Trendaktien Wie Gamestop und AMC ihre Meme-Aktien nutzen – auf Kosten der Investoren

Die Aktien der Unternehmen Gamestop und AMC gingen wegen eines Internet-Hypes durch die Decke. Quelle: Imago

Videospielhändler Gamestop und UCI-Kinowelten-Betreiber AMC nehmen dank Internet-Hype Milliarden Dollar mit Aktienverkäufen ein. Um ihre Unternehmen zukunftstauglich zu machen, gefährden sie das Geld ihrer Investoren.

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Fünf Euro, mehr kann ich nicht machen: Gamestop ist berüchtigt unter Videospielfans. Lange vor der überraschenden Aktienrally im Januar war es ein weltweiter running gag, dass Spieler bei Gamestops Gebraucht-Ankauf für ihre komplette Spielesammlung nur den Gegenwert eines halben Kinotickets bekamen. Bei Gamestop kosteten die Spiele dann wieder knapp unter Neupreis – oft 50 Euro und mehr.

Ein Modell, das Gamestop nun auch auf die eigenen Aktien übertragen hat. 2019 kaufte das Unternehmen 38,1 Millionen Anteile zurück – zu je 5,19 Dollar, Gesamtpreis: 198,7 Millionen Dollar. Einen Reddit-Meme-Aktien-Hype mit Spitzenkursen über 400 Dollar und einen beinahe kompletten Tausch der Führungsriege später hat der Spielehändler nun Mitte Juni 2021 fünf Millionen Aktien per Direktplatzierung ausgegeben. Gesamteinnahmen: Etwa 1,13 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Kurs von über 225 Dollar je Aktie – mehr als das 40-fache des Preises, den Gamestop 2019 selbst zahlte.

Auch andere Unternehmen nutzen ihre durch Internet-Hypes aufgeblasenen Kurse, um die Unternehmenskassen zu füllen: Zum Beispiel der Kinobetreiber AMC, zu dem in Deutschland die UCI-Kinowelten gehören. Das Verhalten der Unternehmen läuft Marktgepflogenheiten zuwider und kann für die Investoren durchaus gefährlich werden. Wie wahrscheinlich ist es, dass Gamestop und AMC das eingesammelte Geld erfolgreich für nachhaltigen Wandel nutzen und zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickeln?

Im Januar erlebte die Welt ein bisher einmaliges Börsenschauspiel: Nutzer der Internetforen-Plattform Reddit hatten sich zusammengeschlossen, um den Hedgefonds eins auszuwischen. Abgesprochen im Forum „Wall Street Bets“ kauften Kleinanleger über Neobroker-Apps wie Robin Hood massenhaft Aktien der gebeutelten stationären Videospiel-Ladenkette Gamestop und des strauchelnden Kinobetreibers AMC. Auf beide Unternehmen waren besonders viele Short-Positionen abgeschlossen worden – Wetten auf fallende Kurse. Die stark steigenden Aktien sorgten für Milliardenverluste bei einigen Hedgefonds wie Melvin Capital, der britische Fonds White Square Capital gab nach heftigen Verlusten zu Beginn des Jahres inzwischen das Geschäftsfeld mit den Absturz-Wetten auf.

Bis hierhin ist das ein reines Börsenspektakel. Die Aktien blieben zwar nicht auf ihren Himmelfahrtskursen, Gamestop pendelt aber seit Anfang März zwischen etwa 600 und 1500 Prozent Plus zum Jahresbeginn. AMC liegt nach weiteren steilen Anstiegen ab Mitte Mai nun etwa 2300 Prozent im Plus zu Anfang Januar.

Die Unternehmen wollen aber auch selbst mitverdienen. AMC und Gamestop geben wiederholt Aktien per Direktplatzierung aus. Danke der hohen Kurse haben beide damit in diesem Jahr bereits über 1,5 Milliarden Dollar eingenommen. Börsenprofis sagen, hinter dem Aktienkurs stecke kein wirklicher Wert, über kurz oder lang würden die teuren Aktien wieder näher an die Werte vom Jahresbeginn fallen. Also ein Betrug an gutgläubigen Kleininvestoren, die immer mehr Geld in eine falsche Erfolgsstory stecken?

So einfach ist es nicht. Die Aktien gehören weder zu den volatilsten am Markt, noch ist das Kurs-Umsatz-Verhältnis besonders astronomisch. Von den reinen Börsenwerten sind es recht übliche Aktien, gerade im Vergleich mit manch flatterhaftem Tech-Papier, wie Nir Kaissar von Bloomberg vorrechnet.

Was diese Aktienrallys von anderen unterscheidet, ist das Fehlen einer fundamentalen Substanz für den Kursanstieg. Selbst in der Dotcom-Blase gab es zwar überzogene Erwartungen und viele (teils betrügerische) Player, die sich gegenseitig anheizten – aber es gab eben auch ein real schnell wachsendes Geschäft, das trotz des Platzens der Blase heute noch größer ist, als man es damals vermutete.

