Stephans Spitzen

Warum Wein nicht multikulti ist

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Guter Wein ist ein Individuum

Aber das kennt man ja schon: der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Und es ist ja überdies richtig: nichts wurzelt fester in deutschem Boden als eine kräftige Rebe, das allein ist manch einem schon verdächtig. Als eine ganze rotgrüne Generation mit Literweinen in Korbflaschen sozialisiert wurde, entstand deren Inhalt im Keller, wo es dem Kellermeister egal sein mochte, woher die Trauben kommen, die in seinen Fässern liegen, also: multikulti, gerade dann, wenn „Kalterer See“ auf dem Etikett stand.

Doch heute, unter modernen Qualitätswinzern, ist Wein das, was (bei entsprechender Pflege) das Terroir aus den Trauben macht, also Klima, Boden und Landschaft. Und nicht zuletzt das, was in den Bodenschichten steckt, durch die sich die Pfahlwurzel des Rebstocks arbeitet: Wein, der auf Löss gedeiht, schmeckt anders als Wein, dessen Wurzeln sich durch Kalkmergel oder Schiefergestein gearbeitet haben. Und schließlich heißt es, dass es Wein gut tut, wenn er sich anstrengen muss. Wein wächst an seinen Herausforderungen, er ist ein echter Streber. Also urdeutsch?

Der Klimawandel verändert den Weinanbau
Bei vier Grad Erwärmung lägen die Bedingungen der Champagne in England.
An der Südküste Australiens würde die Weinqualität leiden.
Auch in den USA würden sich die idealen Anbaugebiete verlagern.
Und in Neuseeland würde es für Weinanbau im Norden zu heiß.

Das könnte dem, der ihn trinkt, egal sein: Hauptsache, die Flüssigkeit schmeckt. Doch damit entginge ihm das Schöne an Wein – ob aus Deutschland, Kalifornien, Südafrika oder Frankreich: dass er besonders ist, dass er abstammt, dass er Identität hat. Und dass er, insbesondere der Riesling, ein Talent zum Altern hat. Jeder Schluck eines gut gealterten Weines erzählt also eine Geschichte, lässt den Geist einer vergangenen Zeit und Kultur aus der Flasche.

Guter Wein ist ein Individuum, so, wie die meisten seiner Erzeuger. Wie dickköpfig und freiheitsliebend Winzer sind, zeigt ein schönes Beispiel: Grünberg in Schlesien war einst eine bedeutende deutsche Weingegend. Unterm Kommunismus wollte es nicht mehr klappen mit der Weinproduktion: Wein soll genossen werden, aber ein Genosse ist er nicht. Erst seit der Wende gibt es im ehemaligen Schlesien wieder Winzer, die, an die deutsche Kultur anknüpfend, ihrem Terroir den alten Geist entlocken wollen, um ihn auf die Flasche zu ziehen.

Das Vorurteil gegen deutsche Weine ist alles andere als weltoffen, es ist, im Gegenteil: provinziell bis auf die Gräten. Vor deutschem Sang und deutschen Weibern mag sich fürchten, wer will, aber gegen deutschen Wein gibt es schlechterdings kein gutes Argument. Wie schriebt Stuart Pigott über die jungen Winzer: „Gefestigt in der eigenen Identität, aber ohne eine Spur von Xenophobie.“

Und im übrigen – und weil Sie diese Kolumne in der „Wirtschaftswoche“ lesen: die guten deutschen Winzer gehören zu den hidden champions, den Helden unseres Wirt-schaftswachstums. Sie lassen sich keiner EU-Norm unterwerfen, sie erzeugen Qualitätsprodukte, die weltweit einmalig sind, und: sie können ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern.
Deutsche Treue zu deutschem Wein kann also nicht ganz verkehrt sein.

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