundsätzlich geklärt werden, wie und wo es mit den Erweiterungen weitergeht. Die Produktpalette wird bis dahin erstmal nicht erweitert. 2015 könnte aber schon etwas vom neuen Konzept sichtbar werden.

Mit Deko-Artikeln wie Chamäelon Caspar baut Barth die Brücke in die neue Steiff-Welt. Der ehemalige Mode-Manager will mit Steiff-Tieren in die Wohn-, Ess- und Schlafzimmer der Deutschen. "Unsere Studio-Tiere sind sehr stylisch und haben noch immenses Potenzial", sagt er. Vor allem sind sie groß und teuer.

Elefanten mit 95 Zentimeter Höhe oder Bären von stattlichen 1,60 Meter kosten Hunderte bis Tausende von Euros. Braucht man das? Will man das?

"Wir müssen visualisieren, wie ein lebensgroßer Plüsch-Bär als Deko-Artikel in eine moderne Wohnlandschaft passen kann", erklärt Barth. Auch ein Plüsch-Hirsch-Kopf könne durchaus in einer Berghütte an der Wand hängen. Das sei natürlich ein Stil-Bruch, "aber eben eine gewollte Spielerei, die dort hineinpasst."

3500 Euro für ein Plüsch-Pony
Marken-Experte Peter Prick hält die Studio-Tiere prinzipiell für keine schlechte Idee: "Letztlich sind es großformatige, erwachsene Kuscheltiere." Damit sind sie deutlich näher am Kern der Marke als die glitzernden Objekte. "Ob aber ausreichend Menschen bereit sind, sich ein ausgewachsenes Studio Pony ins Wohnzimmer zu stellen und dafür 3500 Euro auszugeben, wird die Zeit zeigen."

Bei Sammlern, die immerhin noch 30 Prozent des Plüschumsatzes bringen, sind solche Sonderanfertigungen durchaus keine Seltenheit. Aber für die breite Masse? In den vergangenen beiden Jahren war der Plüschtierhersteller nicht mehr auf der Nürnberger Spielwarenmesse vertreten. Lieber präsentierte er sich auf Fashion-Messen mit seiner Kindermode-Linie.

Wasch mir den Pelz...

Das Logo der Alligator Ventilfabrik.Bild: Alligator Ventilfabrik GmbH Quelle: Presse

Gut, dass Steiff das finanzielle Polster hat, solche Experimente zu wagen. Neben Plüschtieren entstehen unter dem Dach von Steiff noch andere Produkte.

Die Alligator-Reifendruckkontrollsysteme sind das zweite große Standbein der Gruppe. Die Ventile machen sogar den Großteil am Gruppenumsatz aus. Mit den Marken Alligator, Eha und Stomil macht Steiff rund 50 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. 18 Millionen will das Unternehmen in den kommenden drei Jahren in Alligator investieren – überwiegend am Standort Giengen.

Die ungewöhnliche Kombination der Geschäftsfelder geht auf das Jahr 1919 zurück. Damals wurden freie Kapazitäten in der Metalldreherei der Margarete Steiff GmbH genutzt, um Fahrradventile herzustellen. Zwei Jahre später wurde die Alligator Ventilfabrik ausgegliedert und selbstständig am Markt positioniert.

Synergien zwischen Plüschtieren und Autoventilen? Fehlanzeige. Aber das ist auch nicht nötig. "Steiff-Tiere sind Lebensbegleiter", sagt Barth.

Oft finden sich die Kuscheltiere als Mutmacher wieder, wenn ihre Besitzer dem Kinderzimmer längst entwachsen sind. Häschen und Bärchen liegen nicht nur in den Wiegen von Babys, sondern auch auf den Tischen von Abiturienten und Studenten. Doch trotz aller Emotionen, die kleine und große Kinder auf die Pelzkameraden projizieren, sind Mammut, Panda, Eisbär & Co. eben nicht mehr als strapazierfähiger Plüsch. Kunstvoll gestopft, waschbar bis 30 Grad. Nur Arco nicht. Der ist zu groß für die Waschmaschine. Der Steiff-Chef wird sein neues Wohnzimmercouch-Accessoire wohl oder übel von Hand waschen müssen.

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