Nicht minder erklärungsbedürftig ist indes Middelhoffs Handeln, das zuletzt an Selbstzerstörung grenzte. Den Untreue-Prozess sah er als Farce. Vorwürfe glaubte er weglächeln zu können. Schließlich waren all die Trips mit Chartermaschinen und Helikoptern, um die es dabei ging, aus seiner Sicht nie Geldverschwendung, sondern berufliche Notwendigkeit. War er doch allzeit und überall zum Wohle des Konzerns unterwegs.
Dass Middelhoff die Annehmlichkeiten seiner Mittelmeer-Villa gegen eine Gefängniszelle tauschen musste, dürfte viel mit diesem Hang zur Großspurigkeit zu tun haben. Hätte er Einsicht oder gar Reue gezeigt, das Urteil wäre wohl weniger hart ausgefallen. Zumindest die sofortige Festnahme wäre ihm vermutlich erspart geblieben. Auch seine Gläubiger wären kaum so erpicht darauf, ihr Inkasso öffentlich zu zelebrieren, würde Middelhoff mehr Demut zeigen.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Die Pleite des Arcandor-Konzerns (Karstadt, Quelle, Thomas Cook) im Jahr 2009 war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der Nachkriegszeit. Thomas Middelhoff leitete das Unternehmen bis wenige Monate vor dessen Ende. Im Essener Prozess ging es aber nicht um die Pleite selbst, sondern „nur“ um den Verdacht, dass der Manager Arcandor Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu Unrecht in Rechnung gestellt haben soll - vor allem für teure Flüge in Privatjets. Middelhoff weist diese Vorwürfe entschieden zurück.
Auslöser für die umfangreiche Nutzung von Privatjets war Middelhoff zufolge eine Bombendrohung gegen ein Linienflugzeug, in dem er gesessen hatte. Danach sei er aus Sicherheitsgründen auf Charterjets umgestiegen. Insgesamt nutzte Middelhoff in seiner Zeit bei Arcandor nach eigenen Angaben 610 Mal Privatjets. Er selbst habe 210 Flüge bezahlt, die übrigen 400 seien Arcandor in Rechnung gestellt worden. Im Prozess geht es allerdings nur um 48 dieser Flüge, bei denen die Staatsanwaltschaft die dienstliche Veranlassung bezweifelt. Deren Gesamtkosten beziffert die Anklage auf 945 000 Euro.
Thomas Middelhoffs sonst eher öffentlichkeitsscheue Ehefrau Cornelie erinnerte sich als Zeugin im Essener Prozess vor allem an die hohe Arbeitsbelastung ihres Mannes in der Arcandor-Zeit: „Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“
Dauerstau auf dem Weg zur Arbeit ist für viele Pendler ein Ärgernis - nicht aber für Middelhoff. Als eine Baustelle am Kamener Kreuz die Fahrt zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Konzernzentrale in Essen zur stundenlangen Quälerei machte, stieg er auf Hubschrauber um. Die Rechnung ging an Arcandor. Zu Recht, findet Middelhoff: Er habe so nämlich effizienter arbeiten können. Zu Unrecht, findet die Anklage: Die Kosten für den Arbeitsweg seien Sache des Arbeitnehmers.
Ein weiterer Vorwurf der Anklage: 180 000 Euro habe Arcandor auf Veranlassung Middelhoffs für eine Festschrift zu Ehren des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Mark Wössner spendiert. Für die Staatsanwaltschaft ist das Buch ein „persönliches Geschenk“ Middelhoffs an seinen früheren Mentor. Der Manager hätte demnach für das teure Präsent selbst zahlen müssen. Nach Middelhoffs Worten diente die Festschrift dagegen der Verbesserung des Arcandor-Images und der Netzwerkpflege.
Für Middelhoff wurden nach eigener Aussage vor allem die Besuche der Gerichtsvollzieher im Gerichtssaal zur Belastung. Sie nutzten die Gelegenheit, um den im südfranzösischen Saint-Tropez lebenden Manager mit Millionenforderungen seiner Gläubiger zu konfrontieren. In einem Fall pfändete ein Gerichtsvollzieher sogar eine wertvolle Armbanduhr. Die Pfändungsversuche seien demütigend, sagte Middelhoff selbst am Rande des Verfahrens: „Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“
Zeitweise wurde das Verfahren in Essen von einem drohenden Haftbefehl gegen Middelhoff überschattet. Eine Gerichtsvollzieherin hatte diesen laut einem „Spiegel“-Bericht beantragt, um den Manager im Zusammenhang mit Zahlungsforderungen des Arcandor-Insolvenzverwalters zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu zwingen. Das Thema erledigte sich nach Angaben der Middelhoff-Anwälte aber von selbst, als dessen Managerversicherung eine Haftungsgarantie für 3,4 Millionen Euro übernahm.
Doch der nutzte selbst die Abgabe einer Vermögenserklärung – vulgo: Offenbarungseid – im Juli noch zum Prahlen. Um den Fotografen zu entkommen, die die Szene festhalten wollten, sei er im Gerichtsgebäude „wie die Katze übers Dach“: Erst musste er drei Meter tief auf eine Garage springen, dann noch einmal drei Meter auf die Straße. „Dann habe ich mir ein Taxi gewunken und bin zu Verhandlungen geflogen.“ Sportlich selbst im Abgang.
Zorn der Gläubiger
Die Gläubiger sind Middelhoffs Mätzchen indes leid und wollen Geld sehen. Das zeigen Pfändungsbeschlüsse und interne Briefwechsel, die der WirtschaftsWoche vorliegen. Investoren, die ihr Kapital in Immobilienfonds gesteckt haben, an denen die Eheleute Middelhoff ebenfalls beteiligt sind, bekamen die neue Gangart bereits zu spüren.
