Eigentlich sind nur zwei Konstanten über die chinesische Führung bekannt: Meist kommt Peking mit seinen Maßnahmen spät, dann aber hart und unberechenbar. Das belegt einmal mehr die Mitteilung der staatlichen Versicherungsaufsicht CIRC diesen Freitag, die Leitung des Versicherers Anbang zu übernehmen.
Die Pekinger Behörde teilte mit, für „mindestens ein Jahr“ die Kontrolle beim drittgrößten Versicherer des Landes behalten zu wollen. Gegen den im Sommer zurückgetretenen Firmenchef Wu Xiaohui werde zudem ermittelt. Wu werde beschuldigt, Gelder „unsachgemäß“ verwendet zu haben.
Nach der rechtlichen Grundlage für diesen Schritt zu fragen, ist ungefähr so unnötig, wie zu fragen, ob die Anteilseigner bei Anbang eine Wahl hatten. Bei der Maßnahme, so beschwichtigte Peking, handele es sich nicht um eine Verstaatlichung. Durch die Übernahme der Geschäftsführung solle lediglich sichergestellt werden, dass Kunden vor „rechtswidrigen Praktiken“ geschützt werden. Was in einem Rechtsstaat zu einem Gerichtsverfahren führen würde, übernimmt in China eben Peking.
Das Vorgehen der Behörden diese Woche zeigt nicht nur, dass China weiterhin trotz vieler Versprechen ein unberechenbarer Partner bleibt. Gleichzeitig ist es auch ein Beleg dafür, wie hoch der Druck in der chinesischen Wirtschaft wirklich ist. Während die Regierung nach außen hin Macht demonstriert, fürchtet sich Peking vor einer Schuldenkrise, die das ganze Land erschüttern könnte. Die Anbang-Gruppe, die nun in den Händen Pekings liegt, war seit 2014 auf einer beispiellosen Einkaufstour im Ausland. Wie eine Reihe chinesischer Firmen, darunter auch der Großaktionär der Deutschen Bank HNA, übernahm Anbang eine Firma nach der anderen.
15 Milliarden Dollar gab das Unternehmen aus Ningbo in Ostchina dabei aus. Darunter auch 1,9 Milliarden Dollar für das berühmte Luxushotel Waldorf Astoria Hotel in New York. Zwischenzeitlich galt der Konzern sogar als Interessent für die HSH Nordbank. Inzwischen werden die Vermögenswerte des als Autoversicherer gegründeten Konzerns auf über 300 Milliarden Dollar geschätzt.
Der Versicherer stand seit Längerem aufgrund seiner undurchsichtigen Finanzen in der Kritik. Das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin berichtete bereits vor Monaten, dass der Konzern Versicherungsprämien seiner Kunden illegal für Zukäufe im Ausland genutzt habe. Anbang wies diese Anschuldigungen zurück.
In Peking kümmerten die Vorwürfe lange niemand. Im Gegenteil, die chinesischen Staatsbanken gaben fleißig weiter Geld. Nicht nur an Anbang, auch an das Konglomerat Fosun, den Mischkonzern HNA und den Immobiliengiganten Wanda, die so allesamt ungebremst expandieren konnten. Während Analysten bereits früh vor den Folgen des schuldengetriebenen Wachstums warnten, reichte den chinesischen Banken die Sicherheit, dass die Übernahmen den Segen Pekings hatten, um fleißig weiter Schecks zu schreiben. Mit der „Made in China 2025“-Strategie spornte Peking seine Firmen sogar an, in Schlüsselindustrie im Ausland zu investieren, um China an die Spitze der Industrienationen zu katapultieren.
Zu lange blickte Peking weg, als seine Firmen anstatt Hightech-Firmen Immobilien in London, Filmstudios in den USA und Fußballclubs in Italien kauften. Nun zieht es die Notbremse. Denn, so der Chef der Zentralbank Zhou Xiaochuan, die Übernahmen widersprächen den „Bedürfnissen“ der chinesischen Industriepolitik. Doch kommt das Einschreiten Pekings überhaupt noch rechtzeitig? Nicht nur Versicherer Anbang ist betroffen. Auch das Konglomerat Wanda des Milliardärs Wang Jianlin, der einst mit dem Immobilienhandel reich geworden war. Dazu gehören inzwischen mehrere Kinoketten, Filmstudios und allein 200 Einkaufszentren. Ein Bummel in seinen Malls gehört zum chinesischen Mittelstand wie der erste Autokauf. Doch nach Milliarden-Investments im Ausland und tiefroten Zahlen zu Hause ist auch dort die Party vorbei.
