Verband der Unverpackt-Läden „Alles muss billig, billig, billig sein“

Im Vergleich zu konventionellen Supermärkten sparen Unverpackt-Läden deutlich mehr Müll ein. Quelle: imago images

Noch ist es aufwendig und manchmal teurer, Lebensmittel unverpackt zu kaufen. Gregor Witt, Vorsitzender des Verbandes der Unverpackt-Läden, über den Wert von Lebensmitteln und eine Gesellschaft jenseits des Konsums.

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WirtschaftsWoche: Herr Witt, Sie sagen, Sie seien mit Ihrem Verband für Unverpackt-Läden „angetreten, um die Welt zu retten.“ Was genau meinen Sie damit?
Gregor Witt: Wir bündeln unsere Aktivitäten, um die Lieferkette, die der Kunde nicht mitbekommt, zu optimieren. Wir stehen in der Öffentlichkeit und werden dafür kritisiert, dass auch unsere Waren manchmal auf Paletten mit Folie umwickelt angeliefert werden. Manche Dinge laufen bei uns nicht besser als in Supermärkten, weil es enorm schwierig ist, sich gegen manche Verpackungen zu wehren. Aber im Vergleich zu konventionellen Supermärkten sparen wir deutlich Müll ein und arbeiten im Hintergrund mit den Lieferanten, den Müllaufwand zu reduzieren.

Wie ist der Verband strukturiert?
Unser Verband hat knapp 200 stimmberechtigte Mitglieder und fast genauso viele Fördermitglieder. Stimmberechtigte Mitglieder sind alle Ladenbesitzer, die in unseren Verband eingetreten sind. Fördermitglieder sind Unternehmen wie Lieferanten und Produzenten mit der gleichen Vision für eine plastikfreie Lieferkette und die Unternehmerinnen und Unternehmer, die gerade die Eröffnung eines Unverpackt-Ladens planen. Auch Kunden, die das Projekt des Unverpackt-Verbandes unterstützen, können Fördermitglieder werden. Der Verband bietet ein Forum, es können Fragen gestellt werden, jeder einzelne kann sich von den Kompetenzen der anderen unterstützen und inspirieren lassen. Wir stellen einige Info-Dokumente wie Leitfäden und Tipps zum Download zur Verfügung. Für acht Euro im Monat bekommen die Mitglieder eine Rundum-Beratung zum Geschäft mit verpackungsfreien Läden und können auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen.

Bietet dieses Forum auch an, eine gewisse Marktmacht zu entwickeln, um beim gemeinsamen Einkauf finanziell zu profitieren?
Nein, dafür ist dieses Forum nicht die richtige Plattform. Das wird verständlich, wenn wir über die Entstehung des Verbands reden: 2017 organisierten wir ein Treffen in Köln, an dem zirka 60 Läden teilnahmen. Auf dieser Versammlung haben wir die Struktur, Ideen, Visionen und Ziele des sich gründenden Verbandes gesammelt. Es kam viel zusammen – aber bei all den Ideen, Bedürfnissen und Wünschen drehte sich kein einzelner Punkt um den Einkauf. Es ging nur um grundlegende Prozesse und Abläufe.

Also scheinen die Ladeninhaber weniger daran interessiert, gemeinsame Bestellungen aufzugeben und durch größere Orders die Preise zu drücken?
Mengenbestellungen sind meiner Meinung nach Irrsinn. Das Plus, was man sich daraus verspricht, geht komplett in der Verwaltung der Bestellung verloren. Zunächst trägt man die Verantwortung für die Bestellung, muss sie entgegennehmen, sich für die Koordination mit den anderen Läden Zeit nehmen, große Mengen lagern und mit hohen Portokosten weiter versenden. Nein, das lohnt sich nicht.

Sie verhandeln also mit den Lieferanten nicht darüber, wie viel Menge für wie wenig Geld zu haben ist, sondern um die Nachhaltigkeit und Qualität der Lieferung. Wie gut gelingt Ihnen das?
Zum Beispiel konnten wir als Zusammenschluss etlicher Unverpackt-Läden einen Großlieferanten von Nudeln aus Italien davon zu überzeugen, von Plastiksäcken auf Zehn-Kilo-Papiersäcke umzustellen. Außerdem kann man bei uns nun Tomaten-Passata im Pfandglas einkaufen, mit einem Etikett des Unverpackt e. V. Wo findet man sonst in einem Laden in Deutschland Passata im Pfandglas?!