So ein reales Wachstum gibt es bei Gamestop und AMC nicht. Für den Druckkochtopf der sich gegenseitig befeuernden Erwartungen brauchte es nur ein Internetforum. Dank Neobroker-Apps wie Trade Republic können die User ohne Kommission selbst direkt an der Börse handeln und sich bei steigenden Kursen immer weiter anheizen.



Auf den fundamentfreien Hype folgte aber eine weitere Überraschung: Die Kurse brachen bei weitem nicht so stark wieder ein, wie Experten es voraussagten. Die Reddit-Investoren sind hartnäckiger als gedacht.

Inzwischen sind sie auch entscheidend für die Unternehmensfinanzierung: Nicht umsonst platzierten beide Unternehmen ihre Anteile fast vollständig direkt am Markt und verkauften sie innerhalb weniger Stunden komplett aus.

Hinter dem vermeintlich „leicht gemachten Geld“ steht aber auch ein erhebliches Risiko. Denn die Ausgabe der Aktien zum höchstmöglichen Kurs widerspricht einer üblichen Marktlogik: Investoren wollen bei niedrigen Kursen kaufen und bei möglichst hohen verkaufen, damit sich ihr Investment lohnt. Dementsprechend verkaufen Unternehmen neue Anteile sonst eher zu niedrigen Kursen – hoher Kapitalbedarf bedeutet eben auch, dass das Unternehmen gerade nicht im Geld schwimmt. Wenn das Geschäft schwächer ist, ist es oft auch der Börsenkurs.

Wenn das Geschäft dann dank der Investitionen wieder brummt und ungenutzte Barmittel in die Kasse spült, wird über Aktienrückkäufe häufig die Eigenkapitalbasis gestärkt – und damit auch der höhere Börsenkurs. Beim Handel mit den eigenen Aktien geht es für Unternehmen eben nicht um den maximalen Gewinn, sondern auch um das Verhältnis zu den Investoren.

Mit jeder dieser ungewöhnlichen Finanzierungsrunden steigt so das Risiko für die neue Investoren-Fangemeinde: Sie halten immer mehr Aktien, die sie zu immer höheren Preisen eingekauft haben. Damit sich das nicht rächt, muss das Geld in eine nachhaltige Unternehmensentwicklung fließen.

Die entscheidende Frage ist nun: Können Gamestop und AMC mit dem neuen Geld den Wandel in ihren Unternehmen so erfolgreich vorantreiben, dass sie einen fundamentalen Grund für das Kurswachstum „nachreichen“ und so einen Absturz der Aktien verhindern? Denn die Fans stehen zwar teilweise im besten Sinne fanatisch hinter „ihren“ Unternehmen. Trotzdem dürfte die Stimmung irgendwann kippen, sollten sie ihre investierten Ersparnisse nach und nach verschwinden sehen. AMC und Gamestop verfolgen dabei unterschiedliche Strategien – beide mit ungewissem Ausgang.

Kinos und das Internet

AMC ist – seit CEO Adam Aron 2016 übernahm – auf einem schuldenfinanzierten Expansionskurs und übernahm unter anderem die europäischen Kinoketten UCI und Odeon sowie den US-Konkurrenten Carmike Cinemas. Die Kinos wurden grundrenoviert und mit neuester Technik ausgestattet, doch die Zuschauerzahlen gingen weiterhin langsam aber beständig zurück. Ticketpreise stiegen, über Treueangebote sollte auch bei der kulinarischen Verpflegung mehr Umsatz pro Kunde gemacht werden. Doch der Aktienkurs sank von 2016 bis 2019 um 70 Prozent.

Die letzten Geschäftserfolge wurden dann von der Coronakrise zunichte gemacht: Immerhin 136 Millionen Dollar operativer Gewinn standen hinter dem Geschäftsjahr 2019, bei 149 Millionen Dollar Gesamtverlust. Die Corona-Krise jedoch schlug bei den Kinobetreibern voll ein: 2020 bracht der Umsatz um 77 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar ein, was für AMC knapp vier Milliarden Dollar operativen Verlust bedeutete – und 4,6 Milliarden Dollar Gesamtverlust.

AMC setzt den Zukaufskurs dennoch fort und plant gerade die Übernahme der Los-Angeles-Standorte des bankrotten US-Konkurrenten Pacific Theatres und deren Tochter ArcLight – dazu gehört auch ein prestigeträchtige Lichtspielhaus am Broadway.

Das Geld dafür kommt auch aus der Ausgabe neuer Aktien – mit einem neuen Schwung Anfang Juni nahm AMC 587 Millionen Dollar ein und überschritt damit die Marke von 1,5 Milliarden Dollar frischem Kapital aus Aktienverkäufen in diesem Jahr – davon 1,25 Milliarden im zweiten Quartal. Der reißende Absatz der Aktien, die „nach und nach“ abgegeben werden sollten und nach drei Stunden ausverkauft waren, liegt auch am Verhalten von AMC-Chef Adam Aron.

