Trendaktien Wie Gamestop und AMC ihre Meme-Aktien nutzen – auf Kosten der Investoren

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Kinos und das Internet

AMC ist – seit CEO Adam Aron 2016 übernahm – auf einem schuldenfinanzierten Expansionskurs und übernahm unter anderem die europäischen Kinoketten UCI und Odeon sowie den US-Konkurrenten Carmike Cinemas. Die Kinos wurden grundrenoviert und mit neuester Technik ausgestattet, doch die Zuschauerzahlen gingen weiterhin langsam aber beständig zurück. Ticketpreise stiegen, über Treueangebote sollte auch bei der kulinarischen Verpflegung mehr Umsatz pro Kunde gemacht werden. Doch der Aktienkurs sank von 2016 bis 2019 um 70 Prozent.

Die letzten Geschäftserfolge wurden dann von der Coronakrise zunichte gemacht: Immerhin 136 Millionen Dollar operativer Gewinn standen hinter dem Geschäftsjahr 2019, bei 149 Millionen Dollar Gesamtverlust. Die Corona-Krise jedoch schlug bei den Kinobetreibern voll ein: 2020 bracht der Umsatz um 77 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar ein, was für AMC knapp vier Milliarden Dollar operativen Verlust bedeutete – und 4,6 Milliarden Dollar Gesamtverlust.

AMC setzt den Zukaufskurs dennoch fort und plant gerade die Übernahme der Los-Angeles-Standorte des bankrotten US-Konkurrenten Pacific Theatres und deren Tochter ArcLight – dazu gehört auch ein prestigeträchtige Lichtspielhaus am Broadway.

Das Geld dafür kommt auch aus der Ausgabe neuer Aktien – mit einem neuen Schwung Anfang Juni nahm AMC 587 Millionen Dollar ein und überschritt damit die Marke von 1,5 Milliarden Dollar frischem Kapital aus Aktienverkäufen in diesem Jahr – davon 1,25 Milliarden im zweiten Quartal. Der reißende Absatz der Aktien, die „nach und nach“ abgegeben werden sollten und nach drei Stunden ausverkauft waren, liegt auch am Verhalten von AMC-Chef Adam Aron.

Er begann im Mai damit, aktiv mit dem Image als Neobroker-Liebling zu spielen, bot Investoren im Juni gar kostenloses Popcorn an – der Kurs stieg um 93 Prozent, einen Tag vor der Ausgabe neuer Anteile. Auch nach dieser Verwässerung zog die Aktie weiter an.

Fraglich bleibt, ob AMC mit dem aktuellen Kurs dauerhaft profitabel werden kann. Analysten erwarten erst 2023 wieder einen operativen Gewinn bei AMC. Und die Kinoschließungen in der Pandemie haben neben dem Sinken der Zuschauerzahlen einen weiteren Trend verschärft: Das aggressive Vorgehen der großen Filmverleiher bei den Auswertungsfenstern.

Liefen Filme früher noch im Kino und erschienen Monate später auf DVD, werden die Abstände seit Jahren kleiner. Für die Kinos bedeutet das weniger zahlendes Publikum. Wer den gleichen Film in wenigen Wochen im Internet streamen kann, überlegt sich zwei Mal, ob er für genau diesen Streifen die teurere Kino-Erfahrung braucht.

In der Pandemie gab es nun gar keine Auswertungsfenster mehr: Die Kinos waren zu, die Filme erschienen direkt als Stream. Disney schob seinen eigenen Streaming-Service Disney+ ordentlich an, die wohl wichtigsten Filmreihen Star Wars und das „Marvel Cinematic Universe“ um die Avengers liefen hier exklusiv. Und das will Disney offenbar für den nächsten großen Kracher „Black Widow“ beibehalten: Er läuft zeitgleich in den Kinos und auf Disney+ an.

Die nötige Konsolidierung in der Branche, die auch zu Schließungen führen dürfte, wird durch die Krise beschleunigt. Für die Investoren bleibt AMC dadurch weiter hochriskant durch die Ungewissheit, ob die Besucherzahlen der Kinos sich nach der Krise umfangreich genug erholen.

Der alte Spieleladen

Eine recht andere Strategie verfolgt Gamestop. Die zentrale Figur beim Videospiel-Händler ist Ryan Cohen. Der aktivistische Großinvestor, der zuvor bereits den Tierbedarf-Versandhandel Chewy erfolgreich aufgebaut hat, übernimmt seit Jahresbeginn nach und nach die Kontrolle im Unternehmen. Seit März leitet er das Komitee für „strategische Planung und Kapitalallokation“ und tauschte darüber fast die komplette Chefetage des Unternehmens aus. Dafür installierte er hautpsächlich mehr als eine Handvoll ehemaliger hochrangiger Amazon-Manager und dazu einige Vertraute aus seiner Zeit bei Chewy.

An der Spitze steht Matt Furlong als CEO, der zuvor Australien-Chef von Amazon war. Auch der neue CFO Mike Recupero kommt aus dem Bezos-Unternehmen: zuletzt war er Finanzchef des Nordamerikanischen Konsumentengeschäfts, davor füllte er die Rolle auch schon für das Europageschäft und die Streamingtochter Amazon Prime Video aus. An der Spitze des „board of directors“, ähnlich dem deutschen Aufsichtsrat, steht Ryan Cohen seit der Hauptversammlung Anfang Juni selbst.

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Das macht die Stoßrichtung der neuen Unternehmensstrategie klar: Digitaler, weniger abhängig von den Ladengeschäften, deren Zulauf in der Krise weiter eingebrochen ist. Gamestop soll ein moderner Technologie-Anbieter für Gamer werden.

Fraglich bleibt, was genau das heißen soll. Denn der Videospielmarkt ist eigentlich bereits stark aufgeteilt: Eine Plattform für den digitalen Kauf der Spiele ist mit Steam etabliert, Epic Games verfeuert seit Jahren Milliarden Dollar in Exklusivdeals, um den eigenen Store konkurrenzfähig zu machen. Im Streaming-Geschäft sind die Platzhirsche Googles Youtube und Amazons Twitch. Die Versorgung mit physischen Spiele-Kopien und Merchandise ist über Amazon ebenfalls gesichert.

Gamestop wird erst noch zeigen müssen, ob sie eine eigene Nische finden, denn zum Angriff auf die Branchen-Schwergewichte reichen die Einnahmen aus den Meme-Aktien nicht. Und dann ist da noch das notorisch schlechte Image, das Gamestop bei Spielern seit langem in Sachen Kundenservice und Fairness hat.

Zumindest das Geschäft mit gebrauchten Spielen fällt im digitalen Raum weg. Wer hier einen Fehlkauf tätigt, bekommt nicht einmal mehr seine fünf Euro zurück.

Mehr zum Thema: „Viele Leute haben keine Ahnung von Börse.“ Aktionärsschützer Daniel Bauer macht für den aktuellen Hype um wertlose Aktien vor allem fehlende Finanzbildung verantwortlich.

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