Das Begräbnis zog sich über Wochen hin. Die Insolvenzverwalterin sprach mit Investoren – die winkten ab. Sie verhandelte mit Vermietern – die zeigten sich stur. Am Ende blieb Julia Kappel-Gnirs nur der Ausverkauf des Kaufhauses Joh im hessischen Gelnhausen. Mitte September, 253 Jahre nachdem der Schneidermeister David Joh das Handelshaus gegründet hatte, musste das Unternehmen den Geschäftsbetrieb einstellen.
Joh? Gelnhausen? Selbst den Fachmedien der Fashion-Welt war die Provinzpleite allenfalls eine Randnotiz wert. Dabei gibt das Handelsdrama im Hessischen einen Vorgeschmack auf das Schicksal Hunderter Läden in den kommenden Jahren, taugt die vierstöckige Einkaufsruine als Anschauungsobjekt für den Niedergang der Fachgeschäfte.
Kaufkraft fließt ins Netz ab
Sicher, nicht nur der Boom des Online-Handels trägt Schuld, nicht Amazon allein ist der Totengräber des Traditionsgeschäfts. Doch wie überall in der Republik bestellen auch die 22.000 Einwohner von Gelnhausen mehr und mehr online, fließt Kaufkraft massiv ins Netz ab und geraten in der Folge Läden ins Straucheln. Die Warensendungen der Online-Riesen werden so letztlich zu Paketbomben für die Innenstädte: Deutschland droht der große Ladenschluss.
Amazon ist dabei nur ein Angreifer unter vielen und gilt dennoch als Inbegriff der digitalen Bedrohung und Brandbeschleuniger des stationären Niedergangs, obgleich eine Unternehmenssprecherin betont, Amazon würde sich auf die Kunden fokussieren, „nicht auf den Wettbewerb“.
Wie kein zweites Unternehmen kapert der Konzern nach und nach sämtliche Sortimentsbereiche, verkauft neben Büchern längst auch Blusen, Bohrmaschinen und Badarmaturen und setzt nebenbei die Standards in Sachen Kundenfreundlichkeit, Lieferzeit und Preis. „Wir wollen das Geschäft sein, in dem man alles findet, was man nur kaufen möchte“, hatte Jeff Bezos, Chef und Gründer des Versandgiganten, einst seine Kriegserklärung an die Zunft formuliert. „To be Amazoned“ bedeutet seither für Filialisten auf der ganzen Welt, „hilflos zusehen zu müssen, während der Online-Parvenü aus Seattle ihnen Kundschaft und Profite ihres konventionellen Geschäfts absaugt“, schreibt Bezos-Biograf Brad Stone. Auch hierzulande empfinden viele Händler den zu einem breiten Lächeln gekrümmten Pfeil, den Amazon als Logo auf die Warenkartons druckt, nur noch als blanken Hohn.
Strukturelles Ungemach
Die Einschläge spüren nicht nur Lokalmatadoren wie Joh. Das Drama um die angeschlagene Warenhauskette Karstadt beherrscht seit Monaten die Schlagzeilen. Die Mitarbeiter der Buchhandelsketten Weltbild und Thalia bangen um ihre Jobs. Der Schuhhändler Görtz schließt Filialen. Der Elektronikhändler ProMarkt wird abgewickelt. Die Modekette Esprit muss kämpfen – ebenso wie der Textildiscounter NKD. Mühelos lässt sich der Reigen der Sanierungsfälle ergänzen.
So unterschiedlich die betroffenen Unternehmen auch sind, allen gemein ist: Zu hausgemachten Problemen kommt strukturelles Ungemach, sprich die Abwanderung der Kunden ins Netz. „Dieser Prozess wird sich mit hoher Taktzahl fortsetzen“, ist der frühere Aldi-Süd-Chef Ulrich Wolters überzeugt. Der stationäre Handel werde zwar nicht aussterben, so Wolters gegenüber der WirtschaftsWoche, aber für viele kleine Ladenbetreiber werde es eng.