Er begann im Mai damit, aktiv mit dem Image als Neobroker-Liebling zu spielen, bot Investoren im Juni gar kostenloses Popcorn an – der Kurs stieg um 93 Prozent, einen Tag vor der Ausgabe neuer Anteile. Auch nach dieser Verwässerung zog die Aktie weiter an.

Fraglich bleibt, ob AMC mit dem aktuellen Kurs dauerhaft profitabel werden kann. Analysten erwarten erst 2023 wieder einen operativen Gewinn bei AMC. Und die Kinoschließungen in der Pandemie haben neben dem Sinken der Zuschauerzahlen einen weiteren Trend verschärft: Das aggressive Vorgehen der großen Filmverleiher bei den Auswertungsfenstern.

Liefen Filme früher noch im Kino und erschienen Monate später auf DVD, werden die Abstände seit Jahren kleiner. Für die Kinos bedeutet das weniger zahlendes Publikum. Wer den gleichen Film in wenigen Wochen im Internet streamen kann, überlegt sich zwei Mal, ob er für genau diesen Streifen die teurere Kino-Erfahrung braucht.

In der Pandemie gab es nun gar keine Auswertungsfenster mehr: Die Kinos waren zu, die Filme erschienen direkt als Stream. Disney schob seinen eigenen Streaming-Service Disney+ ordentlich an, die wohl wichtigsten Filmreihen Star Wars und das „Marvel Cinematic Universe“ um die Avengers liefen hier exklusiv. Und das will Disney offenbar für den nächsten großen Kracher „Black Widow“ beibehalten: Er läuft zeitgleich in den Kinos und auf Disney+ an.

Die nötige Konsolidierung in der Branche, die auch zu Schließungen führen dürfte, wird durch die Krise beschleunigt. Für die Investoren bleibt AMC dadurch weiter hochriskant durch die Ungewissheit, ob die Besucherzahlen der Kinos sich nach der Krise umfangreich genug erholen.

Der alte Spieleladen

Eine recht andere Strategie verfolgt Gamestop. Die zentrale Figur beim Videospiel-Händler ist Ryan Cohen. Der aktivistische Großinvestor, der zuvor bereits den Tierbedarf-Versandhandel Chewy erfolgreich aufgebaut hat, übernimmt seit Jahresbeginn nach und nach die Kontrolle im Unternehmen. Seit März leitet er das Komitee für „strategische Planung und Kapitalallokation“ und tauschte darüber fast die komplette Chefetage des Unternehmens aus. Dafür installierte er hautpsächlich mehr als eine Handvoll ehemaliger hochrangiger Amazon-Manager und dazu einige Vertraute aus seiner Zeit bei Chewy.

An der Spitze steht Matt Furlong als CEO, der zuvor Australien-Chef von Amazon war. Auch der neue CFO Mike Recupero kommt aus dem Bezos-Unternehmen: zuletzt war er Finanzchef des Nordamerikanischen Konsumentengeschäfts, davor füllte er die Rolle auch schon für das Europageschäft und die Streamingtochter Amazon Prime Video aus. An der Spitze des „board of directors“, ähnlich dem deutschen Aufsichtsrat, steht Ryan Cohen seit der Hauptversammlung Anfang Juni selbst.

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Das macht die Stoßrichtung der neuen Unternehmensstrategie klar: Digitaler, weniger abhängig von den Ladengeschäften, deren Zulauf in der Krise weiter eingebrochen ist. Gamestop soll ein moderner Technologie-Anbieter für Gamer werden.

Fraglich bleibt, was genau das heißen soll. Denn der Videospielmarkt ist eigentlich bereits stark aufgeteilt: Eine Plattform für den digitalen Kauf der Spiele ist mit Steam etabliert, Epic Games verfeuert seit Jahren Milliarden Dollar in Exklusivdeals, um den eigenen Store konkurrenzfähig zu machen. Im Streaming-Geschäft sind die Platzhirsche Googles Youtube und Amazons Twitch. Die Versorgung mit physischen Spiele-Kopien und Merchandise ist über Amazon ebenfalls gesichert.

Gamestop wird erst noch zeigen müssen, ob sie eine eigene Nische finden, denn zum Angriff auf die Branchen-Schwergewichte reichen die Einnahmen aus den Meme-Aktien nicht. Und dann ist da noch das notorisch schlechte Image, das Gamestop bei Spielern seit langem in Sachen Kundenservice und Fairness hat.

Zumindest das Geschäft mit gebrauchten Spielen fällt im digitalen Raum weg. Wer hier einen Fehlkauf tätigt, bekommt nicht einmal mehr seine fünf Euro zurück.

Mehr zum Thema: „Viele Leute haben keine Ahnung von Börse.“ Aktionärsschützer Daniel Bauer macht für den aktuellen Hype um wertlose Aktien vor allem fehlende Finanzbildung verantwortlich.

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