Teure Lebensmittel „Sobald Aldi die Preise erhöht, ziehen die anderen nach“

Bei welchen Lebensmitteln droht die nächste Preiserhöhungswelle? Quelle: Getty Images

Die Berliner Preisexperten Ulrich und Leonard Gallinat scannen regelmäßig Deutschlands Supermärkte. Ihre Daten zeigen, welche Produkte sich bereits massiv verteuert haben – und wo die nächste Preiserhöhungswelle droht.

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WirtschaftsWoche: Egal ob Milch, Sonnenblumenöl oder Kaffee – die Preise im Lebensmittelhandel scheinen momentan nur eine Richtung zu kennen: aufwärts. Wie nehmen Sie die Entwicklung wahr?
Ulrich Gallinat: Wir beobachten den Markt seit rund 30 Jahren, aber eine so dynamische Phase in der Preisentwicklung haben wir bislang noch nicht gesehen. Auch unsere Gesprächspartner im Einzelhandel sagen, dass es eine solche Preisdynamik nach oben nur in Ansätzen in den Nachkriegsjahren gab und dies somit eine historische Situation darstellt.
Leonard Gallinat: Deutschland galt lange als Land der billigen Lebensmittel. Womöglich neigt sich diese Ära jetzt dem Ende zu.

Ist der Ukraine-Krieg dafür verantwortlich?
Ulrich Gallinat: Nein, jedenfalls nicht ausschließlich. Der Krieg und die damit verbundenen Engpässe haben die Lage sicherlich verschärft. Aber es spielen auch sehr viele andere Faktoren eine Rolle: Die Energiekosten sind massiv gestiegen, die Frachtraten haben sich erhöht, es gibt logistische Probleme, Rohstoffe sind teurer geworden, die Personalausgaben steigen und und und. All diese Effekte spielen eine Rolle – und das nicht erst seit Ende Februar.

Leonard Gallinat: Das zeigen auch unsere Daten. Die ersten Preiserhöhungen im Lebensmitteleinzelhandel, die der steigenden Inflation geschuldet waren, begannen zum Jahresanfang 2022, also etliche Wochen vor Kriegsbeginn.

Zu den Personen

Steigen die Preise quer durch die Bank, oder konzentriert sich der Anstieg auf einzelne Warengruppen?
Leonard Gallinat: Wir haben uns die Preise im Lebensmittelhandel sehr genau angeschaut und waren selbst überrascht: Der Eindruck täuscht, dass momentan alle Produkte teurer werden. Es gibt immer noch Warengruppen, bei denen so gut wie nichts passiert ist. Aber insgesamt zieht das Preisniveau natürlich an. Allein die beiden Discounterschwergewichte Aldi und Lidl haben inzwischen für 40 bis 45 Prozent ihres Artikelsortiments ohne Nonfood-Produkte die Preise erhöht. Im Durchschnitt müssen die Kunden in den wichtigsten Warengruppen zwischen 7,8 bis 9,8 Prozent mehr zahlen als vor einem Jahr.  

Welche Produkte sind besonders teuer geworden?
Leonard Gallinat: Bei Brotaufstrichen und Käse haben wir in den vergangenen zwölf Monaten im Discountsegment Preissteigerungen von jeweils mehr als zehn Prozent gesehen. Bei den Warengruppen Fette und Öle sowie Wurstwaren gab es sogar Preissteigerungen von über 20 Prozent. Das ist schon extrem. 

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Und welche Artikel sind vergleichsweise preisstabil?
Ulrich Gallinat: Bei Spirituosen und Süßwaren gab es in Summe nur sehr geringe Erhöhungen. Auch bei Mundpflegeartikeln, alkoholfreien Getränken sowie Wein und Sekt haben die Discounter die Preise im Durchschnitt relativ moderat um drei bis fünf Prozent gesteigert. Das heißt aber auch: Hier gibt es womöglich noch Luft nach oben. Hinzu kommt: Es handelt sich um Durchschnittspreise. Auch in Warenkategorien, die sich weitestgehend stabil entwickelt haben, gibt es durchaus Ausreißer. 

