
Kurz vor der Ortseinfahrt Warstein auf der B 55 fällt der Blick auf eine Hauswand mit riesigem Logo und der Aufschrift „Das einzig wahre Warsteiner“.
Entlang der Hauptstraße hängen an Dönerbuden, Bistros, Kiosken und Restaurants verblasste Schilder und Embleme mit dem Slogan „Die Königin unter den Bieren“. Flankiert wird der wilde Werbemix im Ortskern von zerfledderten Fahnen mit Biergläsern und dem Schriftzug „Familientradition seit 1753“ und Plakatwänden mit Bierflaschen und Slogans wie „Mein Herz schlägt für das Sauerland“.
Bei der Fahrt durch die Kleinstadt rast auf wenigen Hundert Metern das ganze Dilemma der Biermarke wie im Zeitraffer vorbei: Verfall, Verirrung, Verwirrung.
Die beliebtesten Biermarken in Deutschland 2015
Erdinger
Absatz: 1801 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -1,2 %
Radeberger
Vorjahr: Platz 9
Absatz: 1895 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +1,5 %
Hasseröder
Vorjahr: Platz 8
Absatz: 2245 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -0,2%
Warsteiner
Vorjahr: Platz 6
Absatz: 2342 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -7,4 %
Paulaner
Vorjahr: Platz 7
Absatz: 2420 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +/- 0%
Beck’s
Vorjahr: Platz 5
Absatz: 2559 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +1,1%
Veltins
Vorjahr: Platz 4
Absatz: 2785 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +0,5%
Bitburger
Vorjahr: Platz 3
Absatz: 3840 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -1,1%
Oettinger
Vorjahr: Platz 1
Absatz: 5393 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -4,1%
Krombacher
Vorjahr: Platz 2
Absatz: 5487 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +0,3%
Warsteiner hat seine Identität verloren. Von der Brauer-Glorie mit goldgelackter Krone ist nur vergilbte Erinnerung geblieben. Das einst meistgetrunkene Pils in Deutschland droht zur Regionalmarke zu schrumpfen. Ursache ist ein gefährlicher Sud aus sinkendem Bierkonsum und Managementfehlern.
Das Absaufen der Marke soll nun, nach dem Tod des Warsteiner-Patriarchen Albert Cramer 2012 und einem Intermezzo seiner 37-jährigen Tochter Catharina, der ehemalige Red-Bull- und Capri-Sonne-Manager Martin Hötzel stoppen. Der 49-Jährige, seit 2014 bei Warsteiner, hat seit Anfang vergangenen Jahres als Geschäftsführer für Vertrieb und Marketing das Kommando übernommen. Alleininhaberin Catharina Cramer hat sich aus dem Tagesgeschäft weitgehend zurückgezogen und beschränkt sich auf die Rolle der Oberaufseherin.
Hötzel verdoppelt das Werbebudget, wechselt die Farben der Marke und eröffnet zwei neue Vertriebsbüros im Ausland. Auf der Produktseite stützen sich Wachstumshoffnungen auf alkoholfreies Bier. In der Branche herrscht Skepsis: „Das wird wohl kaum reichen“, kommentiert ein langjähriger Kenner des Unternehmens.
Verfall
Die Brauerei mit 2300 Mitarbeitern und 520 Millionen Euro Umsatz ist seit Gründung 1753 in Familienbesitz, heute in der neunten Generation. Bis kurz nach der Jahrtausendwende war Warsteiner mit über fünf Millionen Hektolitern das meistgetrunkene Bier in Deutschland. Dann begann ein Abstieg, der in der Brauerlandschaft seinesgleichen sucht.
Jahr für Jahr zogen konkurrierende Marken an Warsteiner vorbei. Zunächst Krombacher, dann die Billigmarke Oettinger, dann Bitburger und Veltins. Heute belegt das einzig Wahre aus Warstein nur noch Rang sieben, fiel 2015 sogar noch hinter die Weißbiermarke Paulaner zurück.





Sicher, Warsteiner und die Cramers haben zwei turbulente Jahrzehnte hinter sich, mit Wechseln in der Geschäftsführung, juristischen Auseinandersetzungen mit Exmanagern, den Ansturm internationaler Bierkonzerne, Dosenpfand und dem nachlassenden Bierdurst der Deutschen. Den Niedergang der Marke haben sich die Cramers jedoch selbst zuzuschreiben.
Um die Rekordabsätze der Neunzigerjahre von mehr als sechs Millionen Hektolitern halten zu können, verordnete das damalige Management Niedrigpreise und pumpte Warsteiner in jeden Kiosk, jede Imbissbude und jede Tankstelle. Zum Premiumimage passten die Ramschpreise jedoch wie ein Veganer ins Steakhaus.