Stephans Spitzen

Warum Wein nicht multikulti ist

Cora Stephan Politikwissenschaftlerin

.. und warum man ruhig wieder die zweite Strophe des Deutschlandliedes singen sollte.

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Die größten Wein-Irrtümer
(Im Bild: Julia Bertram nach ihrer Wahl zur 64. Deutschen Weinkönigin im Jahr 2012) Quelle: dpa
Nur Billigweine haben einen Schraubverschluss Quelle: dpa
Chablis ist ein Rebsorte Quelle: dpa
Rotwein macht man aus roten Trauben Quelle: dpa
Ein Wein wird mit dem Alter im besser Quelle: dpa
Über Eisweintrauben muss einmal der Frost gegangen sein Quelle: dpa
Analysewerte beschreiben den Geschmack des Weins Quelle: ZBSP

Es gab eine Zeit in unserem Land, da vaterlandslose Gesellen regierten: an der Spitze des Staates stand nicht die Bonn- oder Berlin-, sondern die Toskana-Fraktion. Das waren Sozialdemokraten und Grüne, die ihre Ferien mit Vorliebe in Italien verbrachten, darunter Peter Glotz, Oskar Lafontaine und Otto Schily, und die gern schwerem italienischen Rotwein zusprachen, wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer.

Das durfte dann ein mit Tanninen protzender Barolo sein oder ein männlich-erdiger Brunello di Montalcino, wenn schon denn schon, jedenfalls nicht so etwas schlappes wie ein Spätburgunder. Deutscher Rotwein galt als flaches Wässerchen und deutscher Weißwein als irgendwie spießig und provinziell, so überholt wie die zweite Strophe des Deutschlandliedes, wo sich der deutsche Wein mit Weib, Ehre und Gesang zu paaren hat. Man war schließlich weltoffen und nicht etwa national verbohrt!

Wo die Deutschen ihren Wein kaufen

Sogar bei offiziellen Anlässen wurde italienischer Wein ausgeschenkt, obwohl man bei den Staatskarossen dann doch deutsche Wertarbeit vorzog. Riesling von der Mosel oder aus dem Rheingau stand wohl noch immer im Verdacht, süßer Traubensaft zu sein, den ältliche Fräulein mit spitzem Mund aus zierlichen Gläschen schlürften, aufgezuckerte Massenplörre, nach deren Konsum Touristen mit Tirolerhut grölend durch die Drosselgasse ziehen. Wein, Weib, Gesang eben - während Italien für den lässigen Genuss stand, Brioni, Havanna and all.

Mal abgesehen von dem schnöden Vorurteil den nationalen Kronjuwelen gegenüber, hatte die gerümpfte Nase, was deutschen Wein betrifft, leider durchaus seine Gründe. Manche Leute haben ein zu kurzes Gedächtnis – und manche ein zu langes. Das goldene Zeitalter des deutschen Weins an Rhein und Mosel im mittelalterlichen Klimaoptimum Anfang des 16. Jahrhunderts, als „Rhenish“ in England ein ebenso großer Luxus war wie „Malmsey“, lag schon eine Weile zurück, ebenso die Karriere von Riesling und Spätlese seit Ende des 18. Jahrhundert. Vergangen, vorüber: Den Rest seines Ansehens verlor der deutsche Wein mit dem ersten Weltkrieg, seither trank man auch in der britischen Königsfamilie keinen „Hock“ mehr (Hochheimer Riesling).

Das sind die Weine mit der höchsten Parker-Bewertung
Sassicaia Jahrgang: 1985Preis: ca. 1.000 Euro Die italienischen „Supertuscans“ strebten den französischen Idealen nach und verzichteten dafür lieber auf die Herkunftsbezeichnungen wie DOCG und gingen als Tafelwein in den Markt – und wurden dafür von Parker hoch belohnt. Quelle: Creative Commons-Lizenz
Screaming EagleJahrgang: 1997Preis: ca. 3.000 Dollar Keine 10.000 Flaschen wurden von diesem Wein aus dem 1986 gegründeten Gut abgefüllt. Die geringe Produktionsmenge und Parkers Siegel machen diesen sogenannten Garagenwein aus Kalifornier zu einer raren Kostbarkeit. Quelle: Laif
Chateau D'Yquem Jahrgang: 1811, 1847, 2001Preis: ca. 600 Dollar (Jahrgang 2001) Jahrzehnte, gar ein Jahrhundert halten die Süßweine aus Frankreich. Sie werden dort klassisch zu Gänselebergerichten oder Desserts eingeschenkt und oft in halben Flaschen verkauft, da nur geringe Mengen ins Glas kommen. Quelle: Laif
Chateau LafleurJahrgang: 1945, 1947, 1950, 1975, 1982, 2000Preis: keine Angabe Wenige Weingüter sind mit so vielen Jahrgängen in Parkers 100er-Liste vertreten wie das Chateau Lafleur aus dem Anbaugebiet Pomerol in Bordeaux mit lediglich 4,5 Hektar Anbaufläche, auf denen die Reben im Schnitt 30 Jahre alt sind. Quelle: Laif