Längst findet sich die Branche mit drei Millionen Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 428 Milliarden Euro auf den Beobachtungslisten von Sanierungsexperten. „Der stationäre Handel verliert immer dramatischer an das Internet“, konstatiert Johann Stohner von der internationalen Beratung Alvarez & Marsal. „Das muss zwangsläufig zu Verwerfungen führen“, sagt der Ulmer Insolvenzverwalter Michael Pluta.
Die Kunden spielen nicht mit
Doch sind mittelständische Buchhändler, Boutique-Besitzer und Filialisten Amazon und Co. wirklich ausgeliefert oder können nicht auch die Kleinen im Netz reüssieren? Immerhin feiern zahlreiche Händler mittlerweile auch im Netz Erfolge (WirtschaftsWoche 11/2013). Mal, weil sie mit dem vermeintlichen Erzfeind Amazon paktieren, um eigene Waren zu verkaufen. Mal, weil sie mit eigenen Web-Shops oder der Präsenz auf alternativen Online-Marktplätzen bei den Kunden punkten. Oder sollten Unternehmer den ganzen Online-Zirkus ignorieren und sich auf das konzentrieren, was den Verkauf von Waren seit jeher befördert hat: freundliches Personal und kompetente Beratung?
So plausibel die Service-Ambitionen auch klingen, sie haben einen entscheidenden Nachteil: Die Kunden spielen nicht mit.
Egal, ob Sportausstatter oder Handyshopbetreiber, im deutschen Einzelhandel dürfte sich kaum ein Verkäufer finden, der noch keine Erfahrungen mit Kunden gesammelt hat, die sich erst im Laden ausgiebig beraten lassen, um dann im Internet zum günstigeren Preis zuzuschlagen. „Showrooming“ nennen Marktforscher das Phänomen – der Handel prangert lieber den „Beratungsklau“ an. So sorgte jüngst eine resolute Australierin für Furore, die fünf Dollar von all jenen Leuten kassieren will, die sich in ihrem Fachgeschäft für glutenfreie Lebensmittel nur umschauen, aber nichts kaufen.
Störsender
In Deutschland rüstet manch Händler zum technischen Gegenschlag. So will ein RTL-Fernsehteam in verschiedenen Elektronikmärkten den illegalen Einsatz von Störsendern nachgewiesen haben. Die Geräte sollen den Internet-Empfang von Handys blockieren und könnten damit auch lästige Apps ausschalten – wie die von Amazon. Über deren integrierten Barcodescanner „können Sie einfach und schnell Preise in einem Laden direkt beim Einkaufen mit denen von Amazon.de“ vergleichen, bewirbt das Portal das Angebot.
Für Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center an der Hochschule Niederrhein, sind die Blockadeversuche ein Indiz dafür, wie stark der Druck auf den Geschäften lastet. „Augen zu und durch funktioniert nicht mehr“, sagt er. Regelmäßig tourt der Online-Experte durch die Republik, um Unternehmern, Verbandsfürsten und Stadtoberen von der sich abzeichnenden Gezeitenwende zu künden. Im Gepäck hat er Zahlen und Prognosen, die kaum geeignet sind, die Laune im Publikum zu heben. „Die Fußgängerzonen vieler Städte beginnen sich zu leeren, die Kundenfrequenz nimmt ab“, sagt Heinemann.
Montag bis Samstag: Ruhetage
Davon wird zwar auf den Einkaufsboulevards der großen Städte im demnächst startenden Weihnachtsgeschäft so gut wie nichts zu sehen sein. Egal, ob Kaufinger Straße in München, Kölner Schildergasse oder Frankfurter Zeil: Unter festlich erleuchteten Sternenbögen und funkelndem Eiszauber werden sich wieder Tausende in den alljährlichen Geschenketrubel stürzen. Gerade erst hat die Stuttgarter Kaufhauskette Breuninger ein neues Glitzerflaggschiff im noblen Düsseldorfer Kö-Bogen eröffnet. „Krise? Von wegen!“, mag manch Händler trotzig den Internet-Apologeten entgegenschleudern.
Andernorts lässt sich die Dimension der bevorstehenden Veränderungen bereits erahnen. Oft reicht der Besuch einer Kleinstadt aus, um den Glauben an die sonnige Zukunft der kleinen Händler zu verlieren. Montag bis Samstag: Ruhetage. Anders als auf den großen Shoppingmeilen herrscht hier selbst zur Haupteinkaufszeit Friedhofsstille. Wer beim Wochenendeinkauf etwas erleben will, fährt in die nächstgelegene Großstadt. Und wer genau weiß, was er braucht, shoppt online.
