Die Konsequenzen wären dramatisch. Für Oberzentren, also Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, erwartet Heinemann zwar, dass der offline erzielte Einzelhandelsumsatz insgesamt stabil bleibt. Doch in der Liga darunter sei eine Erosion absehbar. Bis 2023 würden die Klein- und Mittelzentren in Deutschland rund 31 Prozent ihres heutigen Flächenumsatzes verlieren. Milliardenbeträge fließen weg von klassischen Buchläden und Boutiquen, Bettenhändlern und Baumärkten hin zu den Netzgiganten.
Die haben in den vergangenen Jahren Wachstumsraten vorgelegt, die selbst Internet-Euphoriker in Staunen versetzen. 2012 setzte der vier Jahre zuvor gegründete Berliner Online-Modeanbieter Zalando 1,15 Milliarden Euro um, in diesem Jahr soll gar die Zwei-Milliarden-Marke fallen. Amazon steigerte den Umsatz in Deutschland zuletzt um 21 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro. Geht es in diesem Tempo weiter, dürfte der Internet-Primus 2013 hier mehr als acht Milliarden Euro einnehmen.
Eiswasser in den Adern
„Wer im Amazonas nicht untergehen will, muss darauf schwimmen“, lautet angesichts solcher Wachstumsraten die pragmatische Losung vieler Händler. Sie nutzen den sogenannten Amazon-Marktplatz, um eigene Ware loszuschlagen. Allein, der mächtige Strom erweist sich als tückisch.
Ursprünglich wollte Amazon-Chef Bezos sein Online-Kaufhaus auf den Namen Relentless.com taufen. Zu Deutsch: gnadenlos, unerbittlich. Noch heute werden Nutzer, die die düstere Internet-Adresse in ihren Browser tippen, direkt zur Amazon-Homepage geleitet. Bezos setzte dann doch lieber auf den unverfänglichen Namen des weltgrößten Flusses.
Die besten Zitate von Amazon-Gründer Jeff Bezos
Jeff Bezos ist eine der spektakulärsten Manager-Persönlichkeiten der Welt. Die Lebensgeschichte des Amazon-Gründers bietet eine unglaubliche Vielfalt und zahlreiche interessante Erzählungen. Der Top-Journalist und Bestsellerautor Richard L. Brand hat die Biografie in seinem Buch „Mr. Amazon“ (Ambition Verlag) aufgeschrieben. Die besten Zitate von Bezos finden sich auch darin und folgen nun.
„Wenn man eines beim Landleben lernt, dann ist es, sich auf sich selbst zu verlassen. Die Leute dort machen alles selbst. Und diese Eigenständigkeit kann man lernen.“
„Ich bin nicht der Typ, bei dem Frauen eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen sagen: 'Wow, der ist klasse.' Ich bin eher albern und nicht ... also jedenfalls nicht so, dass irgendeine Frau über mich sagen würde: 'Oh mein Gott, genau so einen habe ich gesucht.'"
„Heute heben sich die Pommes selbst aus der Friteuse – und das, glauben Sie mir, ist ein echter technischer Fortschritt.“
(Bezos jobbte mit 13 Jahren in den Sommerferien für die Fast-Food-Kette und machte umgehend Vorschläge zur Optimierung der Abläufe)
„Die einzigen Male, die er überhaupt Thema wird, sind die, wenn ich beim Arzt nach meiner Krankengeschichte gefragt werde. Dann kreuze ich eben 'unbekannt' an.“
„Wenn etwas kaputt ist, machen wir es heil. Um etwas Neues durchzusetzen, muss man stur und zielstrebig sein, auch wenn es andere vielleicht unvernünftig finden.“
„Der einzige Grund, aus dem ich mich für das All interessierte, besteht darin, dass mich die NASA inspirierte, als ich fünf Jahre alt war.“
„Zu den wichtigsten Dingen, die mich Princeton lehrte, zählt die Einsicht, dass ich nicht klug genug bin, ein Physiker zu sein.“
(Auf der Universität änderte Bezos seine Fachrichtung und machte den Abschluss in Elektrotechnik und Informatik)
Wettbewerber zerstören
Die „Gnadenlosigkeit“ scheint Bezos trotzdem tief in der DNA des Unternehmens verwurzelt zu haben, lässt sich aus der Biografie des US-Journalisten Stone über Bezos erfahren. Allein der Kunde zähle, Wettbewerber wolle „Der Allesverkäufer“ – so der Titel des Buchs – hingegen zerstören, aus Geschäftspartnern und Mitarbeitern stets das Maximale herauspressen.
„Der Mann hat Eiswasser in den Adern“, beschreibt ein früherer Top-Manager in dem Buch die Kaltblütigkeit von Mister Amazon in jenen Momenten, als das Überleben des Unternehmens auf dem Spiel stand. Fast schon legendär ist auch ein intern auf den Spitznamen „Gazelle“ getauftes Projekt von 2004. Kleinere Buchverlage, die ohne Amazon-Verkäufe nicht leben können, sollen Amazon bessere Konditionen einräumen. Kurz: Amazon soll die Verleger jagen wie ein Gepard eine kranke Gazelle. Genauso kam es.
Martialische Töne
An martialischen Tönen scheinen auch andere Online-Eroberer Gefallen zu finden – etwa Oliver Samwer, der mit seinen Brüdern Marc und Alexander entscheidend an Zalandos Aufstieg zur Modemacht beteiligt war. In einer Mail an Führungskräfte soll er von seinen Leuten einen „Blitzkrieg“ zur Eroberung von Märkten gefordert haben, schreibt Autor Hagen Seidel in seinem Zalando-Buch „Schrei vor Glück“.
Die Businesspläne müssten „mit Blut“ unterschrieben werden, verlangte Samwer – und entschuldigte sich später für die Wortwahl. Das hindert ihn indes nicht daran, dem stationären Handel kräftig einzuheizen: „Was ist das Schrecklichste am Offline-Handel?“, fragte er Anfang März beim Tengelmann e-day in Mülheim an der Ruhr ins Publikum, um selbst zu antworten: „Die Verkäufer! 90 Prozent aller Verkäufer sind doch total schlimm.“
Einige der Aussagen mögen gezielte Provokationen sein. Doch sind selbst ernannte Gazellenjäger und Blitzkrieger wirklich die richtigen Kooperationspartner für kleine Händler?