Weihnachtsgeschäft Warum Kitsch uns glücklich macht

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Widerstand ist zwecklos

Was wir nicht zu Weihnachten geschenkt bekommen wollen
Gegen die AbspracheWer nichts geschenkt bekommen möchte, der sollte auch nichts bekommen. Nichts nervt mehr, als ungewollt mit Päckchen überhäuft zu werden. Wenn die Absprache gilt "keine Geschenke", sollten sich auch wirklich alle zu hundert Prozent daran halten. Quelle: dpa
SockenSocken halten die Füße warm, das ist besonders im Winter behaglich. Täglich frische Socken tragen zu dürfen, ist ein Luxus, den sicher nicht jeder Mensch auf dieser Erde genießen kann. Aber eine Socke ist eine Socke, ist eine Socke, ist eine Socke. Daran ändern auch Rentieraufdrucke und „fesche“ Muster nichts. Und es ist so anstrengend sich über Socken zu freuen… Quelle: dpa
PutzutensilienWas möchte der Schenker dem Beschenkten mit einem Staubsauger, einem lustigen Bildschirmstaubwedel oder einem tollen neuen Bodenwischgerät sagen? Ungefragt Putzutensilien zu verschenken, ist in den meisten Fällen ein Griff ins - ... Sie wissen schon. Quelle: dapd
Düfte Jeder sollte selbst bestimmen dürfen, wie er riecht, daher sind Parfums, Cremes, After-Shaves, und jede Art von Badezusatz tabu. Quelle: dpa
UnterwäscheWer sich nicht hundertprozentig sicher ist, welche Größe die Liebste oder der Liebste hat, und welche Formen, Farben und Materialien er oder sie bevorzugt, sollte von Unterwäsche definitiv die Finger lassen. Am Ende kneift das Teil, bedeckt nicht, was es bedecken soll und das Umtauschen ist überaus peinlich. Absolutes No-Go: Wollunterwäsche. Stricken liegt zwar wieder voll im Trend, aber es gibt Grenzen des guten Geschmacks. Quelle: dpa
WeihnachtskitschDekogegenstände wie süße Engelchen, Schnee- und Weihnachtsmänner aus Ton oder Plastik (manche singen auch noch) vergammeln im Regal und müssen obendrein noch abgestaubt werden. Das braucht kein Mensch. Quelle: dpa
SüßigkeitenSpätestens ab dem ersten Advent stopft sich jeder mit Lebkuchen und Plätzchen voll - bis zum 24. Dezember sind locker zwei bis drei Kilo mehr auf den Rippen. Nach dem üppigen Weihnachtsbraten kommt die Bescherung und im ersten Geschenk lauern weitere 3000 Kalorien. Bitte nicht - irgendwann muss auch Schluss sein. Quelle: dpa

Liessman muss es wissen. Im Jahr 2002 veröffentlichte er im Christian Brandstätter Verlag das Buch "Kitsch! - oder Warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist", worin er sich mit der Frage beschäftigt, was Kitsch eigentlich ist und warum wir ihn brauchen. Dass dem so ist, ist eine relativ neue Erkenntnis. Zuvor galt die Thesen, wer sich mit Kitsch umgibt, flieht vor der Realität in eine heile Welt. Was auf den ersten Blick logisch erscheint - aber neigt wirklich ein Großteil der westlichen Welt dazu, sich hinter Krippe und Putten vor Inflation und Krisen zu verstecken?

Weihnachtsfest irgendwie überstehen

Globaler Eskapismus, der sich auf Weihnachtsmärkten und in Dekogeschäften Bahn bricht? Liessmann erklärt das Phänomen so: Je mehr Weihnachten in einer Konsumgesellschaft als religiöses Fest entwertet wird, desto mehr versucht der Einzelne, durch die Anschaffung von unschuldigem Kitsch, das Ursprüngliche zurückzuholen. "Kitsch will ja nie etwas Böses, sondern befriedigt – wenn auch auf höchst fragwürdige Weise – unsere Bedürfnisse nach Unschuld, nach Liebe und Reinheit", sagt der Philosoph.

Weihnachtsmärkte in Zahlen

Darauf setzen Hersteller von Kitsch aller Art, und auch Werkhausen von Yougov bestätigt: "Diese Marken funktionieren, weil sie etwas bedienen, was von klein auf gelernt wurde, nämlich mit welchen Mitteln man das Weihnachtsfest übersteht." Und auch Atheisten und Menschen, die nein sagen zu Kitsch und falschem Frieden, trinken mit Freunden oder Kollegen einen Glühwein auf dem besinnlich anmutenden Weihnachtsmarkt oder stellen sich einen - wenn auch puristischen - Adventskranz auf den Tisch.

Sehnsucht nach Besinnlichkeit

"Das Haus zu schmücken befriedigt dabei die Sehnsucht nach Ritualen in einer ansonsten entritualisierten Zeit", ist sich der Philosoph sicher. Wer in seinem Alltag außer der Neun-Uhr-Konferenz gar keine Rituale mehr hat, ritualisiert zur Not das alljährliche Punschtrinken. Hauptsache, man schafft sich etwas, das Halt und Struktur gibt. Gerade beim Dekorieren gehe es darum, nach außen zu dokumentieren: "Wir haben jetzt eine andere Zeit, eine Festzeit", sagt Liessmann.

Der gestresste Homo oeconomicus sucht Ordnung und Ruhe, er will Struktur, Halt und hohe Feiertage, wo das Smartphone auch mal ausgeschaltet sein darf und man sich über nichts ärgern muss, außer darüber, dass die Nordmanntanne schief gewachsen ist oder der Gänsebraten nicht gelingt. "Diese Sehnsucht nach Besinnlichkeit ist noch da und wird mit der festlichen – und mehr oder weniger geschmackvollen – Dekoration ausgedrückt", erklärt der Philosoph.

Auch bei Menschen, die nie viel auf Weihnachten gegeben haben, die sich nie etwas geschenkt haben, kann es vorkommen, dass sie sich eines Tages eben doch die positiven Kindheitserinnerungen kaufen und damit ihre Wohnung schmücken wollen, so Liessmann. Das muss nicht unbedingt passieren, weil Kinder da sind, denen man ein schönes Fest bereiten möchte. "Im Alter wird man oft sentimentaler und sehnt sich dann nach Ritualen und besinnlicher Stimmung. Deshalb expandiert auch der Weihnachtskult."

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