Unbehagen
Dass in der Fußgängerzone rund um den heimischen Marktplatz die angestammten Läden auf der Strecke bleiben, registrieren die Bürger mit Unbehagen – und ordern trotzdem im Netz. Zu groß ist dort die Auswahl, zu niedrig sind die Preise, zu schnell ist die Lieferung, als dass die örtlichen Geschäfte auf Dauer mithalten könnten. Zumal die Veränderung gerade erst beginnt.
Die zunehmende Nutzung von Smartphones, schnellere und passgenaue Lieferzeiten sowie der Wandel von gelegentlichen Online-Käufern zu Netzstammkunden könnten dafür sorgen, dass bis 2023 jeder vierte Euro nicht mehr in klassischen Läden, sondern in Online-Shops umgesetzt wird, prognostiziert Heinemann – eine Steigerung von 250 Prozent.
Probleme für kleine und mittelgroße Städte
Die Konsequenzen wären dramatisch. Für Oberzentren, also Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern, erwartet Heinemann zwar, dass der offline erzielte Einzelhandelsumsatz insgesamt stabil bleibt. Doch in der Liga darunter sei eine Erosion absehbar. Bis 2023 würden die Klein- und Mittelzentren in Deutschland rund 31 Prozent ihres heutigen Flächenumsatzes verlieren. Milliardenbeträge fließen weg von klassischen Buchläden und Boutiquen, Bettenhändlern und Baumärkten hin zu den Netzgiganten.
Die haben in den vergangenen Jahren Wachstumsraten vorgelegt, die selbst Internet-Euphoriker in Staunen versetzen. 2012 setzte der vier Jahre zuvor gegründete Berliner Online-Modeanbieter Zalando 1,15 Milliarden Euro um, in diesem Jahr soll gar die Zwei-Milliarden-Marke fallen. Amazon steigerte den Umsatz in Deutschland zuletzt um 21 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro. Geht es in diesem Tempo weiter, dürfte der Internet-Primus 2013 hier mehr als acht Milliarden Euro einnehmen.
Eiswasser in den Adern
„Wer im Amazonas nicht untergehen will, muss darauf schwimmen“, lautet angesichts solcher Wachstumsraten die pragmatische Losung vieler Händler. Sie nutzen den sogenannten Amazon-Marktplatz, um eigene Ware loszuschlagen. Allein, der mächtige Strom erweist sich als tückisch.
Ursprünglich wollte Amazon-Chef Bezos sein Online-Kaufhaus auf den Namen Relentless.com taufen. Zu Deutsch: gnadenlos, unerbittlich. Noch heute werden Nutzer, die die düstere Internet-Adresse in ihren Browser tippen, direkt zur Amazon-Homepage geleitet. Bezos setzte dann doch lieber auf den unverfänglichen Namen des weltgrößten Flusses.
Die besten Zitate von Amazon-Gründer Jeff Bezos
Jeff Bezos ist eine der spektakulärsten Manager-Persönlichkeiten der Welt. Die Lebensgeschichte des Amazon-Gründers bietet eine unglaubliche Vielfalt und zahlreiche interessante Erzählungen. Der Top-Journalist und Bestsellerautor Richard L. Brand hat die Biografie in seinem Buch „Mr. Amazon“ (Ambition Verlag) aufgeschrieben. Die besten Zitate von Bezos finden sich auch darin und folgen nun.
„Wenn man eines beim Landleben lernt, dann ist es, sich auf sich selbst zu verlassen. Die Leute dort machen alles selbst. Und diese Eigenständigkeit kann man lernen.“
„Ich bin nicht der Typ, bei dem Frauen eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen sagen: 'Wow, der ist klasse.' Ich bin eher albern und nicht ... also jedenfalls nicht so, dass irgendeine Frau über mich sagen würde: 'Oh mein Gott, genau so einen habe ich gesucht.'"
