Wein Die skurrilen Methoden deutscher Spitzenwinzer

Hokuspokus oder Gewinntreiber? Kuhhörner gefüllt mit Dung, Tiergekröse voll Kräuter - Winzer lassen sich mitunter sonderbare Präparate einfallen, die die besten Böden für perfekte Weine schaffen sollen. Das lohnt sich.

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Kuhhörner mit Dung für guten Wein Quelle: Oliver Rüther für WirtschaftsWoche

Peter Jakob Kühn, daran sei an diesem Frühsommertag erinnert, ist für den bekanntesten deutschen Wein-Guide „Gault Millau“ Winzer des Jahres 2015. Seine Weine schenkt man in den besten Restaurants des Landes aus, keine seiner Flaschen findet für weniger als zehn Euro den Weg zum Kunden, und jetzt steht dieser 62-Jährige auf einer abschüssigen Wildkräuterwiese und gräbt einen Schatz aus. Seit einer Stunde ist er mit Spaten und Beil zugange, jetzt kniet er am Rand der metertiefen Grube, beugt sich hinein und holt hervor: zersetzte Kuhdärme voll verrotteter Kamillenblüten, verweste Hirschblasen mit Scharfgarbe, Kuhhörner gefüllt mit Gülle. „Wie schön“, murmelt er und schabt mit einem Teelöffel Erde vom Gekröse ab.

Kühn packt seinen Schatz vorsichtig in hellrote Tongefäße, die wie große Vasen aussehen. Zurück auf dem Hof wird er aus den mysteriösen Mittelchen einen Sud ansetzen, den er später über seine Reben spritzen wird. Gute Böden soll das bringen, gesunde Reben, den perfekten Wein. Kühn sagt: „Keine noch so ausgefeilte Technologie kann leisten, was die Natur leistet. Chemie schafft nur Distanz. Wir wollen Nähe.“

Die Szene mag außergewöhnlich anmuten, selten aber ist sie nicht. Kühn gehört zum Verband Deutscher Prädikatsweingüter, der hochkarätigste Winzer-Bund der Republik. Eine Gilde an Winzern, die in einem Dilemma steckt: Nie zuvor gab es in Deutschland so viele Qualitätsweine, nie zuvor solche auf Perfektion getrimmten Produkte. Über 96 Prozent der deutschen Weine sind als Qualitätsweine oder höher deklariert. Im Durchschnitt geben die Deutschen jedoch nicht mehr als 2,33 Euro für eine Flasche deutschen Wein aus.

Ein Winzer mit spiritueller Bodenpflege

Wer vernünftige Preise erzielen will, muss sich abgrenzen: durch Handarbeit, Einzigartigkeit, noch mehr Qualität – und die finden immer mehr Winzer in der Rückkehr zum Natürlichen. Manche wie Kühn aus Überzeugung, einige auch aus Geschäftssinn. Das Ergebnis ist das gleiche: Die besten und größten Weingüter in Deutschland stellen immer häufiger auf biologischen Weinbau um. Die Anbauflächen im Ökoweinbau haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht. Doch wer es richtig ernst meint, verzichtet nicht nur einfach auf Dünger und Pestizide, er rebelliert gegen den modernen Weinbau mithilfe der Biodynamie, jener Hexenküche aus Hornpräparaten und Mondeinwirkungen. Mehr als 50 Betriebe haben sich allein im vergangenen Jahr vom größten Verband Demeter zertifizieren und besiegeln lassen.

Aberglaube? Die einen sagen so, die anderen so. Ein gutes Geschäft? Ganz sicher. Und zwar nicht, weil das Gros der Kunden von der Wirkung der sonderbaren Weinbergspflege besonders überzeugt wäre – sondern weil es den Betrieben gelingt, sich dadurch in Sachen Qualität noch einmal deutlich zu steigern. Viele so erzeugte Weine aus Spitzenweingütern zählen zu den besten Tropfen, die derzeit in Deutschland von den einschlägigen Journalen und Guides bewertet werden. Und längst entdeckt auch der klassische Handel das Geschäft.

