Tod eines CEO Warum ganz Indien um einen Geschäftsmann trauert

VG Siddhartha Quelle: Getty Images

Der Chef der indischen Kaffeehauskette „Cafe Coffee Day“ war ein glühender Verfechter der europäischen Kaffeekultur. Sein Vorbild: Tchibo. In Indien ist sein überraschender Tod zu einem Politikum geworden.

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Die Idee, eine Kaffeehaus-Marke zu gründen, kam VG Siddhartha, als er ein Mitglied der Familie Herz traf, den Eigentümern der Hamburger Kaffeedynastie Tchibo. Der Inder Siddhartha wusste, dass die bekannteste deutsche Kaffeemarke 1949 in Hamburg mit einem kleinen Outlet begann und sich zur zweitgrößten Kaffeerösterei Europas entwickelte. „Wenn Tchibo es in 40 Jahren so weit bringen konnte, warum nicht auch wir“, sagte Siddhartha, der in eine alte Familie von Kaffeeplantagenbesitzern hineingeboren wurde, 2016 in einem Interview mit der Zeitung „The Times of India“. „Tchibo hat mich inspiriert, eine Marke zu gründen.“

Siddhartha eröffnete 1996 den ersten Laden, zu einer Zeit, als kaum ein Inder mit dem Konzept eines Cafés etwas anzufangen wusste. Es folgte ein beeindruckender Aufstieg zu Indiens bekanntester Kaffeemarke, mit weit mehr Filialen in Indien als Starbucks. Siddhartha und sein Imperium wurden zum Symbol einer aufstrebenden indischen Mittelschicht und des wirtschaftlichen Aufstiegs von Indien. Anfang dieser Woche nahm sich Siddhartha offenbar das Leben. Ein Land trauert – sein Tod ist auch ein Politikum im Lande.

VG Siddhartha, Gründer und Chef von Coffee Day Enterprises (CDEL), leitete die beliebte Cafe Coffee Day (CCD)-Kette mit mehr als 1752 Cafés in Indien, verglichen mit nur 140 Cafés des Konkurrenten Starbucks. Cafe Coffee Day in Indien ist das, was Starbucks in den USA ist, wenn auch eine kleinere Version mit Outlets in 243 Städten, darunter Neu-Delhi, Mumbai, Kalkutta, Pune und Bengaluru, wo es seinen Sitz hat.

In einem Brief an den Vorstand von CDEL, der erst nach dem Tod von Siddhartha öffentlich wurde, soll der 60-Jährige geschrieben haben, dass er lange gekämpft, aber schließlich aufgegeben habe, da er „keinen Druck mehr von einem der Private Equity-Partner ertragen konnte“. Dieser habe ihn gezwungen, Aktien zurückzukaufen, obwohl er diese Transaktion bereits vor sechs Monaten teilweise abgeschlossen hatte, „indem ich mir eine große Summe Geld von einem Freund geliehen hatte“. Indische Medien spekulieren, dass dies ein Hinweis auf KKR sein könnte, die in New York ansässige Private Equity-Firma, die sechs Prozent an CDEL hält. Siddhartha und seine Tochtergesellschaften besitzen rund 54 Prozent.

„Wir sind zutiefst traurig über die Entwicklungen und unsere Gedanken sind zu diesem Zeitpunkt bei seiner Familie. Wir glauben an VG Siddhartha und hatten vor neun Jahren in das Unternehmen investiert“, sagte KKR in einer Erklärung.

In Indien sind Private Equity-Firmen durch den Vorfall erneut zum Ziel einer öffentlichen Debatte geworden. Sie stehen im Verdacht, langfristige Ziele der Unternehmen zugunsten von kurzfristigen Gewinnen zu opfern. Andere sehen in ihnen dagegen wertvolle Anteilseigner, die den Wert eines Unternehmens heben. Hedgefonds sind jedenfalls bekannt dafür, dass sie Druck auf das Management erhöhen, wenn ihnen der strategische Kurs missfällt.