„Heute heben sich die Pommes selbst aus der Friteuse – und das, glauben Sie mir, ist ein echter technischer Fortschritt.“
(Bezos jobbte mit 13 Jahren in den Sommerferien für die Fast-Food-Kette und machte umgehend Vorschläge zur Optimierung der Abläufe)
„Die einzigen Male, die er überhaupt Thema wird, sind die, wenn ich beim Arzt nach meiner Krankengeschichte gefragt werde. Dann kreuze ich eben 'unbekannt' an.“
„Wenn etwas kaputt ist, machen wir es heil. Um etwas Neues durchzusetzen, muss man stur und zielstrebig sein, auch wenn es andere vielleicht unvernünftig finden.“
„Der einzige Grund, aus dem ich mich für das All interessierte, besteht darin, dass mich die NASA inspirierte, als ich fünf Jahre alt war.“
„Zu den wichtigsten Dingen, die mich Princeton lehrte, zählt die Einsicht, dass ich nicht klug genug bin, ein Physiker zu sein.“
(Auf der Universität änderte Bezos seine Fachrichtung und machte den Abschluss in Elektrotechnik und Informatik)
Wettbewerber zerstören
Die „Gnadenlosigkeit“ scheint Bezos trotzdem tief in der DNA des Unternehmens verwurzelt zu haben, lässt sich aus der Biografie des US-Journalisten Stone über Bezos erfahren. Allein der Kunde zähle, Wettbewerber wolle „Der Allesverkäufer“ – so der Titel des Buchs – hingegen zerstören, aus Geschäftspartnern und Mitarbeitern stets das Maximale herauspressen.
„Der Mann hat Eiswasser in den Adern“, beschreibt ein früherer Top-Manager in dem Buch die Kaltblütigkeit von Mister Amazon in jenen Momenten, als das Überleben des Unternehmens auf dem Spiel stand. Fast schon legendär ist auch ein intern auf den Spitznamen „Gazelle“ getauftes Projekt von 2004. Kleinere Buchverlage, die ohne Amazon-Verkäufe nicht leben können, sollen Amazon bessere Konditionen einräumen. Kurz: Amazon soll die Verleger jagen wie ein Gepard eine kranke Gazelle. Genauso kam es.
Martialische Töne
An martialischen Tönen scheinen auch andere Online-Eroberer Gefallen zu finden – etwa Oliver Samwer, der mit seinen Brüdern Marc und Alexander entscheidend an Zalandos Aufstieg zur Modemacht beteiligt war. In einer Mail an Führungskräfte soll er von seinen Leuten einen „Blitzkrieg“ zur Eroberung von Märkten gefordert haben, schreibt Autor Hagen Seidel in seinem Zalando-Buch „Schrei vor Glück“.
Die Businesspläne müssten „mit Blut“ unterschrieben werden, verlangte Samwer – und entschuldigte sich später für die Wortwahl. Das hindert ihn indes nicht daran, dem stationären Handel kräftig einzuheizen: „Was ist das Schrecklichste am Offline-Handel?“, fragte er Anfang März beim Tengelmann e-day in Mülheim an der Ruhr ins Publikum, um selbst zu antworten: „Die Verkäufer! 90 Prozent aller Verkäufer sind doch total schlimm.“
Einige der Aussagen mögen gezielte Provokationen sein. Doch sind selbst ernannte Gazellenjäger und Blitzkrieger wirklich die richtigen Kooperationspartner für kleine Händler?
Kleine Händler
„Amazon ist Fluch und Segen zugleich für kleine Händler“, urteilt Dominik Gyllensvärd, Partner der Hamburger Beratung dgroup. Schließlich ziehe die riesige Plattform viele Besucher auf die Seite und biete eine gute Logistik. Doch der Preis ist hoch: Je nach Produktwert und -art kassiert der Konzern aus Seattle 7 bis 35 Prozent des Verkaufspreises als Provision.
Kleine Händler geben nicht nur einen Teil ihrer Marge an den Versandkoloss ab. Das Unternehmen behält auch sämtliche Informationen über Kunden ein. „Wer die Daten hat, gewinnt“, sagt Berater Gyllensvärd. Kleine Händler hätten dann kaum Chancen, mit ihren Kunden zu kommunizieren oder sie über eigene Werbung anzusprechen.
