Ungesundes Geschäft Der Gesundheitstrend zerlegt die Zucker-Industrie

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Pizza statt Zucker

Die Lebensmittelindustrie reagiert, wohl auch, um zu verhindern oder zu verzögern, dass der Gesetzgeber Fakten schafft. So will Coca-Cola den Zuckergehalt in seinen Getränken bis 2020 um zehn Prozent senken, ebenso wie Saftriese Eckes-Granini. Haribo verkauft seit Jahresbeginn drei Sorten Fruchtgummi mit 30 Prozent weniger Zucker. Auch Zott, Bahlsen, Zentis und Oetker haben ihn auf der Streichliste.

Für den ungeliebten Industriezucker werden außerdem Ersatzstoffe gesucht. Der Schweizer Lebensmittelriese Nestlé hat seit 2015 mit 250 Sensorik-Spezialisten, Ernährungswissenschaftlern, Konditoren, Produktentwicklern und Beschaffungsanalytikern eine neue, kalorienärmere Art von Zucker entwickelt. Dieser besteht nicht aus festen Kristallen, sondern hat eine amorphe und poröse Struktur, vergleichbar mit Zuckerwatte.

Neue Rezepte gesucht

Rewe-Manager Mayer und sein 20-köpfiges Team haben 15.000 bis 20.000 Rezepturen von Eigenmarken durchforstet. Zucker könne vor allem bei alkoholfreien Getränken, Cerealien, Süßwaren, Joghurt und Pudding eingespart werden. „In diesem Jahr werden wir noch in 100 Rezepturen den Zuckergehalt reduzieren“, sagt Mayer. „Insgesamt haben wir weitere 300 Produkte in der Mache, die ab 2019 umgestellt werden.“

Andere Händler ziehen mit: Lidl will in Getränken wie Cola und Eistee den Zuckergehalt „um fünf bis acht Prozent“ senken und den Zuckeranteil in 20 Süßgebäck-Artikeln und einigen Backwaren wie gefüllten Croissants überarbeiten. Bis 2025 soll der Zucker- und Salzanteil in eigenen Produkten um 20 Prozent reduziert werden. Auch Konkurrent Aldi Süd hat 2017 aus über 190 Produktsorten Zucker rausgenommen.

Die Umstellung der Rezepturen laufe im engen Dialog mit den Herstellern, sagt Mayer. „Die machen uns beispielsweise verschiedene Muster eines Produktes, die dann 10, 20 oder 30 Prozent weniger Zucker enthalten.“ Anschließend verkosten Mayer und seine Mitarbeiter die Kreationen. Über allem stehe die Frage: Was ist akzeptabel? „Der Kunde kauft eine Süßware ja, weil sie süß ist, und nicht weil sie zuckerreduziert ist.“

In der Zentrale von Südzucker in Mannheim gelten noch andere Lehrsätze über die Gesundheit. Auf den Tischen stehen Brownies und Kekse, Säfte und Cola. Neben der Teekanne steht eine Dose mit Kandiszucker. Als wolle Südzucker den anwesenden Journalisten zeigen, was die Welt der süßen Kristalle alles zu bieten hat. Südzucker-Chef Wolfgang Heer muss bittere Nachrichten verkünden. 100 bis 200 Millionen Euro Verlust erwartet der Konzern im laufenden Geschäftsjahr in der Zuckersparte. Damit brechen neue Zeiten an: Seit mehr als zehn Jahren erwirtschaftete der Konzern Überschüsse zwischen 70 und 700 Millionen Euro.

Heer spielt die Dramatik der roten Zahlen herunter, spricht von einer Übergangsphase, von nur „zwei schwierigen Jahren“ nach der Liberalisierung. Im vergangenen Herbst beendete die EU die Zuckermarktordnung, die fast 50 Jahre lang Preise sowie Ein- und Ausfuhrmengen regelte. Seitdem ist der Preis für Zucker abgestürzt – von über 500 Euro die Tonne auf kaum mehr als 300 Euro. Doch irgendwann, prophezeit Heer, müsse der Preis ja auch wieder steigen.

Das sagen Wissenschaftler über gesunde Ernährung
Lebensmittelvielfalt genießen Quelle: dpa
Gemüse und Obst: Nimm „5 am Tag“ Quelle: dpa
Vollkorn wählen Quelle: dpa
Mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzenEssen Sie Milch und Milchprodukte wie Joghurt und Käse täglich, Fisch ein- bis zweimal pro Woche. Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600 g pro Woche. Quelle: obs
Gesundheitsfördernde Fette nutzen Quelle: dpa
Zucker und Salz einsparen Quelle: dpa
Am besten Wasser trinken Quelle: dpa

Was, wenn nicht? In der Welt des Zuckers ist Deutschland so groß wie kaum ein anderes Land, der größte Produzent in Europa. Gleich drei namhafte Hersteller stammen aus Deutschland, neben der börsennotierten Südzucker sind das Nordzucker aus Braunschweig und das verschwiegene Familienunternehmen Pfeifer & Langen aus Köln. Ihr Geschäftsmodell: Sie produzieren Zucker aus Rüben, die sie Bauern abkaufen.

Doch das funktioniert nicht mehr wie früher. Wie sehr die Branche den Wandel fürchtet, zeigt Nordzucker. Der rapide Preisverfall bei Zucker „überschattet die Ergebnisse des Geschäftsjahrs“, ließ der Konzern zuletzt verlauten. Der Umsatz sank um drei Prozent auf knapp 1,7 Milliarden Euro. 2017 hat sich Nordzucker auch gleich von zwei Top-Managern getrennt: Erst räumte Vorstandschef Hartwig Fuchs nach sieben Jahren seinen Posten – aus persönlichen Gründen, wie es offiziell hieß. Dann ging Finanzvorstand Michael Noth. Beide standen für einen Sparkurs, der Nordzucker knapp in der Gewinnzone stabilisierte. Doch beiden gelang es nicht, sich unabhängiger vom Rübenzucker zu machen.

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