Die besten Flaschen unter 15 Euro
Alain Brumont Madiran Château BouscasséDie strammen Tannine und die Säure geben nach Ansicht des Wine Spectators dem Fruchtaroma genügend Halt, um den Wein nicht nur als Fruchtsaft erscheinen zu lassen. Herausgeschmeckt haben sie "getrocknete Erdbeeren, Rote Johannisbeeren, Schwarzen Tee, neues Leder und zuguterletzt auch Tabakblätter. Platz 51. bestvita.de Quelle: PR
Descendientes de J. Palacios Bierzo PétalosKräftige Schwarzkirsche, Lakritz, Rauch - das sind die Noten, die nach Ansicht des Wine Spectators dennoch einen sanften Wein auszeichnen, dessen Tannine, die im Gaumen ein beißendes Gefühl auslösen können, gut im Wein eingebunden sind. Sprich: Sie geben dem Wein ein Fundament, ohne sich in den Vordergrund zu drängeln. Platz 53.silkes-weinkeller.de Quelle: PR
Torre Rosazza Pinot Grigio Friuli Colli OrientaliDer Pinot Grigio, aka Grauburgunder, aka Pinot Gris, hat es dank seiner Beliebtheit dorthin gebracht, wo der Chardonnay einst landete: In die Missgunst derjenigen Weinliebhaber, die allzu oft mit schlechten Pinot Grigios konfrontiert wurden, weil sich die Traube gut verkauft. Dieser hier schafft es aber auf Platz 83 in der Top100 der Liste 2015 des Wine Spectator. Zu verdanken hat er das seinem cremigen Körper, der mit einer feinen Säure abschließt. Unter Fruchtaromen notieren die Tester: Guave, Sternfrucht, eingelegten Ingwer und Eiche. weinquelle.de Quelle: PR
Jean-Marie Brocard Quelle: PR
Domaine Terlato et Chapoutier Shiraz-Viognier Victoria 45 Cent über der 15-Euro-Schallgrenze - dafür eine der ungewöhnlichsten Mischungen aus zwei Rebsorten: Shiraz, der in Frankreich Syrah heißt, angereichert mit Viognier - einer Weißweintraube. Fünf Prozent hat die Domaine Terlato & Chapoutier davon dem Wein beigefügt. Das macht ihn "frisch und ausdrucksstark" schreiben die Tester des Wine Spectator. Schwarze Kirsche seien gut balanciert mit einer Mineralität, die "in ein langes Finish mit feinen Tanninen gleitet". vinatis.de Quelle: PR
Vina Montes Syrah Colchagua Valley AlphaDunkle Farbe mit würzigem Aroma und reichlich Noten von Schwarzer Kirsch, Blaubeeren und dunkler Pflaume. Dazu gesellt sich dunkle Schokolade und reichlich Mokka-Akzente, haben die Tester herausgeschmeckt. Platz 37. edelrausch.de Quelle: PR
d'Angelo Aglianico del VultureErdige Noten und die von Schwarzer Kirsche sind in diesem "harmonischen, mit mittelgroßem Körper" vereint. Herausgeschmeckt wurden ebenso noch schwarze Oliven, Feigenbrot und getrocknete Kräuter. Platz 74.weinhandel-italien.de Quelle: PR

Dennoch ist das so eine Sache mit dem unkonventionellen Weg. „Ich muss immer schauen, wie weit ich gehen kann, wenn ich davon erzähle“, sagt Vorreiter Kühn. In seiner Werbung erwähnt er die Kuhhörner nicht. Er will niemanden verstören, die Menschen sollen seine Weine mögen. Wie er dahin gelangt, muss dabei nicht unbedingt interessieren. Kühn erzählt seine Geschichte gerne dem, der sie hören will, drängt sie aber niemandem auf.

Vieles, was auf Kühns Weingut passiert, hat auf den ersten Blick nichts mit Wein zu tun – und macht dennoch viel Arbeit. Biodynamische Winzer gehen weit über die gesetzlichen Ökorichtlinien hinaus, weil sie nicht nur auf chemischen Pflanzenschutz und Düngemittel verzichten, sondern neben den vergrabenen Präparaten zum Beispiel auch die Rücksichtnahme auf Mondphasen in ihre Weinbergsarbeit einfließen lassen.