Wenige Wochen nach Middelhoffs hollywoodreifer Flucht übers heiße Blechdach fanden etwa die Gesellschafter des Kölner Immobilienfonds Ossendorf VII ein Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei Noerr in ihren Briefkästen. Höflich teilte der Berliner Anwalt mit, er arbeite im Auftrag des Bankhauses Sal. Oppenheim. Bei der ehemaligen Privatbank, die jetzt zur Deutschen Bank gehört, stehen die Middelhoffs mit rund 78 Millionen Euro in der Kreide. Das Geld hatte sich das Paar einst geliehen, um in mehrere sogenannte Oppenheim-Esch-Fonds zu investieren, darunter auch Ossendorf VII.
Inzwischen weigert sich das Paar, Zinsen und Tilgungsraten abzustottern, behauptet, falsch beraten worden zu sein, und verklagt Sal. Oppenheim auf mehr als 100 Millionen Euro. Die Bank wiederum klagt gegen die Middelhoffs – und lässt Briefe schreiben.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Für Schlagzeilen sorgte Middelhoff, als er im Juli nach einem Besuch beim Gerichtsvollzieher über ein Garagendach vor den wartenden Journalisten flüchtete. Middelhoff selbst schien stolz auf die Aktion: „Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße“, berichtete der 61-Jährige danach. Der Manager hatte beim Gerichtsvollzieher seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.
Trotz des Ärgers mit diversen Gläubigern fuhr Middelhoff an den Verhandlungstagen standesgemäß mit einer Limousine und eigenem Fahrer vor. Allerdings musste er sich nach dem Aussteigen mit allen anderen Anwesenden in die Warteschlange an der Sicherheitsschleuse einreihen.
Beim Mittagessen zeigte sich Middelhoff an den Prozesstagen bodenständig: Er nahm es in der Regel in der Gerichtskantine ein.
Der Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff begann gleich mit einer Panne. Wegen eines Formfehlers des Gerichts am ersten Tag musste das Verfahren am zweiten Tag noch einmal von vorn beginnen. Sowohl die mehr als einstündige Verlesung der Anklage als auch die weit umfangreichere persönliche Erklärung Middelhoffs mussten wiederholt werden. Middelhoff zeigte sich verärgert über die Zeitvergeudung.
Die Empfehlung, nach der Bombendrohung gegen einen Linienflieger aus Sicherheitsgründen nur noch Charterjets zu nutzen, soll nach den Worten Middelhoffs von der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz gekommen sein. Sie habe sogar zugesagt, bei Privatflügen die Mehrkosten zu übernehmen, berichtete der Manager. Schickedanz selbst bestritt allerdings als Zeugin eine derartige Zusage vehement.
Die Verteidigung Middelhoffs hat einen Freispruch für den Angeklagten gefordert. Dagegen verlangte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen schwerer Untreue - Middelhoff habe den früheren Karstadt-Quelle-Konzern „nach Gutdünken“ mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet.
Eine bei Middelhoff bei einer Taschenpfändung im Essener Landgericht gepfändete Armbanduhr der Nobelmarke Piaget wurde von der Gerichtsvollzieherin nach Zwangsvollstreckungsrecht im Internet versteigert. Der prominente Vorbesitzer ließ die Uhr für die Bieter offensichtlich attraktiv erscheinen: Obwohl ihr Wert in einem Gutachten lediglich auf 2800 Euro geschätzt wurde, erzielte sie bei der Online-Auktion am Ende einen Preis von 10 350,99 Euro.
Es gehe um den Verkauf der Fonds-Immobilie in Köln-Ossendorf im März 2014, teilte der Noerr-Anwalt in seinem Schreiben mit. Er gehe davon aus, dass der Verkaufserlös längst unter den Fonds-Gesellschaftern verteilt worden sei. Bis dato habe das Bankhaus aber „keine Zahlungseingänge verzeichnet“, obgleich Sal. Oppenheim beim Amtsgericht Bielefeld einen Pfändungsbescheid gegen Middelhoff und seine Ehefrau erwirkt habe.
Dem Brief und einem Pfändungsbeschluss zufolge hätten die Einnahmen des Paars aus dem Ossendorf-Geschäft an die Bank weitergereicht werden müssen.
Middelhoffs Erklärung für den Vorgang? Sein Anwalt ließ diese wie alle weiteren Fragen der WirtschaftsWoche aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten zu seinem Mandanten unbeantwortet.
Laut einer fondsinternen Übersicht aus dem Sommer 2014 sollen insgesamt rund 9,3 Millionen Euro an die Gesellschafter ausgeschüttet worden sein, mehr als die Hälfte davon an die größten Anteilseigner, die Middelhoffs. Da das Geld nicht geflossen sei, erwäge das Bankhaus nun „eine Inanspruchnahme der Gesellschaft“, teilte der Noerr-Anwalt mit.
Im Klartext soll das wohl heißen: Die Bank will im Zweifel Middelhoffs Co-Investoren zur Kasse bitten. Darunter sind neben Immobilienunternehmer Esch auch Maxdata-Gründer Holger Lampatz und der frühere Sal.-Oppenheim-Vorsteher Matthias Graf von Krockow.
Welche Konsequenzen der Vorgang für Middelhoff hat, ist völlig offen. Dass er die Beziehung zu seinen Co-Investoren nicht gerade fördert, ist dagegen absehbar.