Tabakkonzerne Hersteller inszenieren die gesündere Zigarette

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Antitabakinitiativen machen Front gegen die Branche

All die neuen Marken sollen für die großen Konzerne auch einen strategischen Zweck erfüllen. Die Aufmerksamkeit, die sie erregen, würde auch sehr schön Aktivität beim Nichtraucherschutz vorgaukeln, ohne dass man die schönen Milliardengewinne der Gegenwart künftig abschreiben müsste. Denn selbst wenn sie die ganz große Klaviatur des Marketings bedienen und die Zigarette zu einer Art Freiheitsfackel stilisieren – die Fakten können auch sie nicht ignorieren: Laut der Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr mehr als fünf Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, dazu kommen 600.000 Passivraucher.

Selbst wenn der Anteil der Raucher weltweit in den vergangenen zehn Jahren von einem Viertel der Weltbevölkerung auf ein Fünftel gesunken ist – wegen des Bevölkerungswachstums sind das noch immer mehr als eine Milliarde Raucher. Gesundheitssysteme in aller Welt zahlen Milliarden für die Folgekosten der Nikotinsucht. In allen Industrienationen machen Antitabakinitiativen Front gegen die Branche.

Deswegen findet Marc von Eicken den ganzen Wirbel, den Big Tobacco um die Neuentwicklungen macht, auch reichlich sonderbar. Weit mehr als zehn Millionen Tabakstängel spucken seine Maschinen in Lübeck jeden Tag aus. Seine Vorfahren gründeten das Unternehmen im Jahr 1770, seitdem verdient die Familie ihr Geld mit Raucherwaren aller Art; Marc von Eicken führt das Haus mittlerweile in der achten Generation.

Das Geschäft mit der E-Zigarette beobachtet Marc von Eicken daher auch mit einiger Distanz: „Die großen Konzerne fördern den Hype um die E-Zigarette schon sehr geschickt“, sagt der Norddeutsche: „Sie streuen Silicon-Valley-Feenstaub über ihr Kerngeschäft und verzaubern damit ihre Anleger.“ Schließlich, meint der Familienunternehmer und muss jetzt fast grinsen, „müssen sie der Börse ja auch immer wieder eine neue Story erzählen“.

Die Politik streitet über ein weitergehendes Werbeverbot für Tabakwaren. Die Bundesdrogenbeauftragte möchte die Außenwerbung komplett verbieten - und die Tabakwirtschaft nutzt dies, um ihre Werbung wieder auszuweiten.

Zwar hat auch er mit Cross eine eigene E-Marke im Sortiment. Doch zum Konzernumsatz trägt sie bislang nur unwesentlich bei. Anders als etwa Posh-Manager Beyer kann von Eicken auf sein florierendes Kerngeschäft bauen: Mit Zigarettenmarken wie Pepe und Burton, die sie weltweit bis nach Australien verkaufen, setzten die Lübecker vergangenes Jahr ohne Tabaksteuer gut 140 Millionen Euro um. Die Firma wächst. Zuletzt stiegen die Erlöse auf dem Heimatmarkt um 30 Prozent. Von Eicken will daher erst einmal abwarten, wie sich der E-Zigaretten-Markt sortiert, ehe er beschließt, noch größer einzusteigen: „In einem Jahr wird sich der Markt sicher bewegt haben, da wird es noch einiges an Bereinigung geben.“ Bis dahin setzt der Unternehmer auf eines: gesunden Menschenverstand: „Die Leute gehen heute doch eh schon viel vernünftiger mit Zigaretten um – wer früher 30 Stück am Tag rauchte, raucht heute fünf in der Woche. Die aber mit Muße und ganz bewusst.“

Diese Geschichte aber klingt viel weniger nach Aufbruch und Modernität wie die von E-Zigaretten-Pionier Timo Beyer und der großen Konzerne.

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