Im Einverständnis mit der Natur

Die biodynamische Landwirtschaft basiert auf den Naturbeobachtungen von Goethe, die der Anthroposoph Rudolf Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts in Lehrsätze für die Landwirtschaft übertragen hat. Der Betrieb wird demnach als ganzheitlicher Organismus gesehen. Das heißt alle Nährstoffe entstehen aus dem Betriebskreislauf. Weltweit arbeiten über 600 Weingüter nach diesem Prinzip. Vor allem Frankreich gilt mit 250 Betrieben als Vorreiter.

Wo diese viel mit Ahnungen und Vermutung arbeiten, haben Forscher der Hochschule Geisenheim versucht, Gewissheiten zu erzeugen. Sie haben vor zehn Jahren drei Anlagen nebeneinander mit Riesling bepflanzt. Alle Bedingungen waren gleich, doch seither werden sie unterschiedlich bewirtschaftet: konventionell, ökologisch, biodynamisch.

Nach drei Jahren stellten die Wissenschaftler erste Unterschiede fest: Die Früchte der biodynamisch bewirtschafteten Rebstöcke waren etwas anders: viele kleine, statt weniger großer Beeren. Der konventionelle Anbau ergab deutlich mehr Ertrag, dafür war der Most der beiden Biovarianten deutlich süßer – Grundlage für substanzvolle Weine im Keller. Es ist jetzt wissenschaftlich erwiesen, dass die Mittelchen etwas bewirken. Nur warum, das ist nicht ganz so klar.

Wo die Deutschen ihren Wein kaufen

Zehn Mitarbeiter arbeiten für Kühn, das ist im Branchenvergleich viel für einen 20-Hektar-Betrieb. Sie kümmern sich zum Beispiel um den Kompost, den der Winzer über seinen besten Lagen aufgetürmt hat. Oder besser gesagt: die sieben Komposthaufen. Sie sind rund zehn Meter lang und mehrere Meter breit. Es riecht nach frisch gemähtem Gras, hier und da krabbelt ein Käfer über die Erde, es blüht überall: Löwenzahn, Klatschmohn, Spitzwegerich.

Die verrotteten Kräuter, die Kühn heute ausgegraben hat, kommen in homöopathischen Dosen in den Kompost. Dies soll den Verrottungsvorgang in Schwung bringen. Aus Kühns Sicht wird sein Kompost dadurch lebendiger, der Boden gesünder, die Weine besser. „Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun, was hier passiert. Vielleicht kann man das analysieren und erklären, doch ich brauche das nicht“, sagt er.

Ähnlich gelagert ist die Sache mit den Hornmistpräparaten. Die biodynamischen Winzer füllen im Herbst Kuhhörner mit Dung, den sie eigens einkaufen, und graben sie den Winter über ein. Das Ganze kommt dann verdünnt im Frühjahr auf die Weinberge. Die Hörner müssen jedoch von einer Kuh stammen, die im besten Fall mehrfach gekalbt hat – nur so könne der lebensspendende Impuls weitergegeben werden, glaubt Kühn.

Korkgeschmack kann Weintrinkern jede Freude an einer besonderen Flasche zerstören. Nun soll ein neues Verfahren das Übel verhindern - und so Spitzenweine retten.
von Thorsten Firlus

Antitechnik, Antizusätze, Antikontrolle

Ein starker Gegensatz zum Zahlendiktat, das die meisten Weingüter bestimmt. Technik, Wissenschaft und Industrie ermöglichen heute maximale Kontrolle im Weinberg. Im Keller gibt es kaum noch Weinfehler, die ein Winzer nicht korrigieren kann. Die Macher sogenannter Naturweine wollen zurück. Antitechnik, Antizusätze, Antikontrolle; im Keller wie im Weinberg. „Alles, was ich mache, soll im Einverständnis mit der Natur passieren. Ich wollte einfach kein Quertreiber mehr sein“, sagt Kühn.

