Vegetarisch oder nicht Warum dürfen Hersteller tierische Inhaltsstoffe immer noch verstecken?

Vegetarisch oder nicht? Wer sich sicher sein will, kauft besser nur im Veggie-Regal. Quelle: dpa

Schön, dass Discounter wie Lidl jetzt weniger Fleisch verkaufen wollen. Aber es wäre schon viel erreicht, wenn sie tierische Produkte besser kennzeichnen müssten. Ob Lebensmittel fleischfrei sind, bleibt oft ein Rätsel. Ein Kommentar.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die Geburtstagstorte war nicht vegetarisch. Die Schokoladencreme darauf natürlich schon, der knusprige Tortenboden ebenso, aber der Tortenguss oder vielleicht auch die Verzierung blieb nur dank Gelatine so fest. Gelatine ist ein tierisches Produkt, sie wird üblicherweise aus Kollagen hergestellt, das aus dem Bindegewebe oder sogar dem Knochenmark von toten Schweinen und Rindern gewonnen wird. Gelatine ist auch in Weingummis enthalten, sie kann in Joghurts, in Müsliriegeln und in Mousse au Chocolat versteckt sein. Mittlerweile gibt es auch pflanzliche Alternativen, aber natürlich sind die in der Regel teurer. Die meisten Fertigtorten sind deshalb wahrscheinlich auch nicht vegetarisch.

Nahrungsmittelhersteller und Händler stehen unter Druck, nicht mehr so viel und vor allem nicht mehr so billig Fleisch und andere tierische Produkte zu verkaufen. Wie die „Lebensmittelzeitung“ berichtete, will etwa der Discounter Lidl sein Sortiment umstellen, um das Klima zu schützen. Statt tierischer Proteine sollen mehr vegane Alternativen zum Einsatz kommen. „Der Wechsel ist alternativlos“, sagt Christoph Graf, Chefeinkäufer von Lidl in Deutschland. „Weil es keinen zweiten Planeten gibt.“

Einige sehen solche Ankündigungen als Bevormundung, andere begrüßen den Schritt. Ich zähle mich zur zweiten Kategorie. Als Vegetarierin würde sehr gerne eine Geburtstagstorte verspeisen, die eben nicht mit Kollagen produziert worden ist, das von hochgezüchteten und überfütterten Schweinen aus Massentierhaltung stammt. Aber noch viel lieber wäre mir, ich würde es direkt auf den ersten Blick erkennen, ob in einem Lebensmittel tierische Produkte verarbeitet sind oder nicht.

Zwar hat die EU strenge Richtlinien zur Kennzeichnung von Lebensmitteln. Auf jeder Packung im Supermarkt finden sich Angaben zu Kalorien, zu Inhaltsstoffen, viele sind inzwischen auch mit einer Lebensmittelampel oder dem Tierwohl-Label versehen. Aber ob die Spätzle vielleicht mit Eiern aus Käfighaltung produziert wurden, oder vielleicht gar kein Ei enthalten, erfordert einiges an Rechercheaufwand. In Deutschland existiert zwar seit 2016 eine einheitliche Definition, was „vegetarisch“ oder „vegan“ überhaupt bedeutet. Und die Leitlinien der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission legen fest, ob und wann eine Salami als „vegan“ gekennzeichnet werden darf. Manche Hersteller geben noch Geld für Siegel aus, damit sie etwa einen gelben Kreis mit V als Symbol für die vegetarische Zutatenliste auf ihr Produkt drucken dürfen. Aber es existiert bis heute keine Vorschrift oder Leitlinie, wann ein Produkt darauf hinweisen sollte, dass es eben nicht vegetarisch ist.

Ich bin erst seit drei Jahren Vegetarierin, und mir passiert es immer wieder, dass ich mich bei Einkäufen oder Bestellungen ordentlich vertue. Die Fertigtomatensuppe? Enthielt getrockneten Speck, auf der Zutatenliste war das angegeben, aber ich hatte einfach nicht damit gerechnet und deshalb nicht nachgeguckt. Der Salat mit den Bratkartoffeln, den ich im Brauhaus bestellt habe, war sogar über und über mit Speck bedeckt. In der Karte stand davon nichts.

