Verbandssprecher Girnau räumt ein, dass Eigenkontrollen zwar nicht ausdrücklich vorgeschrieben seien. Doch die meisten Unternehmen würden sehr wohl kontrollieren – und zwar dreistufig: durch eigene Proben, durch Lebensmittelkontrolleure und durch externe Gutachter. Wie aber konnte dann diese Masse an falsch ausgewiesenem Fleisch trotzdem in Umlauf geraten? „Klar“, sagt Girnau, „da hätten sich die großen Abnehmer besser bei ihren Zuliefern umsehen müssen“. Mit den „großen Abnehmern“ meint er auch den französischen Handelsbetrieb, der im vergangenen Jahr Hunderte Tonnen Pferdefleisch als Rindfleisch verkaufte. Allerdings hätte es bis dahin nie einen Anlass gegeben, die Ware auf Pferdefleisch zu überprüfen. „Das war ein Einzelfall“, meint Girnau. „Um dem stetig nachzugehen, müsste man genauso gut auf Kängurufleisch prüfen“.
Der Verbandssprecher glaubt nicht, dass konkrete gesetzliche Vorschriften zur Selbstkontrolle möglich sind. Kleinere Lebensmittelbetriebe würden dadurch benachteiligt. Die könnten sich im Gegensatz zu großen Unternehmen keine aufwendigen Kontrollen oder eine transparente Rückverfolgung leisten. Im Gegensatz zu Bode, der glaubt, dass ein Lebensmittelskandal jederzeit wieder möglich sei, sieht der Verbandssprecher positive Veränderungen in der Branche: „Nach Gesprächen mit den Unternehmen gehe ich davon aus, dass die Lieferanten jetzt genauer ausgesucht werden“.
Objektive Beweise hat er aber nicht, dafür fehlen ihm die nötigen Informationen. Und ganz so einfach ist das Aussuchen der Lieferanten keineswegs: Spiegel Online hat herausgefunden, dass die Unternehmen, welche das Pferdefleisch nach Deutschland gebracht haben, unter anderem Namen weiterarbeiten.
Ob Eigenkontrollen tatsächlich per Gesetz verordnet werden, entscheidet am Ende die Politik. Genauer: der neue Minister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt (CSU). Auf den ist foodwatch-Gründer Thilo Bode gar nicht gut zu sprechen. „Von dem halte ich nix, der macht sich zum Büttel der Industrie“, schimpft der 67-Jährige. Anstatt die Verbraucher mit konkreten Gesetzen zu mehr Vorsorge zu schützen, ließe sich der Minister stark von den Verbänden beeinflussen. Die Folge: keine schärferen Kontrollen, sondern lediglich Empfehlungen, die Ware regelmäßig zu kontrollieren und Hygieneverstöße zu melden. In dem deutschen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) erkennt der Verbraucherschützer die Handschrift der Lobbyisten.
„Legaler Etikettenschwindel“
Das Landwirtschaftsministerium wehrt sich gegen den Vorwurf, die Verbraucher nicht ausreichend zu schützen. „Der Pferdefleischskandal war ein krimineller Einzelfall, gegen den das bestehende Kontrollsystem machtlos war“, sagte ein Sprecher des Ministers zu WirtschaftsWoche Online. Aufgrund eines einzigen Falls gleich die ganzen Gesetze in Frage zu stellen, sei verzerrend. „Allgemein ist der rechtliche Rahmen ausreichend gegeben.“
Während Nichtregierungsorganisationen wie foodwatch gegen Lobbyisten und Politiker um das Recht auf sicheres Essen kämpfen, stehen Verbraucher tagtäglich vor den Supermarktregalen. Etiketten versprechen 100 Prozent Rindfleisch, natürliche Aromen im Jogurt und Milchgetränke, die gesund machen. Aber was steckt wirklich hinter den Versprechen, und wo schwindeln die Hersteller?
Wenn man weiß, dass etwa die Aufschrift „natürliches Aroma“ auf einem Erdbeer-Jogurt nichts mit Erdbeeren zu tun haben muss, sondern sich auch auf irgendeinen anderen Rohstoff aus der Natur beziehen kann. Oder dass auf Teeverpackungen auch Früchte gedruckt werden dürfen, von denen nicht einmal ihr Aroma im Tee enthalten sind. Ganz zu schweigen von dem Versprechen von „alkoholfreiem Bier“ mit einem Alkoholgehalt von bis zu 0,5 Volumenprozent. Dann ist der unbehagliche Gedanke an „legalen Etikettenschwindel“ nicht weit.