Streit mit Handel Lebensmittel-Produzenten um Nestlé wollen die Macht von Edeka und Co. begrenzen

Der Streit zwischen Nestlé und Edeka schürt die Angst der Lebensmittelkonzerne vor der Macht des Handels. Sie prüfen jetzt Gegenmaßnahmen.

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Nestlé vs. Edeka: Produzenten wollen Macht des Handels begrenzen Quelle: Reuters

Hamburg Es ist ja nicht so, als gäbe es gar keine Nestlé-Produkte mehr bei Edeka. Im Gegenteil: Maggi-Würzmischungen und Wagner-Pizza stehen prominent in den Werbeblättern des Händlers.

Zwar machte ein Bestellstopp für rund 160 Nestlé-Produkte Schlagzeilen, doch noch findet sich in den Edeka-Lägern Nachschub – und überhaupt: Es sind nur einzelne Produkte ausgelistet, nicht ganze Kategorien. Bei Pizza etwa die Variante Hawaii. Edeka uns seine europäischen Partner wollen so günstigere Einkaufskonditionen erzwingen.

Die Lebensmittel-Produzenten wollen den öffentlich gewordenen Streit offenbar nutzen, um gegen die europäischen Einkaufsverbünde des Handels Stimmung zu machen. „Der Handel weiß ganz genau: Wenn diese Auseinandersetzung gewonnen wird, sind die restlichen Hersteller im Sack“, prophezeite Michael Bauer, Anwalt bei CMS Hasche Sigle, bei einer Veranstaltung des Markenverbands.

Die Lobbyvereinigung der Marken-Hersteller, dem neben Nestlé auch Konzerne wie Beiersdorf, Coca-Cola und Unilever angehören, fürchtet, der Handel werde durch seine europäischen Kooperationen Preissenkungen durchsetzen. Konkret geht es beim Streit zwischen Nestlé und der Edeka-Einkaufskooperation Agecore offenbar darum, dass Agecore einen generellen Rabatt für seine Händler verlangt.

Umstritten ist, ob dem Leistungen gegenüberstehen. Der Handel verspricht offenbar europaweit abgestimmte Aktionen und Mediation im Konfliktfall. Die Hersteller sehen solche Angebote als bloße Makulatur. Es gehe allein um die Abschöpfung von Vorteilen, kritisierte Markenverbands-Geschäftsführer Christian Köhler.

Grundlage des aktuellen Konflikts ist das komplizierte Preissystem im Lebensmittelhandel. Basis der Verhandlungen sind Listenpreise der Hersteller, die meist exorbitant hoch angesetzt sind. Meist liegen sie über der unverbindlichen Preisempfehlung (UVP), die die Hersteller dem Handel gibt.

Zusätzlich zu diesen Listenpreisen verhandeln die Einkäufer des Handels und die Hersteller sogenannte Konditionen. Das ist ein Bündel von Preisnachlässen – teils mit Gegenleistungen, etwa bei Logistik, Verpackung oder für Werbeaktionen im Supermarkt, teils jedoch völlig ohne Gegenleistung. Daraus ergeben sich individuelle, oft in vielen Jahren wild gewucherte und schwer durchschaubare Konditionenpakete für einzelne Marken, Produkte und Händler.

Auf europäischer Ebene kommen seit einigen Jahren Forderungen der Händlervereinigungen hinzu – im Fall Edeka von Agecore, Konkurrent Rewe hat sich über Coopernic etwa mit Ahold, Coop Italien und E.Leclerc verbündet. Diese Zusammenschlüsse fordern von den großen, europaweit agierenden Herstellern weitere generelle Rabatte für den Zugang zu den nationalen Händlern.

Zudem geht in der Branche die Furcht um, die Händler könnten ihre Konditionen untereinander vergleichen. Dazu trägt bei, dass Agecore-Chef Ferrari noch vor einigen Jahren für die Konkurrenz von Copernic verhandelte – und somit über die Konditionen der Konkurrenz bestens informiert sein dürfte. Solch ein Verhalten sei zwar kein Fall für das Kartellrecht, könne aber wettbewerbsrechtlich relevant sein, warnte Jurist Bauer.

Klar ist: Auf EU-Ebene wollen die Hersteller für die Beschränkung der neuen Handelskooperationen werben. Als abschreckendes Beispiel gilt der Branche die Schwarz-Gruppe um Lidl und Kaufland, die intern ihre Konditionen über Ländergrenzen hinweg vergleicht.

Die Hersteller fürchten, ähnliches könne auch zwischen den Händlern passieren, die jeweils nur auf einzelnen nationalen Märkten agieren. Solche Forderungen gebe es immer öfter, sagt etwa ein Manager eines globalen Getränkekonzerns.


Händler sehen sich im Nachteil

Noch haben die Hersteller aber keinen Hebel gefunden, den sie in Brüssel ansetzen können. Schließlich schlagen günstigere Einkaufspreise des Handels auch auf niedrigere Verbraucherpriese durch. Die Juristen der Branche spielen durch, ob das Argument ziehen könnte, der Preisdruck bedrohe Qualität oder Innovationsstärke.

Noch allerdings bleiben die Experten beim Markenverband zwar bei der Analyse stehen, es müsse etwas gegen die „Unfairness“ des Handels auf europäischer Ebene geschehen.

Der Handel hält sowieso dagegen. Während sich Edeka ebenso wie Nestlé in der aktuellen Auseinandersetzung nicht äußert, nimmt Rewe-Chef Lionel Souque kein Blatt vor den Mund. „Die Lobby der Industrie ist ja viel stärker als diejenige des Handels“, sagte er vor dem Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten. Schließlich könnten die Hersteller stets mit Standortverlagerungen drohen – anders als Supermärkte.

Zudem sei der Handel bei Konditionenverhandlungen generell im Nachteil, weil Hersteller Klarheit über Produktionskosten und Konditionen bei anderen Händlern hätten, die Einkäufer aber im Dunkeln stocherten. Das zeige sich auch daran, dass große Markenkonzerne zweistellige operative Renditen hätten, der Handel aber nur ein bis zwei Prozent.

Zudem argumentierte Ex-Einkäufer Souque, Rewe schaffe es nicht einmal, Konditionen zwischen Deutschland und Österreich zu vereinheitlichen – geschweige denn auf europäischer Ebene. Und überhaupt: Zur zweitweisen Auslistung einzelner Produkte im Konditionenstreit komme es bei jedem Händler mehrmals im Jahr – meist ohne große Schlagzeilen.

Auch das Kartellamt sieht noch keinen Handlungsbedarf. Es gebe keine konkrete Beschwerde, sagte Kartellamtschef Andreas Mundt dem Handelsblatt: „Wir sind nicht in einem Stadium, in dem wir sagen würden, wir müssen oder wollen tätig werden.“

Die Branchen-Berater allerdings denken schon weiter. Amazon fordere bei Konsumelektronik längst weltweit einheitliche Preise von den Zulieferern. Die Hersteller könnten sich dem nicht entziehen. „Sonst bezieht Amazon einfach seine Ware in einem anderen Land und schafft sie selbst über die Grenze“, sagt Simon-Kucher-Berater Andreas von der Gathen.

Er rät: Die Hersteller sollten sich frühzeitig auf die neuen Bedingungen einstellen – und wohl nicht sich in aussichtslose Kämpfe stürzen.

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