Es geht dem Verband und Ihnen weniger um die Wirtschaftlichkeit?
Wir wollen keine Preise drücken. Es geht um ideelle Werte. Diese ganze Preisverfalldebatte bei Lebensmitteln: alles muss billig, billig, billig sein. Wir Verbraucher müssen dahin kommen, dass es um mehr Qualität, mehr Regionalität, mehr Bioland und Demeter geht, um mehr Umweltschutz und weniger Müll. Wir haben im Moment die falsche Debatte, in der wir zwar gute Qualität fordern, aber nicht bereit sind, dafür einen gerechten Preis zu bezahlen.

Aber ohne Kunden kein Geschäft. Müssen Sie nicht mehr Kunden mit guten Preisen vom Unverpackt-Konzept überzeugen, damit Sie und Ihre Vision wachsen können?
Es gibt Studien dazu, wie teuer Unverpackt-Läden sind. Wir sind genauso teuer wie Bioläden. Nur mit Bio vom Discounter können wir natürlich nicht mithalten. Unverpackt-Läden haben einen extrem hohen personellen Aufwand. Normale Supermärkte bestücken ihre Regale mit 500-Gramm-Packungen und ist ein Fach leer, wird es schnell wieder aufgefüllt. Bei uns herrschen ohne Verpackungen sehr hohe Hygienestandards, die viel Zeit kosten. Sind die Behälter leer, können wir sie erst wieder befüllen, nachdem wir sie ausführlich gereinigt haben. Auch im Laden fällt durch das ständige Abfüllen mehr zum Putzen an.

Entwickeln sich Zusammenschlüsse von Unverpackt-Läden? Ist der nächste Schritt eine Kette von Unverpackt-Läden à la Edeka und Rewe?
Unverpackt Trier und Düsseldorf verwenden zum Beispiel das gleiche Logo. Richtige Zusammenschlüsse sind aber nicht üblich. Stattdessen legen die meisten Läden eher Wert auf Zusammenarbeit. Wichtig ist hier der Unverpackt-Verband. Wir investieren jetzt mehr Geld für Presse und Werbung und wollen ein gemeinsames Marketing-Konzept erarbeiten. Bei unserem Verband handelt es sich wirklich um eine Gemeinschaftsarbeit. Wir sind alle Ladenbesitzer, die sich ehrenamtlich in diesem Verband für Zusammenarbeit einsetzen.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung des Verbandes?
Im Hintergrund arbeiten wir stark an unserer Vision weiter, die Lieferkette plastik- und verpackungsfrei zu machen. In fünf Jahren haben wir hoffentlich schon weitere große Erfolge für einen plastikfreien Konsum gefeiert. Eine Kette wie Edeka werden wir bestimmt nicht! Dafür sind wir alle viel zu kompliziert, zu stur und zu dickköpfig.

Dieses Konzept, das Geschäft hauptsächlich an die Werte zu knüpfen, weniger an die Wirtschaftlichkeit, hört sich stark nach dem Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie an. Wollen Sie mit Ihrem Unverpackt-Laden eine kleine, gelebte Utopie innerhalb unseres jetzigen Wirtschaftssystems sein oder arbeiten Sie an einem Strukturwandel unserer Wirtschaftsweise?
Die Gemeinwohl-Orientierung steht sogar in der Satzung unseres Verbands. Ich würde uns als Verfechter der Postwachstumsökonomie bezeichnen. Wir sind bestrebt, umwelt- und klimapolitische Ziele zu erreichen. Der Kapitalismus ist mit Klima- und Umweltschutz nicht vereinbar. Es ist einfach nicht richtig, sich gerade bei Lebensmitteln in eine Preisspirale zu verwickeln.

Was würde in einer Postwachstumsökonomie als nächster Schritt folgen?
Es ist ja nicht so, dass Verpackungen das Hauptproblem unserer Gesellschaft sind. Deshalb geht es uns vielmehr um eine ganzheitlich nachhaltige Lebensführung. Wir bieten nicht nur unverpackte Lebensmittel an, wir beraten auch hinsichtlich nachhaltigen Konsums. Unsere Gesellschaft hat hinsichtlich unseres Konsumverhaltens noch ganz andere Probleme. Es gibt so viele Produkte, die wir eigentlich alle gar nicht brauchen und geben trotzdem dafür viel zu viel Geld aus. Würden wir uns dieses sinnlos ausgegebene Geld sparen, hätten wir locker genug Geld für fair bepreiste Lebensmittel. Die Preise in unserem Unverpackt-Laden spiegeln den wirklichen Wert der Lebensmittel wider.

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