Oft sind es keine idealistischen Ökoanhänger, die sich in dieser Szene tummeln sondern Menschen wie Dirk Würtz. Der Winzer ist Betriebsleiter des Weinguts Balthasar Ress im Rheingau, ebenfalls ein Weingut im Verband Deutscher Prädikatsweingüter und einer der Shootingstars der Szene. „Ich bin ergebnisorientiert – meine Böden werden besser, meine Trauben werden besser, der Wein schmeckt besser“, sagt er.

Zielgruppe: Kaufkräftige Weintrinker

Deshalb bringt er seinen Auszubildenden bei, wie man die biodynamischen Präparate anrührt und welche Arbeit in welcher Mondphase gemacht werden sollte. „Ich mag den ganzheitlichen Ansatz und die Idee eines geschlossenen Betriebskreislaufs. Alles andere ist mir suspekt“, sagt er.

Auch Kühn sagt: „Dass meine Weine dadurch gut wurden, war letztlich nur ein Ergebnis.“ Viel lieber spricht er über seine neuesten Pläne: Er hat eine Wiese direkt neben seinen Weinbergen gekauft. Hier sollen nicht zusätzliche Rebstöcke, sondern eine eigene Kuhherde stehen. Dann entsteht der Dung für die Hörner direkt auf der Wiese neben den Weinbergen. „Damit haben wir eine noch größere Nähe zu den tierischen Elementen.“ Er hat bereits die Bäume gepflanzt, unter denen sich die Tiere ihres Lebens erfreuen sollen.

So romantisch das klingt: Kühn produziert für eine kleine Zielgruppe: kaufkräftige Weintrinker.

Die veränderten klimatischen Bedingungen verändern den Wein, belegen Forscher. Mit der Züchtung neuer Rebsorten steuern Önologen dagegen. Gentechnik soll in Deutschland dabei aber keine Rolle spielen.

Edeka entdeckt das Geschäft

Ob die esoterisch anmutenden Weine massenkompatibel sind, zeigt sich daher an einem anderen Ort. In Bernkastel-Kues an der Mosel sitzt Deutschlands größte Weinkellerei. Rund 250 Millionen Liter verlassen jedes Jahr die Tanks von Peter Mertes. Die Kellerei beliefert die Supermärkte und Discounter der Republik – also jene Orte, wo mehr als 75 Prozent der Weine gekauft werden. Zum ersten Mal hat Deutschlands größte Weinfabrik eine biodynamische Linie im Sortiment. Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka ist bereits eingestiegen, ebenso Nummer zwei Rewe. Mit sechs Euro Durchschnittspreis liegt deren biodynamischer Wein deutlich über den gängigen Supermarktweinpreisen von um die zwei Euro. Im Vergleich zu anderen biodynamischen Weinen ist das jedoch billig.

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Entsprechend umstritten ist der neue Mitspieler in der Szene. Es ist die alte Frage aller Alternativbewegungen: Gewissen – oder Gewinn? Der Gralshüter des Zaubers, der Demeter-Verband, argumentiert: Die Großkellerei erfülle nun mal die gleichen Bedingungen wie kleine Weingüter. Wie solle man ihr da das Siegel vorenthalten? Außerdem erreiche man völlig neue Kundengruppen: Über Mertes kommen biodynamische Weine in den Mainstream-Markt. Zu einem Preis, bei dem Kühn und Co. nicht mithalten können und wollen.

An der Fundiertheit der Biodynamie-Magie sind die Kunden im Supermarkt eher nicht interessiert. Da schließt sich der Kreis zu Kühns Kunden. Als dieser von seiner Ausgrabung zurückkommt, steht eine Gruppe älterer Herrschaften in seinem Hof. Weintrinker, für die es bei zehn Euro pro Flasche losgeht. Auch sie fragen nicht nach Hörnern und Kompost. Stattdessen kaufen sie den Wein aus einem anderen Grund – weil er ihnen schmeckt.

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