Walmart will Jet.com kaufen Handelsriese hofft auf den Adrenalinschub

Walmart will offenbar in einer seiner größten Übernahmen jemals ein Start-up für eine Milliardensumme übernehmen. Es wäre der entscheidende Schritt, um den alten Handelsriesen wieder gegen Amazon ins Spiel zu bringen.

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Der weltgrößte klassische Einzelhändler ist am Start-up Jet.com interessiert. Quelle: AFP

San Francisco Handelsgigant Walmart will den Online-Händler und Amazon-Herausforderer Jet.com übernehmen. Das berichtet das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf informierte Kreise. Der Kaufpreis für das Startup, das gerade einmal seit einem Jahr im Markt ist, könnte bis zu drei Milliarden Dollar betragen, heißt es. Keines der Unternehmen wollte den Bericht kommentieren. Walmarkt-Aktien fielen am Mittwoch während des leicht und konnten sich auch nachbörslich nicht erholen.

Euromonitor-Analystin Michelle Malison sieht in dem potenziellen Deal große Chancen für beide Partner. Jet.com habe ein erfolgreiches erstes Jahr hinter sich gebracht, mit hohen Wachstumsraten. Die im Juli veröffentlichen Zahlen sprechen von einer „run rate“ von einer Milliarde Dollar im gehandelten Bruttowarenvolumen und vier Millionen Kunden. Die profitieren von der innovativen Software von Jet.com, bei der die Produkte während des Einkaufs billiger werden. Wer sich für zwei statt einem entscheidet, sieht sofort, „in Echtzeit“, ob und wie viel ein Preis fällt und ob es sich lohnt, noch eines hinzuzufügen. Das ist der größte Unterschied zu Amazon, das mit starren Preisen oder vorgegebenen Rabatten arbeitet.

Der durchschnittliche Warenkorb liegt nach eigenen Angaben bei 80 Dollar pro Kunden, weit über der Minimum-Vorgabe für kostenlose Lieferung. Ursprünglich hatte jet.com mit einem Geschäftsmodell gearbeitet, bei dem eine Jahresgebühr von 50 Dollar fällig wurde und dafür größere Rabatte auf die Waren gegeben wurden. Doch das akzeptierten die Kunden offenbar nicht. Nun ist Jet eine freie Plattform ohne Eintrittsgebühren.

Drei Milliarden Euro klingen viel für das junge Unternehmen, aber für Walmart könnte Jet.com das werden, was WhatsApp für Facebook war. Mark Zuckerberg hatte für das umsatzlose Unternehmen mit 50 Angestellten seinerzeit 19 Milliarden Dollar bezahlt und dafür viel Kritik und Unverständnis geerntet. Heute hat WhatsApp über eine Milliarde Nutzer, hat Facebook in einem kritischen Wachstumssegment wieder den Anschluss verschafft und gilt als eine der treibenden Kräfte im weltweiten Bereich der Chat-Dienste, die Telekom-Unternehmen angreifen.

Warum könnte Jet diese Funktion für Walmart übernehmen? Der weltgrößte klassische Einzelhändler hat ein Online-Problem, was sich an Zahlen deutlich festmachen lässt. Lag das Wachstum im Bereich Onlinehandel im ersten Quartal 2014 noch bei 27 Prozent, waren es im ersten Quartal 2016 gerade noch mal sieben Prozent. Und das in Zeiten, in denen Amazon ungebremst weiter wächst, wie die jüngsten Quartalszahlen eindrucksvoll bestätigt haben, und mittlerweile sogar gute Gewinne schreibt.

Walmart droht ohne einen kräftigen Adrenalinschub ganz klar den Anschluss zu verlieren. Nähere Informationen zu einer möglichen Übernahme und der Entwicklung des eigenen Online-Segments sind am 18. August zu erwarten, wenn die Zahlen für das zweite Quartal vorgelegt werden.

Im ersten Quartal des Finanzjahres 2017 war der Bruttoumsatz im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,9 Prozent auf 115,9 Milliarden Dollar gestiegen, der Nettogewinn war um zwei Prozent auf 3,2 Milliarden Dollar gefallen. Doug McMillan, Walmart-Vorstandschef seit Anfang 2014, hatte bereits zu seinem Amtsantritt mehr Akquisitionen im Online-Segment angekündigt.


Jet.com würde von Walmart profitieren

Der Handelsgigant hat aber ein Pfund, mit dem er auch Online wuchern kann. Satte 11.545 Einzelhandelsstandorte weltweit, die meisten in den USA, aber auch in Südamerika, Teilen von Asien und zu einem geringen Teil in Europa, sind eine starke Basis. Sie bieten eine hervorragende Ausgangsbasis, um von den Vororten aus, wo die meisten Walmarts sind, die Zentren der Innenstädte schnell mit Waren zu beliefern.

Jet.com hat, anders als Amazon, keine großen Logistikzentren weltweit, sondern arbeitet mit unabhängigen Lieferanten zusammen, die die Waren kommissionieren und ausliefern. Walmarts Logistikapparat und die enorme Warenhaltung wären eine willkommene Erweiterung in einem Markt, der immer mehr zur Auslieferung am gleichen Tag oder sogar innerhalb weniger Stunden tendiert. Jet.com erreicht nach eigenen Angaben heute 99 Prozent der Haushalte in den USA innerhalb von zwei Tagen. Walmart würde die Auslieferungsquote am selben Tag voranbringen.

Für die Investoren in jet.com, die 500 Millionen Dollar in den Amazon-Herausforderer gesteckt haben, wäre der Verkauf ein schneller und lukrativer Ausstieg. Vor allem vor dem Hintergrund einer schwierigen Situation für Börsengänge im bisherigen Jahresverlauf. Gewinne schreibt das Unternehmen nach eigenen Angaben noch nicht.

Gegründet wurde jet.com von Marc Lore. Der hatte 2010 sein Windel-Start-up Diapers.com an Amazon verkaufen müssen, nachdem ihm Bezos den ultimativen Preiskrieg erklärt hatte. Lore war mit seinem Windel-Onlineverkauf damals noch nicht in der Lage, der gnadenlosen Tiefstpreis-Strategie von Jeff Bezos etwas entgegenzusetzen. Nachdem er einige Jahre als Manager bei Amazon gearbeitet hatte, verließ er die Zentrale in Seattle und startete im New Yorker Hipster-Stadtteil Hoboken Jet.com, seine Rache an Bezos. Unter den Investoren befindet sich auch Google Ventures. Der Online-Riese will seit Jahren im Onlinehandel Fuß fassen.

Noch ist nicht einmal sicher, ob Walmart ein Gebot abgibt, aber Analysten spekulieren schon auf ein mögliches Bietergefecht. So könnte zum Beispiel Target, Nummer zwei im US-Markt und ebenfalls schwach im Online-Handel ein Gegengebot vorlegen, so die Vermutungen. Aber auch Google könnte vielleicht versuchen, seine Interessen zu wahren.

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