Systematische Übernahmen Wieso Chinas Hunger auf deutsche Pharmafirmen wächst

Warum ist die Pharmabranche für China so wichtig? Quelle: imago images

Chinesische Investoren kaufen systematisch Firmen aus der Pharmabranche und der Biomedizin auf. Allein seit 2015 wurden 18 Übernahmen in diesem Sektor getätigt. Warum die Branchen für China so wichtig sind.

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Eine Pressekonferenz in China ist für deutsche Vorstandchefs stets eine bequeme Abwechslung. Die chinesischen Journalisten verlassen sich gerne auf die Pressemitteilungen, die man ihnen aushändigt. Merck-Chef Stefan Oschmann, der von seinen Auftritten in Deutschland anderes gewohnt ist, schaut deshalb irritiert, als er seine knappe Ansprache in dem Saal eines Shanghaier Luxushotels beendet hat. Keine Fragen, aber dafür ein kräftiger Applaus. Mit verschränkten Armen steht er etwas ratlos vor dem Chor schweigender Reporter. Dann überspielt er den Moment aber gekonnt mit einer einladenden Geste und geht routiniert in den informellen Teil über.

Oschmann ist für die Geburtstagsfeier seines Unternehmens extra nach Shanghai gereist. 400 Regierungsvertreter, Geschäftspartner und Kunden sind seiner Einladung in den großen Ballsaal eines Hotels im Finanzzentrum gefolgt. Zur Feier des Tages trägt der Manager einen schwarzen Anzug und eine Krawatte mit roten Steckenpferdchen darauf. Über ihm schaukelt ein gefährlich großer Kristallkronleuchter. Dass Merck seinen Geburtstag ausgerechnet auch in China feiert, ist kein Zufall. Der Pharmamarkt des Landes ist schon heute der zweitgrößte der Welt. Die Elektronikhersteller, die die Flüssigkristalle des Darmstädter Unternehmens kaufen, um sie später in Smartphones und Flachbildfernsehern zu verbauen, haben fast alle ihren Standort dort.

1668 begann die Geschichte des Konzerns mit einer kleinen Apotheke in Darmstadt. Damals herrschte in Peking gerade Kaiser Kangxi, dessen Dynastie in China schon lange Vergangenheit ist. Die wichtigste Geschichte, umgarnt Oschmann die Journalisten in Shanghai, sei aber ohnehin die, die das Unternehmen heute schreibe: „Und ich bin überzeugt, dass wir den Großteil dieser Geschichte in China schreiben werden.“ Für Merck ist das Land seit einigen Jahren der wichtigste Wachstumsmarkt.

Besonders in der Pharmaindustrie werden die kommenden Jahre für das Unternehmen entscheidend sein. In nur wenigen Ländern der Welt ist die Ungleichheit größer als in der chinesischen Gesundheitsversorgung. In den Metropolen im Osten des Landes gibt es Luxus-Kliniken, die mit den besten Krankenhäusern der Welt konkurrieren können. Ein Aufenthalt kostet dort mehrere tausend Dollar pro Tag. Normale Krankenhäuser sind hingegen meist überfüllt und schlecht ausgestattet. Viele Patienten werden auf den Gängen versorgt oder warten vor den Eingängen der Kliniken. Die 250 Millionen Wanderarbeiter und hundert Millionen Bauern im Westen des Landes haben kaum Zugang zu der medizinischen Versorgung in der Stadt. Sie müssen auf die lokalen Krankenhäuser vertrauen, die häufig weit entfernt von ihren Dörfern liegen.

Um das Gesundheitssystem für die 1,4 Milliarden Einwohner fit zu bekommen, hat Peking eine neue Gesundheitsstrategie ausgerufen. Bis 2020 will das Land seine Staatsausgaben im medizinischen Bereich gemessen am Bruttoinlandsprodukt von 6 Prozent auf 10 Prozent steigern. Teil der Initiative ist auch, die heimische Industrie im Bereich der Pharmaindustrie zu stärken, um sich unabhängiger von ausländischen Firmen zu machen. Denn noch dominieren Player wie Merck das Geschäft. Anfang 2016 waren sie für knapp 50 Prozent des Medikamente-Markts in China verantwortlich. In einigen Medikamente-Klassen sogar noch für weit mehr.

Geht es nach Peking, sollen ab 2020 chinesische Firmen diese Sektoren anführen. Dafür China betreibt im Bereich der Pharmazie eine klare Industriepolitik. 80 Prozent der pharmazeutischen Industrieproduktion sollen bis 2020 in den vier Regionen Peking, Shanghai, Guangzhou und Chengdu angesiedelt werden. In diesen Clustern sollen an 500 Universitäten und Forschungseinrichtungen an neuer Medizin geforscht und 150.000 neue Studenten pro Jahr ausgebildet werden. Dazu kommen 100 neue Hightech-Parks und 7500 neue Bio-Unternehmen, die China mit rund 250.000 Mitarbeitern ansiedeln will. Konkret nennt Peking das Ziel, jährlich 3200 neue Patente über neue Wirkstoffe anmelden zu wollen. Jedes Dritte davon im Bereich der traditionellen chinesischen Medizin. Um die rund 13.000 Firmen zu stärken, zwingt Peking diese zur Fusion und Übernahmen. 2000 Zulassungen wurden allein 2015 entzogen, um Fusionen zu befördern.