20 Milliarden Dollar hat der Tycoon Wang in den vergangenen Jahren im Ausland investiert. Nun muss er alle seine Immobilien im Ausland verkaufen. Seine auf Pump finanzierten 13 Freizeit-Parks – neun davon sind noch nicht einmal fertig gebaut – gehen für rund 5,6 Milliarden Euro an seinen Konkurrenten Sunac. 77 seiner Luxushotels sind futsch. Gleichzeitig nutzte Techgigant Tencent die Notlage aus, um sich für günstiges Geld 14 Prozent an Wangs Immobilienimperium zu sichern.
Düstere Aussichten für Chinas Wirtschaft
Düster sieht es auch bei HNA aus. Der mit einer unbekannten Regionalfluglinie in den 1990er Jahren gestartete Mischkonzern hat laut Schätzungen von Bloomberg inzwischen Vermögenswerte im Wert von 190 Milliarden Dollar angehäuft. Davon 30 Milliarden in Beteiligungen und 14 Milliarden in Immobilien. Bei seiner weltweiten Einkaufstour steckte es alleine 2016 rund 40 Milliarden Dollar in Firmen aus der Logistik- und Tourismusbranche und avancierte im vergangenen Jahr mit knapp zehn Prozent zum größten Aktionär der Deutschen Bank.
Aber auch HNA finanzierte auf Pump. Das Pekinger China Business Journal berichtete im Februar, dass der Konzern umgerechnet 23,8 Milliarden Euro an kurzfristig fälligen Krediten belaste. Allein in der ersten Jahreshälfte müsse die Firma 2,02 Milliarden Euro an laufenden Zinsen zahlen. Geld, das das Unternehmen scheinbar nicht hat. Inzwischen sind mindestens sieben Beteiligungen von HNA an der Hongkonger Börse vom Handel ausgesetzt. Auch Fluglinien, die zum Konzern gehören, konnten Gebühren für geleaste Maschinen nicht pünktlich begleichen. Nun prüft das Unternehmen, was es aus seinem Bestand wieder loswerden kann. Seine Anteile an der Deutschen Bank musste es bereits reduzieren.
Die Beispiele sind nur ein paar von vielen. Chinas Wirtschaft ächzt unter einer gewaltigen Schuldenlast. Um die Wirtschaftskrise in China abzufedern, verabschiedete das Land 2008 ein Investitionspaket in Höhe von 4 Billionen Yuan, umgerechnet heute 519 Milliarden Euro. Seitdem schießt die chinesische Regierung immer wieder Geld nach. Der Schuldenberg, den China in den vergangenen Jahren angehäuft hat, summiert sich mittlerweile auf über 280 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vor allem die hohen Unternehmensschulden belasten die Wirtschaft. Liu He, Chef-Ökonom des Landes, erklärte im Januar in Davos, dass das Land in den kommenden drei Jahren gezielt gegen die Verschuldung vorgehen werde, um „systemische Risiken“ zu verhindern.
Das muss die Deutsche Bank 2018 alles meistern
Der Wertpapierhandel und das Geschäft mit Börsengängen, Fusionen und Übernahmen war einst die Vorzeigesparte der Deutschen Bank. Nach der Finanzkrise und erst recht nach dem Abgang des ehemaligen Star-Investmentbankers Anshu Jain sanken jedoch die Erträge und das Institut läuft den großen US-Häusern hinterher. Die neue Doppelspitze aus Marcus Schenck und Garth Ritchie steht unter Druck, schnell Kunden zurückzugewinnen. Unlängst bat das neue Duo die Investoren öffentlich um Geduld; der Umbau der Investmentbank werde noch zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen.
Helmut Hipper, Fondsmanager bei Union Investment, einem der größeren Aktionäre der Bank, geht hart ins Gericht: "Die Deutsche Bank hat bei den Investoren zu hohe Erwartungen geweckt." Sie habe sich schlechter geschlagen als die Konkurrenz und müsse nun schnellstens aufholen. "Sonst muss man sich schon fragen: Funktioniert der Business-Plan?"
Wahrscheinlich komplexester Teil der von Cryan im Frühjahr ausgegebenen Strategie ist die Integration der Postbank. Nachdem der Verkauf des Bonner Instituts nicht gelungen war, soll sie nun mit der Privatkundensparte der Deutschen Bank verschmolzen werden. Damit entsteht mit rund 20 Millionen Kunden und einem Kundenvermögen von 325 Milliarden Euro ein neuer Riese auf dem deutschen Markt.