Daran hängt sich nun die Kritik in Indien auf. Der Brief „scheint darauf hinzudeuten, dass der Private Equity-Fondsmanager wie ein Geldverleiher gehandelt hat und scheinbar unerträglichen Stress verursacht haben muss“, twitterte Kiran Mazumdar-Shaw, Geschäftsfrau und Eigentümerin des biopharmazeutischen Unternehmens Biocon. „Das muss untersucht werden“, forderte die Milliardärin, eine der reichsten Inderinnen.

In dem Brief an den Vorstand schreibt Siddhartha offenbar auch, dass er mit enormem Druck von anderen Kreditgebern konfrontiert gewesen sei. Außerdem sollen die Einkommensteuerbehörden seit Jahresanfang Druck wegen eines Deals zum Verkauf seiner Beteiligung an Mindtree, einem mittelständischen Informationstechnologieunternehmen, gemacht haben. „Es ist mir trotz aller Bemühungen nicht gelungen, das richtige profitable Geschäftsmodell zu entwickeln“, heißt es in dem Brief.

Sein Tod ist beispiellos in der indischen Geschäftswelt. Der Unternehmer hat zugegeben, dass sich sein Unternehmen in einer schweren Liquiditätskrise befand, und hat dafür die Verantwortung übernommen. Damit steht er im Gegensatz zu vielen Unternehmern in Indien, die riesige Schulden in den Bilanzen angehäuft haben und ihre Firma in die Insolvenz trieben, ohne für das Scheitern die Verantwortung zu nehmen. „Jede Finanztransaktion liegt in meiner Verantwortung“, schrieb Siddhartha. Sein Team und seine Top-Manager hätten von den Problemen nichts gewusst. „Das Gesetz sollte mich und nur mich zur Verantwortung ziehen, da ich diese Informationen allen, einschließlich meiner Familie, vorenthalten habe.“

Siddhartha, dessen Nettovermögen 2015 laut Forbes etwa 1,2 Milliarden Dollar betrug, verschwand auf dem Weg nach Mangaluru, einer Hafenstadt im Südwesten Indiens, von Bengaluru, dem Silicon Valley des Landes. Er wurde zuletzt von seinem Fahrer gesehen, der ihn auf seinen Wunsch hin auf einer Brücke abgesetzt hatte. Siddhartha hatte ihn nach Angaben der örtlichen Polizei gebeten, am anderen Ende der Brücke zu warten. Das gab Anlass zu Spekulationen, dass er sich das Leben genommen haben könnte, indem er in den Fluss unten sprang. Nachdem der Tod und sein Brief öffentlich wurden, stürzte die Aktie des Unternehmens ab.

1996 startete Siddhartha sein erstes Café in Bengaluru. Heute gibt es Shops in Tschechien, Österreich, Ägypten und Malaysia. Das Logo des Unternehmens („A lot can happen over coffee“) war ein Hit bei den Indern, die in den postliberalisierten Wirtschaftstagen der 90er und 2000er Jahre aufwuchsen. Es gab immer mehr Jobs, die Einkommen stiegen, die Mittelschicht wuchs. All das brachte einen Popularitätsschub der Kaffeekette, die zu einem Treffpunkt für jungen Inder und erste Dates wurde.

In den letzten Jahren wurde der Wettbewerb auf dem indischen Kaffeemarkt jedoch immer heftiger. Der Umsatz wuchs zuletzt nicht mehr so stark wie früher. CCD stand auch unter Druck, seine Schulden im Laufe der Zeit zu reduzieren. Berichten zufolge befand sich Siddhartha auch in Gesprächen mit Coca Cola, um eine bedeutende Beteiligung an seinem Hauptgeschäft zu verkaufen und die Schulden so weiter zu reduzieren. Das Unternehmen, das bei seinem Börsengang vor vier Jahren mit rund 850 Millionen US-Dollar bewertet wurde, ist derzeit nur noch knapp 380 Millionen US-Dollar wert.

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