Die Nische der Wettbewerber
Manch Marktplatz-Partner argwöhnt bereits, dass Amazon die Verkaufsdaten rastert, um anschließend selbst in der Nische zu wildern. Läuft ein Produkt gut, bietet es Amazon selbst an – natürlich günstiger als der kleine Händler. „Das ist nicht richtig“, sagt eine Amazon-Sprecherin dazu. Ziel sei es zwar immer, die Auswahl zu vergrößern, aber nicht zulasten der Partner.
Amazon-Abtrünnige sind da skeptisch. „Ein Geschäftsmodell im Vertrieb, das weder den Lieferanten noch den eigenen Mitarbeitern die Luft zum Atmen lässt, hat keine Zukunft“, monierte André Thiele, Chef des Mainzer VAT Verlags, in seinem öffentlichen Kündigungsschreiben an den Großversender. Auch sein Verleger-Kollege Christopher Schroer vom Verlag Die Neue Sachlichkeit in Lindlar wollte nicht länger Gazelle sein: Er kündigte seine Zulieferer- und Kundenkonten bei Amazon „mit sofortiger Wirkung und allen Konsequenzen“.
Eine Amazon-Sprecherin weist derlei Vorwürfe von sich. Die Konditionen für Händler wie Verlage seien attraktiv. Weltweit habe das Unternehmen mit Millionen Händlern „erfolgreich Geschäfte aufgebaut“.
Online-Vertrieb nicht über Amazon
Doch auch Sportartikelhersteller wie Adidas und Asics oder der Outdoor-Anbieter Deuter untersagen ihren Vertriebspartnern inzwischen, Produkte über Portale wie Amazon anzubieten. „Die Fotos von unseren Produkten sind extrem schlecht, teilweise wurden sie mit dem Handy von irgendwelchen Garagenhändlern aufgenommen“, kritisiert Bernd Kullmann, Geschäftsführer der Schwan-Stabilo Outdoor-Holding, zu der Deuter gehört. Er änderte Anfang des Jahres seine Vertriebsrichtlinien. „Wir haben dadurch zwar 800 Händler verloren, aber machen genauso viel Umsatz.“ Kullmann ist der Online-Vertrieb wichtig – aber nicht über Amazon.
Anfang des Jahres rief das Geschäftsgebaren des Online-Primus gar das Bundeskartellamt auf den Plan. Der US-Konzern steht im Verdacht, den Wettbewerb zwischen Online-Marktplätzen zu behindern. Händler, die Produkte über Amazon verkaufen, mussten sich verpflichten, ihre Waren nirgends billiger anzubieten als auf dem US-Portal. Noch bevor die Kartellwächter ein offizielles Verfahren eröffneten, knickte Amazon teilweise ein. Im August teilte das Unternehmen dem Kartellamt mit, dass die sogenannte Preisparität ab sofort nicht mehr angewendet würde.
Trotzdem wird der E-Commerce-Dominator de facto weiter die Preise diktieren, erwartet ein Vorstand eines deutschen Wettbewerbers: „Die werden von den großen Playern keine Verschlechterung der Konditionen akzeptieren.“
Teurer Online-Shop
Die Möglichkeiten zur Gegenwehr sind begrenzt. Auch ein eigener Online-Shop ist kein Allheilmittel. Zwar lässt sich eine rudimentäre Seite schon für ein Taschengeld zurechtzimmern. Entsprechend sehen dann allerdings auch die Umsätze aus: „Wer einen aufwendigeren Shop betreiben möchte, muss viel in Online-Marketing, den Aufbau der Seite, in Beschaffung und Logistik und weiteres Personal investieren“, sagt Berater Gyllensvärd. Für Fashion-Händler lohne sich ein eigener Online-Shop daher erst ab einem Umsatz von 25 bis 30 Millionen Euro.