Industriepolitik Made in China 2025

Eine aktuelle Befragung der Europäischen Handelskammer unter seinen Mitgliedsunternehmen zeigt, dass drei Viertel der Pharmaunternehmen und Hersteller von medizinischen Geräten unter den unfairen Bedingungen dieser Industriepolitik leiden. In Bezug auf zukünftige Marktchancen und Wachstum blicken sie sehr viel negativer als ihre Kollegen in anderen Branchen in die Zukunft. Bereits seit einigen Jahren fordern die Lokalregierungen Krankenhäuser so zum Beispiel dazu auf, heimische Produkte zu verwenden, anstatt bei den ausländischen Firmen zu kaufen. Merck-Chef Oschmann bestätigt diese Praxis indirekt gegenüber der WirtschaftsWoche. Aber das kenne man aber aus anderen Ländern auch.

Um den technologischen Rückstand auf ausländische Firmen aufzuholen, lässt das Land zudem Unternehmen aus dem Ausland aufkaufen. Eines der wichtigsten Zielländer ist Deutschland. Laut einer Studie des Steinbeis-Beratungszentrums Asia Technology Consulting stehen allein staatlichen Start-up-Fonds in diesem Bereich rund 400 Milliarden Euro für Investments zur Verfügung. Dazu kommen noch Gelder von privaten chinesischen und ausländischen Fonds sowie Venture-Capital-Firmen.

Wie systematisch die Chinesen dabei im medizinischen Bereich vorgehen, zeigte jüngst eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung. Von 175 Übernahmen oder Beteiligungen durch chinesische Firmen in Deutschland im Zeitraum von 2014 bis 2017 entfielen 112 auf Branchen, die China mit seiner Industriepolitik Made in China 2025 besonders stark ausbauen will. Mit 16,1 Prozent der untersuchten Übernahmen liegen Firmen aus der Biomedizin und Produzenten von Medizingeräten aus dem Premiumsegment auf Platz drei der Interessensliste chinesischer Investoren. Davor kamen nur die Automobilindustrie, deren Zulieferer sowie die Energiebranche.

Immer mehr chinesische Investoren übernehmen Firmen in Deutschlands Schlüsselsektoren. Eine neue Studie zeigt, wie dramatisch die chinesischen Aufkäufe in manchen Branchen tatsächlich zu Buche schlagen.

„Chinas Investoren interessieren sich für Hidden Champions, weil sie in vielen Nischenbranchen weltweit als Marktführer gelten“, so Studienleiterin Cora Jungbluth von der Bertelsmann-Stiftung. Einerseits sei das eine rationale Entscheidung, weil diese Firmen als sicheres Investment gelten. Es drücke aber auch aufs Tempo in der eigenen Entwicklung, will ein chinesisches Unternehmen an Technologie gelangen: „Ein Unternehmen mit Spezialwissen zuzukaufen ist schneller, als selbst zu forschen“, so Jungbluth.

Allein 2017 beteiligten sich chinesische Investoren an den deutschen Pharmaunternehmen Biotest, Curasan, Elexxion und Metrax. Den Einstieg mit 89,9 Prozent bei dem hessischen Pharmaunternehmen Biotest ließ sich die Creat Group 1,3 Milliarden Euro kosten. Die Übernahme war zunächst von der amerikanischen Behörde CFIUS geprüft worden, bevor die Genehmigung aus den USA kam. Es hatte zunächst Zweifel an der Datensicherheit für Patienten und Spender gegeben.

Aber auch in China wächst eine starke Pharmaindustrie heran. Nirgendwo spielen beispielsweise die Digitalisierung und Big Data eine größere Rolle als in der chinesischen Gesundheitsindustrie. In den großen Metropolen des Landes drängen sich datenfressende Start-ups, die mit immer besser werdenden Algorithmen die Gesundheit der Menschen analysieren wollen. Es gibt kaum Regulierungen in diesem Bereich oder wenn, werden sie nur mangelhaft durchgesetzt. Bewegungsprofile, mobile Bezahldienste und andere Apps werden gnadenlose ausgewertet, um neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu entwickeln.

Davon will Merck in Zukunft auch profitieren. Das Unternehmen, das sich ohnehin lieber Technologiekonzern nennt als Pharma- oder Chemiehersteller ist dafür gerade eine Kooperation mit Alibaba Health eingegangen, einer Tochter des Handelskonzerns Alibaba. Während Merck die Expertise bei Diabetes, Schilddrüsenstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bringe, liefere Alibaba Health die technologische Kompetenz in der Analyse von Daten, so Merck. Konkret sollen Patienten eine App nutzen, mit der sie alle Informationen zu Medikamenten sowie zur richtigen Einnahme der Mittel bekommen. Das soll etwa Produktfälschungen ausschließen und gibt den Konzernen vor allem neue Einblicke in das Nutzungsverhalten von Medikamenten durch die Patienten. Geht es nach Oschmann, wird Merck bei solchen Trends in Zukunft vorne mit dabei sein. „Wir müssen ein Teil dieses Ökosystems werden.“

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