Wachsender Drogenmarkt Die Deutschen im Drogendelirium

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Viel mehr als nur zehn Milliarden Euro Schaden


Eine weitere fast unbekannte Komponente, die den Negativtrend verschärft, sind die so genannten „Legal Highs“, – die vorzugsweise übers Internet vertrieben werden. Hier sind jede Menge als Räuchermischungen, Badesalze oder Dufterfrischer getarnte Rauschmittel zu finden. BKA-Präsident Holger Münch warnte in einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor einer Überschwemmung des Marktes durch die neuen Drogen. Die Zombiedroge "Cloud Nine" gibt es hier als "Ivory Wave" für gerade mal zehn Euro in der 0,2-Gramm-Packung. Aber auch wesentlich größere Mengen können problemlos gekauft werden. Häufig handelt es sich dabei um künstlich hergestellte und in ihrer Wirkung noch unerforschte Stoffe. Sie fallen, da in immer neuer Zusammensetzung auf den Markt gebracht, teilweise nicht unter das Betäubungsmittelgesetz oder andere gesetzliche Regelungen. Ihr Konsum ist deshalb unter Umständen legal.

Das Chemie-Roulette der "Legal Highs" hat nicht selten schwerwiegende Folgen, die von einer gewalttätigen Psychose bis zum Herzstillstand reichen. Die Todesfälle im Zusammenhang mit dem Konsum von „Legal Highs“sind von 24 im Jahr 2014 auf 39 im vergangenen Jahr gestiegen - eine Zunahme um 39 Prozent. Ein aktuell beschlossener Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit versucht zwar, mit dem Verbot einzelner Substanzen gegen die Mischungen vorzugehen. Damit werden aber nur solche Stoffgruppen erfasst, die sich bereits auf dem Markt befinden - und die Dealer lassen sich immer etwas Neues einfallen.

Drogen

Was das den Steuerzahler kostet, weiß in Deutschland derweil niemand. Anfragen an mehrere Bundesministerien und alle 16 Länder zeigen: Es gibt nicht einmal Schätzungen, wie viel Geld und Personal in welche Bereiche der Drogenpolitik fließen. Der einzige Versuch einer umfassenden Schätzung stammt von der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) aus dem Jahre 2006. Direkte Ausgaben der Gebietskörperschaften sowie Sozialversicherungsträger kamen auf bis zu 6 Milliarden Euro an Gesamtausgaben für den Bereich illegaler Drogen. Bei einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2302 Milliarden Euro im Jahre 2006 entspräche das 0,3 Prozent des Gesamthaushaltes. Würde man diese 0,3 Prozent auf das BIP von 2015 anrechnen, wäre man schon bei 10 Milliarden Euro. „Der tatsächlich durch illegale Drogen verursachte Schaden für den deutschen Staat ist allerdings weitaus höher“, schätzt Huth.

Als Lösung für all diese Probleme wird von einigen Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen und Politikern gebetsmühlenartig eine Legalisierung von Cannabis, von manchen sogar die Legalisierung aller Drogen, gefordert. „Wir haben mit Alkohol schon die Cholera, dann müssen wir uns mit Cannabis nicht auch noch die Pest ins Boot holen“, sagt hingegen Huth.

Cannabis-Gesetze weltweit

Unstrittig ist, dass eine Lösung gefunden werden muss. Der Drogenpolitik fehlt es am wissenschaftlichen Fundament. Seit 1971 das Betäubungsmittelgesetz erlassen wurde, hat die Verfügbarkeit von Drogen stetig zugenommen. Was Cannabis, Ecstasy, Kokain und andere illegale Substanzen im Detail für Folgen haben, machen Behörden nicht transparent.

Was also tun? Ein Staat, der sogar aus Huths Sicht vormacht, wie es funktionieren kann, ist Portugal. Seit 2001 setzt das Land erfolgreich auf die strikte Entkriminalisierung des Konsumenten. Heroin: ein Gramm, Kokain: zwei Gramm, Cannabis (Kraut): 25 Gramm. Das sind die Drogenmengen, die man in Portugal bei einem Dealer kaufen und in der Hosentasche durch Lissabon tragen darf, ohne eine Strafe fürchten zu müssen. Die Substanzen sind zwar auch in Portugal weiterhin verboten. Aber wer diese Drogen nimmt, begeht nur eine Ordnungswidrigkeit - ähnlich wie beim Falschparken.

Kolumbianische Polizei beschlagnahmt acht Tonnen Kokain

„Damit so ein Modell funktioniert, muss viel Geld in die Hand genommen werden“, erklärt Huth. Dass Deutschland bereit ist, diesen Schritt in naher Zukunft zu gehen, sieht der Rauschgiftexperte allerdings nicht. Die tatsächlichen Auswüchse des illegalen Drogenhandels decken sich noch nicht einmal ansatzweise mit den Zahlen der Drogenberichte. Deshalb habe die Öffentlichkeit oft das subjektive Empfinden, dass der Markt rückläufig ist, und kein großes Problem mehr darstelle. „Und das ist die gefährlichste Entwicklung der vergangenen Jahre.“

Der Tresor im Keller der Staatsanwaltschaft ist gut jedenfalls gefüllt. Zu 90 Prozent mit Drogen. Die heute entsorgten 15 Kilogramm waren nur ein kleiner Teil aus denen bis zur Decke gefüllten Regalreihen. In fünf Wochen steht der nächste Transport an. Dann heißt es wieder unterschreiben und stempeln, unterschreiben und stempeln. Eine regelrechte Sisyphusarbeit.

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