Textil-Siegel für Nachhaltigkeit Grüner Knopf spaltet Modebranche

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Kontrollierbarkeit der zertifizierten Kriterien ist fraglich

Bundesentwicklungsminister Müller sieht in dem neuen Siegel allerdings einen durchaus hohen Standard: „Mit dem Grünen Knopf zeigen wir: Faire Lieferketten sind möglich.“ Dies könne niemand in Frage stellen. Doch gerade die Qualitätssicherung des Siegels wird vom HDE kritisiert: „Viele Unternehmen können die hohen Standards des Grünen Knopfes nicht zuverlässig kontrollieren. Somit ist er nicht massentauglich“, erklärt Genth.

Auch Lavinia Muth, Nachhaltigkeitsmanagerin beim Kölner Modeunternehmen und Nachhaltigkeitspionier Armedangels, bezweifelt, dass sich die für das Siegel gesetzten Produktionsideale im Ausland überprüfen lassen: „Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass so etwas zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich ist.“ Nach der Besichtigung einer Produktionsstätte, einem sogenannten Audit, die Anforderungen an den Lieferanten zu delegieren und einfach ein Siegel zu vergeben, sei in der Branche bereits üblich. „Das bringt zwar eine Verbesserung der Arbeitssicherheit, aber kritische Zustände wie sklavenähnliche Verhältnisse am Arbeitsplatz lassen sich mit einem Audit nur sehr schwer feststellen“, sagt Muth.

Bestehende Zertifikate sorgen für eine Art Doppelzertifizierung

Das Siegel scheint allerdings aktuell kaum direkte Auswirkungen auf die Produktion der zertifizierten Unternehmen zu haben. Alle 27 Unternehmen, die ihre Ware zukünftig mit dem Grünen Knopf versehen dürfen, haben „die anspruchsvollen Anforderungen des Textilsiegels erfolgreich bestanden“, heißt es aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Allerdings entsprachen die ausgezeichneten Produkte nach Angaben der Hersteller durch die Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Siegeln häufig den Voraussetzungen: „Wir mussten für die Unternehmensprüfung keine weiteren Anpassungen vornehmen“, sagt Aldi-Süd-Managerin Adou mit Verweis auf die in der Vergangenheit geleistete Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit.

Auch Vaude Geschäftsleiter Jan Lorch sieht in dem Siegel eine Belohnung für die bestehende umwelt- und arbeiterfreundliche Produktion des Unternehmens: „Dadurch, dass wir seit elf Jahren sehr stark an den Herstellungsbedingungen unserer Produkte arbeiten, mussten wir für die Unternehmensprüfung nichts ändern“.

Unternehmen fordern gesetzliche Regelung statt Freiwilligkeit

Derzeit sind 26 weitere Unternehmen im Prüfungsprozess, darunter auch Deutschlands größte Textil-Discounterkette Kik. Das Unternehmen habe „die Entstehung des Grünen Knopfes konstruktiv begleitet und sich frühzeitig für eine Prüfung der Unternehmenskriterien angemeldet“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Da der Discounter aktuell geprüft werde, könne man bei Kik keine Artikel mit dem Grünen Knopf kaufen. „Ob sich das künftig ändern wird, hängt für uns maßgeblich davon ab, wie hoch die Akzeptanz des Grünen Knopfes bei Verbrauchern ist“, erklärt die Sprecherin weiter. Kik teile zudem die Kritik am Grünen Knopf: Ein freiwilliges Siegel, das im Wesentlichen auf bereits bestehenden privaten Siegeln basiere, biete den Verbrauchern nur einen geringen Mehrwert. Stattdessen benötige man „ein Gesetz auf europäischer Ebene, das Sorgfaltspflichten in Bezug auf soziale und ökologische Standards für alle Unternehmen verbindlich regelt“, fordert die Unternehmenssprecherin.

Diese Ansicht teilt auch Lavinia Muth von Armedangels – sollte die Mediale Debatte zu einem Shitstorm werden, könnte das die Kaufbereitschaft der Kunden einschränken, fürchtet die Nachhaltigkeitsmanagerin. Sie findet, man solle weniger Energie in freiwillige Branchenlösungen stecken und feste Rahmenbedingungen in Form von Gesetzen schaffen: „Das wäre viel effektiver, denn die Zeit etwas zu verändern ist knapp: Die Umweltbelastung und der soziale Druck durch die Textilindustrie zerstören die Lebensgrundlage der Menschen in den Produktionsländern“.

Offene Fragen oder knallhartes Kalkül?

Dass Textilien möglichst nachhaltig und fair produziert werden sollten, ist selbst bei Kritikern des Siegels unstrittig. Bemängelungen des Grünen Knopfs erleichtern es allerdings Unternehmen, deren Fokus nicht primär auf den geforderten Kriterien liegt, weiterzumachen wie bisher. Modediscounter Takko etwa, der sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, antwortet auf Anfrage: „Wir stehen dem Grünen Knopf offen gegenüber. Die konkrete Umsetzung wirft bei uns allerdings noch Fragen auf.“ Man sei unsicher, ob die richtigen Kriterien definiert seien und wie konkrete Überwachungsmaßnahmen aussehen würden. Auch von anderen Anbietern äußerst günstiger Mode heißt es, Nachhaltigkeit und Fairness seien bereits seit Jahren Teil der Firmenphilosophie. Ob der Grüne Knopf das richtige Siegel sei, um das zu kennzeichnen, müsse man abwarten.

Prinzipiell klingt das wie die Argumentationslinie der Nachhaltigkeits-Hardliner. Den Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf besonders niedrigen Preisen basiert, dürfte es allerdings gelegen kommen, wenn sie ohne Kontrollen für das staatliche Siegel weiter billig im Ausland produzieren können. Immerhin: Den Grünen Knopf eines Tages einzuführen, schließt keines der angefragten Textilunternehmen aus. Schließlich führen auch die meisten Billiganbieter bereits diverse Siegel für Nachhaltigkeit und Fairtrade.

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