Die Leute, die sich an diesem Morgen im Berliner Bahnhof Friedrichstraße die Füße platt treten, stehen nicht Schlange für ein Schnäppchen. Ihre Geduld gilt einem der 18.000 Tickets für das Konzert der Rolling Stones am 10. Juni in der Berliner Waldbühne – Preis: bis zu 250 Euro.
Doch die Mühe erweist sich als vergeblich. Der Vorverkauf „war beendet, bevor er anfing“, erinnert sich Barbara Möckel, Geschäftsführerin der Vorverkaufsstelle. „Wir haben nicht eine Karte aus dem Buchungssystem erhalten.“ Ähnliches passierte später in Düsseldorf beim Vorverkauf für den Auftritt der Altrocker am 19. Juni in der dortigen Esprit-Arena mit 43.000 Plätzen. Am Rhein hieß es nach 25 Minuten „ausverkauft“.
Gewinnmaschine Internet
Diese Knappheit hat eine bisher wenig beachtete Ursache: den Internet-Tickethändler CTS Eventim. Der baut seine Macht im Geschäft mit Eintrittskarten immer weiter aus – und das nicht nur, indem er die rund 3.000 unabhängigen Vorverkaufsstellen hierzulande bei der Zuteilung von Tickets zunehmend austrocknet.
Experten gehen davon aus, dass der Branchenriese mit Sitz in Bremen und Beteiligungen in 21 Ländern bald den Schritt auf einen anderen Kontinent wagt, etwa in die USA oder nach Lateinamerika. Indiz dafür ist die Änderung der Rechtsform von einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien.
Das ermöglicht CTS-Chef Klaus-Peter Schulenberg, neue Gesellschafter aufzunehmen und damit das Kapital zu erhöhen, ohne dass er seine 50,2-prozentige Mehrheit am Unternehmen reduzieren muss. Kenner von CTS glauben, dass der 62-jährige Gründer demnächst wohl einen dreistelligen Millionenbetrag ins Unternehmen schaufelt, um über Europa hinaus zu expandieren. Schulenberg selbst schweigt dazu.
CTS Eventim verkauft hierzulande etwa 80 Prozent aller Eintrittskarten für Pop- und Rock-Konzerte, schätzen Branchenkenner. Hinzu kommen europaweit gut 180.000 weitere Events, bei denen die Bremer ihre Finger im Spiel haben, darunter exklusiv die vergangene Winterolympiade im russischen Sotschi, die Eishockey-Spiele der Kölner Haie, das Konzert der Heavy-Metal-Band Metallica in Hamburg und die angesichts hoher Preise lukrative Hochkultur wie die Darbietungen des legendären Mailänder Opernhauses Scala.
Den ersten Platz unter Europas Ticketverkäufern verdankt CTS Eventim der Strategie, die der einer Krake ähnelt. Schulenberg greift inzwischen nach allen vor- und nachgelagerten Bereichen des Kartengeschäfts.
Im Zentrum steht die Veranstaltung von Konzerten und Aufführungen auf eigene Rechnung, wo CTS Eventim es weltweit zum drittgrößten Anbieter gebracht hat. Diese Doppelrolle macht das Unternehmen zum Schrecken klassischer Vorverkaufsstellen. Denn sie erlaubt CTS, die Kartenvolumina dorthin zu schieben, wo der Absatz am meisten Gewinn bringt – also auch an die eigene Ticket-Verkaufsabteilung.
Der Motor des Profits
Die hat Schulenberg zu einer Gewinnmaschine ausgebaut, die mittlerweile gut die Hälfte des Geschäfts rund um ein Musik- und sonstiges Ereignis abgreift. Motor des Profits ist dabei das Internet, das CTS Eventim virtuos einsetzt. „Die Wertschöpfung ist im Internet-Vertrieb sechsmal höher als beim klassischen stationären Verkauf“, sagt Schulenberg. „Dafür haben wir in den vergangenen Jahren mehr als 100 Millionen Euro in unsere IT-Systeme gesteckt.“ 240 der insgesamt 1800 Mitarbeiter tun nichts anderes, als ein Buchungssystem zu optimieren, auf das drei Millionen Kunden gleichzeitig zugreifen können. Noch läuft der Vorverkauf meist über den Schalter. Doch das ändert sich: 2013 verkaufte CTS jede fünfte Karte online – 16 Prozent mehr als 2012.