Alternativen zu Amazon oder eigenen Web-Angeboten bieten kleinere Portale wie der Kölner Online-Marktplatz Hitmeister oder das japanische Portal Rakuten. Die Marktplätze sind zwar kleiner, dafür aber weniger wettbewerbsintensiv. „Das ist ähnlich wie auf dem Wochenmarkt“, sagt Gyllensvärd. „Wenn es schon zehn weitere Käsehändler gibt, sollte man sich überlegen, auf einen anderen Markt zu gehen, auf dem man der einzige ist.“
Alternativen
Vor sechs Jahren gründete Gerald Schönbucher das Portal Hitmeister. 20 Millionen Produkte aus 350 Kategorien bietet er auf seiner Seite an. Während Amazon 39 Euro Grundgebühr pro Monat kassiert, sind es bei Hitmeister nur knapp 20 Euro. Außerdem begnügt sich Hitmeister mit Provisionen zwischen 5,9 und 12,5 Prozent – je nachdem, wie hoch die Gewinnmarge des Produktes ist.
Bei Ebay ist die Konkurrenz zwar ungleich größer, dennoch könnte sich die Verkaufsplattform in Zukunft als Spezialist für die Verbindung von stationärem und Online-Geschäft profilieren. So bietet Ebay Kunden in Großbritannien neuerdings die Möglichkeit an, das gewünschte Produkt online zu kaufen und es vor Ort im Laden abzuholen. Tests des Click&Collect-Systems laufen auch in Deutschland. So bieten Dutzende Märkte des Elektronikhändlers Saturn Ware in Ebay-Shops an, die direkt im Laden abgeholt werden kann.
In eine ähnliche Richtung zielt die neue Plattform Quicker.
Quicker
Alexander Anhuth, Chef und Gründer der Quicker-Muttergesellschaft EOL Group, sitzt im Restaurant des Düsseldorfer Hyatt-Hotels und kommt kaum dazu, sein Tartar zu genießen. Anhuth hat auf Präsentationsmodus geschaltet – das Essen wird zur Nebensache. Stattdessen jagt er durch seine PowerPoint-Charts, die von Rabatten und Kampagnen, Impulskäufen und Gutscheinen handeln.
Quicker lässt sich als eine Mischung aus Werbeagentur, Schnäppchenportal und Online-Prospektanbieter beschreiben. Die Geschäftsidee: „Wir wollen Online-Nutzer dazu bringen, gezielt in den Filialen unserer Partner einzukaufen“, sagt Anhuth.
Gutscheine
So können Nutzer auf der Plattform zum Beispiel für 5,95 Euro einen Gutschein der Schuhhandelskette Reno erstehen. Wird der ausgedruckte Coupon später beim Einkauf in der Filiale vorgelegt, gibt’s 15 Euro Preisnachlass. Da der Händler an Quicker nur eine Provision zahlt, wenn die Kunden den Gutschein einlösen – also Geld in der Filiale ausgeben –, lohnt sich der Deal für ihn. Zudem lassen sich gezielt einzelne Standorte promoten. „Wenn ein Händler 15.000 Kunden mehr in seine Läden bekommen möchte, kriegen wir das hin“, verspricht Anhuth. Er hat bereits prominente Namen wie den Lebensmittelhändler Tegut, den Schuhhändler Deichmann oder den Parfümspezialisten Douglas als Kunden gewonnen.
Demnächst soll eine Produktsuche das Angebot ergänzen. Kunden können dann per Computer oder Smartphone Einkaufslisten verwalten und sich darüber informieren lassen, wann es Nutella-Gläser oder Nike-Sportschuhe in der Nachbarschaft mit Nachlass gibt.
Nicht in einer Metropole entwickelt
Obwohl Quicker gerade erst loslegt, hat sich Anhuth einen Aufsichtsrat zugelegt, der selbst ein Dax-Unternehmen schmücken würde. So wachen neben dem früheren Aldi-Süd-Manager Wolters auch Ex-Bertelsmann-Chef Mark Wössner sowie Frank Schmidt, ehemaliger Deutschland-Chef der Mediaagentur Group M, über das Unternehmen.
Was die Gardemanager überzeugt haben dürfte: Quicker wurde nicht in einer der Metropolen entwickelt, wo der Handelsexodus bisher kaum spürbar ist. Das Unternehmen hat seinen Sitz im hessischen Fernwald, einem Ort mit 6500 Einwohnern, irgendwo in der Nähe von Gießen.