Mitte 2018 ist die rechtliche Zusammenführung geplant. Der Fusion werden in den kommenden Jahren Tausende Stellen zum Opfer fallen, vor allem bei der Postbank - wie viele ist noch unklar. Aber die Deutsche Bank hat kurz vor Weihnachten ein Freiwilligenprogramm aus der Taufe gehoben und will zunächst bis zu 1000 Mitarbeiter über Altersteilzeit und Abfindungen loswerden. Kündigungen sind bis 2021 ausgeschlossen.
Ein weiterer wichtiger Baustein in Cryans Strategie ist der Teil-Börsengang der Vermögensverwaltung, der im ersten Halbjahr 2018 über die Bühne gehen dürfte. Schätzungen von Analysten zufolge könnte der Verkauf von einem Viertel der Aktien der Deutschen Asset Management (DAM) zwei Milliarden Euro bringen.
Das erste Feedback potenzieller Investoren war verhalten, weil sich die Bank über das rechtliche Konstrukt der Kommanditgesellschaft auf Aktien Einfluss auch für den Fall gesichert hat, dass ihr Anteil sinkt. Das Team um DAM-Chef Nicolas Moreau wird einiges an Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit der Börsengang ein Erfolg wird.
Auf Cryans persönliche To-do-Liste dürfte Aufsichtsratschef Paul Achleitner für 2018 Treffen mit den Großaktionären geschrieben haben. Das Emirat Katar, der hierzulande misstrauisch beäugte chinesische Mischkonzern HNA, der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock und der US-Investor Cerberus wollen umgarnt werden. Nachdem Cryan unlängst schon Ärger mit Achleitner bekam, weil er es terminlich nicht schaffte, zum Antrittsbesuch bei den Chinesen vorbeizuschauen, sollte ihm ein solcher Fauxpas nicht nochmal passieren. Zu deutlich wurde seitens der großen Geldgeber schon Kritik an Cryan laut als das Achleitner diese überhören könnte.
Aus dem Umfeld eines der größeren Anteilseigner sind deshalb warnende Töne zu hören - wenn auch hinter vorgehaltener Hand: "Achleitner hat einen Pakt mit den Großinvestoren geschlossen und wenn die ihm sagen, er soll Cryan fallenlassen, dann wird er das auch tun."
Auch die zuvor oft laschen Kontrollen der Finanzaufsicht werden nun deutlich verschärft. Verantwortlich für die strikteren Kontrollen von Darlehen ist die China Banking Regulatory Commission. Die Kommission werde in Zukunft striktere Kontrollen für Darlehen einführen, so Chinas Bankenaufseher zuletzt in Peking. Denn die Lage sei „düster und kompliziert”. Chinas geschasster Finanzminister Lou Jiwei spricht sogar davon, dass die Situation in China dramatischer sei als in den USA vor der globalen Finanzkrise 2007. Der 68-Jährige leitete bis 2016 vier Jahre das Finanzministerium. Chinas Finanzmarkt sei „chaotisch“ und das ständige geldpolitische Anheizen der Wirtschaft würde nur noch stärker Finanzspekulationen antreiben, aber keinen Einfluss auf reales Wachstum haben, so Lou im Januar.
Laut eines Berichts von Standard & Poor's Global Ratings aus dem Januar wird es trotz steigender Gewinne schwierig werden, die Risiken der überschuldeten chinesischen Firmen zu verringern. „Im vergangenen Jahr wurden die Gewinne zwar durch das Anheben des Preisniveaus, hohe Rohstoffpreise und die guten Refinanzierungsbedingungen angekurbelt.“ Dass alles reiche aber nicht, um viele Kreditnehmer zu retten, fürchten die Analysten. Denn höhere Renditen und Margen am inländischen chinesischen Anleihemarkt signalisierten für dieses Jahr „verschärfte Refinanzierungsbedingungen für die risikoreichsten Kreditnehmer“.
Die kommissarische Leitung Anbangs durch Peking sollte auch in Deutschland genau beobachtet werden. Auch wenn China sich immer wieder als ernstzunehmender Akteur in der internationalen Finanzwelt positionieren will. Kritik an den Übernahmen, den undurchsichtigen Unternehmensstrukturen und auf Pump finanzierten Einkaufstouren deutet China stets als Missgunst am eigenen Erfolg. Warnhinweise aus der Wirtschaft und Politik gelten für China nicht.
Gutgläubig hat die Deutsche Bank den Einstieg der Chinesen zugelassen. Was die „Leitung“ des Großaktionärs der Deutsche Bank HNA durch chinesische Behörden – bisher nur ein Gedankenspiel – für die Bank und ihre Gläubiger bedeuten könnte? Darauf kennt wahrscheinlich nicht einmal Peking eine Antwort.