Da CTS online nicht mit anderen teilen muss, kann das Unternehmen bis zu 40 Prozent des eigentlichen Kartenpreises als Zusatzumsatz von den Kunden kassieren. Das sei „leicht verdientes Geld, ohne irgendein wirtschaftliches Risiko zu tragen“, sagt der Berliner Veranstalter und Buchautor Berthold Seliger („Das Geschäft mit der Musik“). „To scalp the fans“, würden das die Amerikaner nennen, so Seliger: „Den Kunden wird das Fell über die Ohren gezogen.“
In der Praxis funktioniert das so: In der Regel kassiert CTS Eventim wie die meisten Vorverkaufsstellen 10 bis 15 Prozent des Ticketpreises als Vorverkaufsgebühr. Als Nächstes verlangt Schulenberg von den stationären Vorverkaufsstellen, die Tickets über CTS Eventim beziehen, eine sogenannte Systemgebühr bis zu zwei Euro pro Karte. Für die Buchung selbst kassiert CTS Eventim bis zu zwei weitere Euro.
Wer das Ticket am heimischen PC ausdrucken will, zahlt für diesen einzigen Knopfdruck weitere 2,50 Euro. Wer es per Post möchte, zahlt CTS für das Eintüten des Tickets und Freistempeln des Couverts 4,90 Euro. Eine Ticketversicherung, die beim Bestellvorgang praktischerweise mit Häkchen aktiviert ist, bringt CTS weitere 3,50 Euro.
„Eventim hat ein Gebührenmodell gesellschaftsfähig gemacht, das alle Mitbewerber mehr oder weniger kopieren“, sagt Branchenkenner Hans-Wolfgang Trippe aus Bad Münstereifel bei Bonn. Dabei bringt das Veranstalten von Konzerten und sonstigen Ereignissen vor allem Umsatz, der Verkauf der Tickets dagegen den großen Gewinn
Junge mit Mundharmonika
So entfielen 2013 fast 60 Prozent des Umsatzes von 628,3 Millionen Euro auf das Veranstaltungsgeschäft. Hier geht CTS Eventim das Wagnis ein, für viel Geld etwa Rockgruppen zu engagieren, Hallen zu mieten und Werbung zu schalten, in der Hoffnung, die Ausgaben durch den Ticketverkauf einzuspielen. Risikolos ist dagegen der Verkauf von Tickets, bei dem der Händler weder in Vorkasse treten noch Ware auf eigene Rechnung erwerben und losschlagen muss.
Folge: Während das Veranstaltungsgeschäft 60 Prozent des Umsatzes bringt, stammten drei Viertel des Gewinns aus dem Ticketverkauf. Der Profit vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen im Gesamtkonzern machte 2013 einen Sprung um fast 14 Prozent auf 136,3 Millionen Euro. Kein Wunder, dass „mittelfristig die Hälfte des gesamten Ticketvolumens über das Internet verkauft werden soll“, wie Schulenberg ankündigt.
Mit viel Aggressivität zum Milliardär
Der Bremer ist die Sorte Selfmademan, der es in vier Jahrzehnten mit viel Aggressivität zum Milliardär gebracht hat. Noch nicht volljährig, nahm er 1971 den Schnulzensänger Bernd Clüver („Der Junge mit der Mundharmonika“) als Manager unter seine Fittiche. Zwei Jahre später, während des Studiums, das er später sausen ließ, gründete er die Konzertagentur KPS.
Seinen größten Coup landete er 1996 mit dem Kauf des defizitären Ticketvermarkters Computer Ticket Service (CTS). Schulenberg witterte als einer der Ersten das große Geschäft rund um Musik- und sonstige Events. Er brachte den Laden in Schwung und 2000 als CTS Eventim an die Börse.
Der Drang nach immer mehr Macht gehört zu Schulenberg wie die Eintrittskarte zum Konzert. Als er 2011 den größten heimischen Konkurrenten Ticket Online übernahm, ahnten Wettbewerber das Unheil. Das Bundeskartellamt urteilte zwar, „dass CTS Eventim durch den Zusammenschluss insbesondere auf dem Markt für elektronische Ticketsysteme hohe Marktanteile erreichen wird, die eine marktbeherrschende Stellung möglich erscheinen lassen“. Dagegen vorzugehen lehnte es jedoch ab, auch weil Schulenberg den Anteil am Hamburger Konkurrenten FKP Scorpio Konzertproduktionen auf 45 Prozent reduzierte.
Doch Schulenberg wäre nicht er selbst, überließe er sein Stammgeschäft Konzert- und Tour-Management der Konkurrenz. Also übernahm CTS Eventim im Laufe der Jahre die Creme der deutschen Veranstalter wie die renommierte Marek Lieberberg Konzertagentur (MLK) in Frankfurt.