Fürs kurze Gedächtnis aber reichte der jähe Absturz deutscher Weine seit dem Weingesetz 1971, das Masse statt Klasse begünstigte, und vor allem seit den vielen Weinskandalen, die ihren Höhepunkt Mitte der 80er Jahre mit der Glykolpanscherei hatten. Es ist verblüffend, wie schnell Legenden vergehen – und wie lange sich Vorurteile halten.

Doch schon zu rotgrünen Zeiten hatte sich der Wind längst gedreht. Nur in der politischen Elite war womöglich noch nicht rum, was weltweit längst bekannt war. Überall schwärmten Kenner von deutschen Weinen, vor allem von den Weißweinen. Gibt es irgendetwas, das einem deutschen Riesling vergleichbar wäre? Natürlich nicht.

Guter Wein ist ein Individuum

Aber das kennt man ja schon: der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Und es ist ja überdies richtig: nichts wurzelt fester in deutschem Boden als eine kräftige Rebe, das allein ist manch einem schon verdächtig. Als eine ganze rotgrüne Generation mit Literweinen in Korbflaschen sozialisiert wurde, entstand deren Inhalt im Keller, wo es dem Kellermeister egal sein mochte, woher die Trauben kommen, die in seinen Fässern liegen, also: multikulti, gerade dann, wenn „Kalterer See“ auf dem Etikett stand.

Doch heute, unter modernen Qualitätswinzern, ist Wein das, was (bei entsprechender Pflege) das Terroir aus den Trauben macht, also Klima, Boden und Landschaft. Und nicht zuletzt das, was in den Bodenschichten steckt, durch die sich die Pfahlwurzel des Rebstocks arbeitet: Wein, der auf Löss gedeiht, schmeckt anders als Wein, dessen Wurzeln sich durch Kalkmergel oder Schiefergestein gearbeitet haben. Und schließlich heißt es, dass es Wein gut tut, wenn er sich anstrengen muss. Wein wächst an seinen Herausforderungen, er ist ein echter Streber. Also urdeutsch?

Der Klimawandel verändert den Weinanbau
Bei vier Grad Erwärmung lägen die Bedingungen der Champagne in England.
An der Südküste Australiens würde die Weinqualität leiden.
Auch in den USA würden sich die idealen Anbaugebiete verlagern.
Und in Neuseeland würde es für Weinanbau im Norden zu heiß.

Das könnte dem, der ihn trinkt, egal sein: Hauptsache, die Flüssigkeit schmeckt. Doch damit entginge ihm das Schöne an Wein – ob aus Deutschland, Kalifornien, Südafrika oder Frankreich: dass er besonders ist, dass er abstammt, dass er Identität hat. Und dass er, insbesondere der Riesling, ein Talent zum Altern hat. Jeder Schluck eines gut gealterten Weines erzählt also eine Geschichte, lässt den Geist einer vergangenen Zeit und Kultur aus der Flasche.

Guter Wein ist ein Individuum, so, wie die meisten seiner Erzeuger. Wie dickköpfig und freiheitsliebend Winzer sind, zeigt ein schönes Beispiel: Grünberg in Schlesien war einst eine bedeutende deutsche Weingegend. Unterm Kommunismus wollte es nicht mehr klappen mit der Weinproduktion: Wein soll genossen werden, aber ein Genosse ist er nicht. Erst seit der Wende gibt es im ehemaligen Schlesien wieder Winzer, die, an die deutsche Kultur anknüpfend, ihrem Terroir den alten Geist entlocken wollen, um ihn auf die Flasche zu ziehen.

Das Vorurteil gegen deutsche Weine ist alles andere als weltoffen, es ist, im Gegenteil: provinziell bis auf die Gräten. Vor deutschem Sang und deutschen Weibern mag sich fürchten, wer will, aber gegen deutschen Wein gibt es schlechterdings kein gutes Argument. Wie schriebt Stuart Pigott über die jungen Winzer: „Gefestigt in der eigenen Identität, aber ohne eine Spur von Xenophobie.“

Und im übrigen – und weil Sie diese Kolumne in der „Wirtschaftswoche“ lesen: die guten deutschen Winzer gehören zu den hidden champions, den Helden unseres Wirt-schaftswachstums. Sie lassen sich keiner EU-Norm unterwerfen, sie erzeugen Qualitätsprodukte, die weltweit einmalig sind, und: sie können ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern.
Deutsche Treue zu deutschem Wein kann also nicht ganz verkehrt sein.

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