Flüssigseifen aus Schlachtabfällen

Gut, vielleicht hätte ich nachfragen können. Ich saß schließlich in einem Brauhaus. Aber entgegen den geläufigen Vorurteilen über Vegetarier oder Veganer find ich es gar nicht immer so angenehm, meine Essensgewohnheiten zu thematisieren. Ich würde einfach gerne vor einer Karte sitzen, eine informierte Entscheidung treffen können, und mich nachher wie alle anderen am Tisch darüber unterhalten können, ob es denn nun schmeckt oder nicht.

Die Frage ist wesentlich unkomplizierter zu beantworten als das ethische Dilemma, ob ich nun die Bratkartoffeln samt Speck zurückschicke – damit das Essen dann weggeschmissen wird – oder es nun mal runterschlucke. In jedem Restaurant liegt eine Liste aus, welche Allergene ein Gericht enthält – aber was nun die vegetarischen und veganen Optionen sind, muss heute nicht einheitlich gekennzeichnet werden. Das ist doch absurd.

Diese fehlende Kennzeichnung trifft längst nicht nur die Menschen, die aufgrund von Tierliebe oder Klimaschutz auf tierische Produkte verzichten wollen. Es trifft auch diejenigen, die aus religiösen Gründen bestimmte Lebensmittel meiden. Müssen Muslime wirklich jedes Mal nach einem „halal“-Label suchen? Bei jedem Produkt mit Hackfleisch nachfragen, ob neben Rind vielleicht auch Schwein verarbeitet sein könnte? Was ist mit Hindus, die kein Rindfleisch verzehren wollen, und den Buddhisten, die sich vegetarisch ernähren? Müssen sie alle weiterhin Tiefkühl-Torten meiden?

Wie viele Menschen wissen schon, dass sie die Zutatenliste des Müsliriegels besser noch mal auf tierische Produkte scannen sollten? Dass Glycerin in Zahnpasta nicht vegetarisch sein muss, oder Tenside in Weichspülern und Flüssigseifen häufig aus Schlachtabfällen hergestellt werden?

Exklusive BCG-Analyse Die 10 besten Aktien der Welt

Die politische Weltlage und Sorgen vor weiter hohen Zinsen verunsichern die Börse. Das exklusive Ranking der besten Aktien der Welt – und zehn Titel, die jetzt kaufenswert sind.

Positive Aggression „Es geht nicht um primitiven Ellenbogen-Karrierismus“

Wer zu nett ist, hat im Job verloren. Davon ist Kriminologe Jens Weidner überzeugt. Wie Sie positive Aggression einsetzen, um Ihre Gegner in Schach zu halten und was erfundene Geschichten damit zu tun haben.

Passives Einkommen aufbauen Ihr Weg zur finanziellen Unabhängigkeit

Finanzielle Unabhängigkeit muss kein Traum bleiben. Mit dem richtigen Wissen und passenden Strategien kommen auch Sie auf die Erfolgsspur. Wir zeigen, wie es geht.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Natürlich ist es wünschenswert, wenn wir ein Lebewesen möglichst ganzheitlich verwerten, inklusive Haut und Haaren und Tensiden aus Schlachtabfällen. Aber bei all den Diskussionen, die wir über einen gemäßigten und verantwortungsbewussten Fleischkonsum führen, ist es absurd, dass es noch immer so schwierig ist, sich über die tierischen Bestandteile in einem Produkt zu informieren. Wir brauchen eine einfache und übersichtliche Kennzeichnung: Ist ein Produkt vegan, vegetarisch oder nicht? Das wäre nicht nur in Restaurants hilfreich, sondern es dürfte auch die Verbraucher und Verbraucherinnen bei ihrem Supermarkteinkauf noch einmal zum Nachdenken bringen.

Lesen Sie auch: Der Markt für Fleischalternativen wächst, allen Krisen zum Trotz. Start-ups und Lebensmittelhersteller entwickeln Produkte, die dem Original immer näher kommen – sogar mithilfe von Textilmaschinen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%