Der Übernahmezug machte Schulenberg auch zum Herrscher über die immer zahlreicheren Musikfestivals in Deutschland wie Rock am Ring. „Nicht nur wesentliche Teile des deutschen Tour- und Konzertgeschäfts, sondern auch mindestens 16 der 20 größten deutschen Musikfestivals sind damit praktisch in der Hand eines einzigen Unternehmens“, sagt Branchenkenner Seliger.
Ticketexperte Trippe ergänzt: „CTS Eventim geht es darum, möglichst viele Stufen der Wertschöpfungskette zu verknüpfen und zu kontrollieren: vom Veranstalten eigener Events, als Betreiber von Spielstätten bis zum Verkauf der Eintrittskarten.“
Freibrief vom Kartellamt
Ein Ende dieser Wertschöpfungskette scheint nicht in Sicht. Zurzeit buhlt CTS Eventim mit dem Berliner Konzertveranstalter Deutsche Entertainment um die Pacht der Berliner Waldbühne. Schulenberg sicherte sich 2009 den Betrieb der traditionsreichen Freilichtbühne, die die Nazis zu den Olympischen Spielen 1936 anlegen ließen. Sie ist nicht die einstige Location, die CTS Eventim betreibt. Seit 2011 betreibt CTS auch den Berliner Eventtempel Tempodrom (gut 3.000 Plätze). 2012 kamen das weltbekannte Hammersmith Apollo (knapp 8.700 Plätze) in London und die Lanxess Arena in Köln (bis zu 20.000 Plätze) dazu.
Die Gnade des Kartellamts
Auch hier kann CTS Eventim auf die Gnade des Bundeskartellamtes bauen, das in der Marktmacht quer durch das Veranstaltungsbusiness noch immer keine Gefahr für den Wettbewerb sieht. Die Bonner Beamten prüften die Frage, ob CTS Eventim seine Marktposition missbraucht, indem das Unternehmen konkurrierende Veranstalter von der Lanxess Arena fernhält oder durch schlechtere Buchungsbedingungen behindert. Und das Amt prüft, ob CTS Eventim Druck auf Fremdveranstalter ausübt, um den Ticketvertrieb aller dort stattfindenden Veranstaltungen an sich zu reißen.
Die Antwort des Bundeskartellamtes fiel im Sinne von CTS aus: „Die mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden marktbeherrschenden Stellungen von Eventim im Veranstalter-Markt und im Ticketvertriebsmarkt werden durch den Erwerb der Lanxess Arena nicht verstärkt.“ Es gebe ja für Veranstalter genug Ausweichmöglichkeiten zur Lanxess Arena, etwa die König-Pilsener-Arena in Oberhausen. Außerdem erwartet das Amt nicht, dass CTS fremden Veranstaltern vorgeben kann, Tickets nur über das Eventim-System zu vertreiben.
Für Schulenberg ist das wie ein Freibrief, ungehemmt weiter zu wachsen. „Bei uns wird jeder Veranstalter gleich behandelt“, behauptet er, „unabhängig davon, ob er zur Gruppe gehört oder nicht.“
Branchenexperte Trippe schmunzelt darüber nur. „Eventim kann sehr wohl deutlich machen, wer Herr im Hause ist“, sagt er. „Die können mit exklusiven Vorverkaufsaktionen, die den Direktvertrieb und die damit verbundenen Gebührenerlöse forcieren, dafür sorgen, dass lediglich deren Web-Shop oder Callcenter freigeschaltet werden soll.“ Scumeck Sabottka, Chef der Berliner MCT Agentur GmbH, behauptet sogar, „dass Veranstalter, die das Kartengeschäft nicht aus der Hand geben wollen, eine höhere Miete zahlen müssen“.
Sabottka, der die Touren der Bands Rammstein und Kraftwerk organisiert und 2014 den britischen Superstar Robbie Williams sowie die kanadische Indie-Rockgruppe Arcade Fire durch Deutschland schickt, geht darum eigene Wege. So bucht er nicht die von CTS gepachtete Waldbühne, sondern das Amphitheater Wuhlheide im Osten Berlins. Dazu verkauft er die Karten über die Online-Plattform tickets.de, die er 2005 gründete. Vorverkaufsgebühr zehn Prozent, Zusatzkosten: keine.
„Eventim mit ihrem unverschämten Gebührengebaren meide ich wie die Pest“, sagt Sabottka. „Durch jede zu viel gezahlte Gebühr wächst die Kriegskasse der an CTS Eventim gebundenen Tournee- und Konzertveranstalter. Damit erhalten die ihre Monopolstellung.“