Weihnachtsgeschäft Warum Kitsch uns glücklich macht

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Wohlfahrtliches Weihnachtsparadies

Was Kinder dem Christkind schreiben
Insgesamt gibt es in Deutschland sieben offizielle Weihnachtspostämter. Die meisten Briefe - rund 300.000 im Jahr - werden ins brandenburgische Himmelpfort geschickt. Die Kosten für die Briefe, das Porto und die Antwortschreiben übernimmt die Post. Für ihre einfühlsamen und persönlichen Antworten sind die Helfer der fränkischen Poststube 2011 als „bestes Weihnachtspostamt“ vom Kindernachrichtenmagazin „Dein Spiegel“ ausgezeichnet worden. Himmelstadt ist eines von zwei deutschen Weihnachtspostämtern, die ausschließlich von ehrenamtlichen Helfern organisiert werden. Quelle: dpa
Im Weihnachtspostamt in Himmelstadt hat die heiße Phase längst begonnen. Die Mitarbeiterinnen öffnen die bunt verzierten Briefe, lesen sie aufmerksam und antworten sogar. Schon jetzt sind mehr als 3000 Briefe aus aller Welt eingeflattert. Bis zum Ende der Saison werden etwa 80.000 Briefe erwartet. Doch was steht da eigentlich drin? Quelle: dpa
Die Kinder sind bei ihren Wünschen immer auf dem neusten Stand. „Vor allem bei den Spielsachen sind die Kinder immer hochaktuell. Was es gerade neu auf dem Markt gibt, steht auch oft in den Wunschzetteln“, sagt die 71-jährige Leiterin des Weihnachtspostamts, Rosemarie Schotte. Häufig haben die Arbeiterinnen aber auch einiges zu lachen, wenn sie die Briefe lesen. Quelle: dpa
Schon die Aufschriften mancher Briefumschläge sorgen im Postamt für Lacher: „An: Christkind; Von: Unbekannt und anonüm; Zweck: Geschenke.“ Quelle: dpa
Andere Kinder versuchen noch schnell was gerade zu biegen: „Lieber Weihnachtsmann!! Ich bin's der Alex! Ich war dieses Jahr nicht immer brav, aber ich habe mich bemüt.“ oder demonstrativ alles richtig zu machen, damit die bestellten Geschenke auch wirklich ankommen: „Hiermit sende ich fristgerecht den Wunschzettel.“ Quelle: dpa
Daneben sind andere Kinder einfach wunschlos glücklich: „Liebes Christkind. Ich habe keine Wünsche, aber ich mal dir ein schönes Bild.“ Quelle: dpa
Oder haben sehr konkrete Wünsche, deren Erfüllung sich allerdings als schwierig herausstellen könnte: „Ich wünsche mir einen Alien-Anzug und Frieden und Glück auf der ganzen Welt.“ oder „Mein letzter Wunsch: An Weihnachten SCHNEE!“ Quelle: rtr

Denn Weihnachten berührt unsere Kindheitsmuster, dem entziehen sich auch hartgesottene Ökonomen nur schwer. Das gilt erst recht, wenn eigene Kinder da sind. "Viele kaufen sich mit dem Weihnachtsschmuck eine Kindheit zurück, auch wenn die eigene Kindheit vielleicht gar nicht schön war", sagt Liessmann. Mit Strohsternen und Christbaumkugeln wird sich die eigene, idealisierte Vorstellung von einer glücklichen, besinnlichen Zeit ins Haus geholt.

Kauf dich glücklich

Und genau auf dieses Bedürfnis zielen Hersteller von Kitsch ab. So bewirbt Käthe Wohlfahrt beispielsweise die Limitierte Edition "Kindertraum". Es geht um eine Engelserie, eine Schneefamilie und das alles "unter dem Oberbegriff Poesie in Glas" und "Faszination Weihnachten" aus der Rothenburger Weihnachtswerkstatt. Da kann es einem wahlweise schlecht oder warm ums Herz werden - die Masche funktioniert: "Immer wenn ich in Rothenburg, Heidelberg oder Riquewihr bin, ist ein Besuch im wohlfahrtlichen Weihnachtsparadies der absolute Höhepunkt. Da wird man wieder Kind und geht mit offenen Augen und offenem Mund durch diese Märchenwelt", begeistert sich Wohlfahrt-Kundin Silvia He.

Der Kunde sieht, kauft und ist glücklich. Und zwar deutlich glücklicher als nach dem Erwerb einer neuen Rolex. Hier gibt es Geborgenheit für 79,95 Euro. So viel kostet jedenfalls das Räuchermännchen St. Nikolaus in groß, für Pyramiden-Geborgenheit zahlt man natürlich mehr.

Nun könnte man davon ausgehen, dass ein Mensch, der auf handgeschnitzte und mundgeblasene Kindheitserinnerungen Wert legt, sich einmal mit allem Dekor eindeckt, den das Herz begehrt. Aber dem ist nicht so, sonst würden Hersteller wie Käthe Wohlfahrt weder expandieren noch über längere Zeit mit einem reinen Saisonprodukt Erfolg haben. In puncto Weihnachtsdeko scheint es keine Sättigung zu geben, die Nachfrage ist nie gestillt. Seit 1964 verkauft das Unternehmen seine Weihnachtsware - und zwar das ganze Jahr über.

Lob in allen Sprachen

"Das ganze Fest ist eine Überinszenierung, die vermutlich nie aus der Mode kommt - davon profitieren Marken wie Käthe Wohlfahrt", sagt Werkhausen. Er vergleicht den Weihnachtsschmuck mit den berühmten silbernen Löffeln, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. "Zum bestehenden Schmuck kommen immer neue Dinge hinzu", sagt er. Die Neuerwerbungen sollen dann natürlich zum Rest passen und wenn das erste Teil bei Käthe Wohlfahrt gekauft wurde, dann eben auch das zweite und dritte.

Damit jeder zu jeder Zeit seine Sammlung erweitern kann, warten am Stammsitz in Rothenburg auch im Hochsommer Anhänger, Zinkfiguren und Christbaumkugeln auf 1000 Quadratmetern auf erwachsene Menschen im große-Kinder-Kulleraugen-Modus. Sehr zur Freude der Touristen, denen von Reiseanbietern ein Besuch im Weihnachtswunderland als besonderes Highlight bei Deutschlandtrips angeboten wird. Besonders Japaner und Amerikaner nutzen diese Offerten. Aber auch Paula D'Antonio lobt das Unternehmen: "Todo el año es navidad! Un lugar soñado para chicos y grandes!" ("Das ganze Jahr über ist Weihnachten! Ein Ort zum Träumen für Kinder und Erwachsene!"). Und Anita Skogholt freut sich: "Kjempefin 'skomakergate-aktig' butikk i Rothenburg." (Ein großartiges Skomakergate-artiges Geschäft in Rothenburg. Skomakergata entstammt der norwegischen Fernsehserien "Jul i Skomakergata", Weihnachten in der Schuhmacherstraße)

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