Welche denn zum Beispiel?
Ulrich Gallinat: Nehmen Sie Halloren Kugeln, eine ostdeutsche Süßwarenspezialität. Vor einigen Wochen kosteten die Pralinen noch durchschnittlich 99 Cent. 

Und inzwischen?
Ulrich Gallinat: Sind wir bei 1,29 Euro – das entspricht einem Anstieg von circa 30 Prozent. 

Typisch Markenprodukt, oder?
Leonard Gallinat: Im Gegenteil. Es gibt zwar einzelne Marken, deren Preise steigen, insgesamt beobachten wir aber, dass momentan vor allem die Eigenmarken der Einzelhändler teurer werden und ihr Preisabstand zu den Markenartikeln schmilzt. 

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Woran liegt das?
Ulrich Gallinat: Das können am Ende nur die Manager der beteiligten Handelsketten beantworten, aber vermutlich spielen mehrere Gründe eine Rolle. Klar ist, dass in den vergangenen Monaten sehr viele Markenhersteller höhere Einkaufspreise beim Handel durchgesetzt haben. Diese wurden bislang aber nicht vollständig an die Konsumenten weitergegeben. Das könnte daran liegen, dass die Preise für Markenartikel vielen Kunden präsent sind. Sie liegen oft direkt auf Schwellenwerten wie 99 Cent oder 1,99 Euro. Erhöhungen fallen also sofort auf. Teilweise bieten Marken dem Handel mehr Marge als Eigenmarken – auch das kann erst einmal wie ein Preispuffer wirken. Ich vermute aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die alten Abstände zwischen Marken und Eigenmarken wieder einpendeln

Leonard Gallinat: Und viele Eigenmarken haben einen gewissen Nachholbedarf. In den vergangenen Jahren waren die Preise niedrig, teilweise vielleicht zu niedrig, um rentabel zu sein. Jetzt ist die Ausgangslage für Erhöhungen günstig. Denn Eigenmarken profitieren tendenziell von der hohen Inflation: Die Verbraucher haben durch die steigenden Energiepreise und generellen Kostensteigerungen schlicht weniger Geld zur Verfügung und schichten ihre Einkaufsbudgets um. Dabei weichen sie auf billigere Eigenmarken aus, auch wenn deren Preise jetzt schneller steigen als die der Markenprodukte.



Zuletzt sorgten vor allem Preiserhöhungen bei Aldi für Schlagzeilen. Ist ausgerechnet der vermeintliche Billigheimer der größte Preistreiber im Land? 
Leonard Gallinat: Durch ihren Sortimentszuschnitt sind Preiserhöhungen bei den Discountern vielleicht etwas spürbarer als bei klassischen Verbrauchermärkten. Aber Aldi und Lidl bieten insgesamt auch einfach weniger Produkte an als die großen Super- und Verbrauchermärkte. Zudem haben sie einen viel höheren Eigenmarken-Anteil am Gesamtsortiment als Rewe, Edeka oder Kaufland. Dadurch schlagen Erhöhungen der Eigenmarkenpreise viel stärker durch. Die Preiserhöhungen im Eigenmarkenbereich setzen aber alle Händler um.

Ulrich Gallinat: Im Preiseinstieg orientiert sich die Branche nach wie vor an Aldi. Sobald der Discountmarktführer die Preise erhöht, ziehen die anderen nach. 

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Wann rechnen Sie damit, dass sich die Lage beruhigt und der Einkauf nicht mehr jede Woche teurer wird?
Ulrich Gallinat: Das kann noch dauern. In vielen Sortimentsbereichen dürften die Preise kurzfristig weiter steigen. Und solange Lieferkettenprobleme und Kostensteigerungen anhalten, ist da kein Ende in Sicht. Nur das Tempo könnte sich etwas verlangsamen.
Leonard Gallinat: Zumal die Verbraucher inzwischen reagieren. Trotz der Preiserhöhungen sinken die Umsätze, das heißt, die verkauften Mengen im Lebensmittelhandel, zumindest der Markenartikel, gehen zurück. Die große Frage ist, ob das auch für die Gewinne der Handelskonzerne gilt.

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