Weniger Inflation bei Bio Das Öko-Paradoxon

Weil sie sparen wollen, kaufen Konsumenten aktuell weniger Biowaren ein. Quelle: imago images/photothek

Bio-Fleisch, Bio-Spaghetti oder Bio-Obst steigen im Preis, aber nicht so stark wie die konventionellen Alternativen. Einzelne Produkte sind sogar günstiger. Trotzdem kaufen viele Menschen wegen der Inflation weniger Bio.

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Anfang Juli, eine Filiale des Discounters Aldi Nord, am Kühlregal: Für einen kurzen Augenblick könnte man denken, die Preisschilder seien vertauscht: 2,99 Euro steht auf dem Schild für die Bio-Butter-Eigenmarke „Gut Bio“ in der 250-Gramm-Packung. Nur wenige Zentimeter entfernt, lagert der Konkurrent Kerrygold, Butter aus konventioneller Tierhaltung und trotzdem teurer: 3,49 Euro müssen Kunden für den Markenartikel zahlen.

Das ist kein Einzelfall. Selbst in den Filialen von Alnatura seien manche Biowaren mittlerweile günstiger als die konventionellen Alternativen, sagt Götz Rehn, Gründer und Geschäftsführer von Alnatura im WirtschaftsWoche-Podcast Chefgespräch. Zum Beispiel die Nudeln: „Bei uns kosten 500 Gramm Spaghetti 99 Cent“, sagt Rehn. Damit seien die Alnatura-Spaghetti „viel günstiger als mancher Preis für konventionelle Spaghetti.“ Die Preise für Bio steigen langsamer, sagt Rehn: „Wir haben bei uns im Unternehmen in dieser ganzen Krise Preissteigerungen im Schnitt von 2,5 Prozent“ – damit schlage Alnatura die Discounter-Konkurrenten und die Inflation um Längen.

Über Jahre haben sich Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkaufen einen Merksatz eingeprägt: Bio heißt teuer. Viele nahmen die Aufschläge trotzdem in Kauf, der Umwelt oder des Tierwohls zu Liebe. Vor allem in der Coronapandemie stieg der Absatz von Bioprodukten. Laut Bundeslandwirtschaftsministerium lag der Umsatz mit Biowaren im vergangenen Jahr bei knapp 15,9 Milliarden Euro – das sind 6,8 Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes.

In der Inflation gerät der Merksatz von teureren Biowaren ins Wanken. Zwar verteuern sich auch Bioprodukte, aber langsamer als die konventionellen Alternativen. Und in einigen Fällen kann es sein, dass die Bio-Variante sogar günstiger ist als konventionelle Produkte – so wie die Butter bei Aldi. Es ist paradox: Wegen der Inflation machen sich die Verbraucher Sorgen um ihren Kontostand am Ende des Monats, wollen weniger Geld ausgeben - und sparen auch an Bio-Artikeln.

„Bio-Lebensmittel haben sich nicht in dem Maß verteuert, wie die konventionelle Ware“, sagt Thomas Els, Verbraucheranalyst beim Agrarinformationsdienst AMI. Die Marktbeobachter werten Kassenzettel von Verbrauchern aus. Die Daten zeigen: Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft haben sich im ersten Halbjahr 2022 um 5,2 Prozent verteuert. Frisches Rindfleisch etwa war 15 Prozent teurer, Kartoffeln wegen der schlechten Ernten sogar 22 Prozent teurer, doch Bio-Schweinefleisch oder Käse verteuerten sich nur um 3,3 Prozent. Bio-Möhren und Bio-Paprika waren sogar günstiger als im Vorjahr, zeigen die Daten von AMI. Bei konventionellen Lebensmitteln sprangen die Preise im gleichen Zeitraum um acht Prozent nach oben – und stiegen damit stärker an als die Biowaren.
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Die Entwicklung hat eine Reihe von Gründen: Lebensmittel verteuern sich auch deshalb, weil sich Energiepreise und die Kosten für künstliche Düngemittel stark erhöht haben. Da für Bioprodukte kein Kunstdünger verwendet werden darf, haben einige Bauern weniger starke Kostensteigerungen. Teilweise waren die Preise für Biolebensmittel auch früher schon auf einem höheren Niveau, also müssen die Erzeuger nun weniger aufholen.

Auch Angebot und Nachfrage spielen eine Rolle: Obst und Gemüse etwa werde oft aus dem Ausland in den deutschen Markt importiert, sagt Els vom AMI, auch über die Nachfrage hinaus: „Wenn reichlich Angebot vorhanden ist, gibt es nicht so hohe Preise“. Das zeigt sich etwa bei Äpfeln oder Bananen: Nach Daten des AMI hat sich Obst nur um 1,3 Prozent verteuert.

Schneller schlau: Inflation

Ein weiterer Grund: Teilweise schließen die Bio-Produzenten längerfristige Verträge mit den Handelsketten ab und konnten noch nicht in allen Fällen ihre Preise anpassen. Oder aber, sie wollen die Preise nicht erhöhen, aus Angst diese könnten die Konsumenten abschrecken.

Diese Furcht ist durchaus berechtigt, zeigen aktuelle Daten des Marktforschers GfK. Wegen der Inflation wollen Konsumenten sparen – auch bei ihrem Biokonsum. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres machten Reformhäuser und Naturkostläden 38 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahreszeitraum. Bei Hofläden und Bauern oder dem Metzger lagen die Rückgänge bei rund 17 Prozent, die Biosupermärkte mussten knapp 15 Prozent Umsatzverlust verkraften.

Allerdings: Dafür kaufen die Menschen beim Discounter und anderen Supermärkten durchaus weiter Bio-Produkte ein, vor allem die günstigen Eigenmarken. So stieg der Umsatz mit den Bio-Eigenmarken der Supermarktketten und Discounter um 9,3 Prozent. Über alle Handelsformate hinweg kommen Produkte aus ökologischer Landwirtschaft damit nur auf ein Umsatzminus von 3,2 Prozent - das ist weniger als die Konsumgüterindustrie hinnehmen muss.

„Bio liegt nach wie vor im Trend“, sagt deshalb Petra Süptitz, Konsumexpertin bei GfK. Die Verbraucher und Verbraucherinnen wollen nicht von Bio-Lebensmitteln abweichen – aber dafür weniger ausgeben. „Trading down Effect“ nennen die Konsumforscher und Forscherinnen der GfK dieses Verhalten. „Wir sehen bei Bioprodukten zwar einen Umsatzrückgang, aber der ist schwächer als der Rückgang im gesamten Markt für Lebensmittel und Körperpflegeprodukte“, sagt Süptitz.

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Für die Bio-Landwirte sind diese Entwicklungen keine gute Neuigkeiten. Je geringer der Abstand zwischen Preisen für Bio-Lebensmittel und Produkte aus konventioneller Landwirtschaft, umso weniger lohnt sich der zusätzliche Aufwand für sie. Damit sinkt auch der Anreiz für die Bauern, auf eine ökologische Landwirtschaft umzustellen. Laut Koalitionsvertrag will die Regierung erreichen, dass bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Fläche für Bio-Landwirtschaft genutzt wird. Anfang 2022 lag der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Felder jedoch nur bei elf Prozent.

Hören Sie hier die Podcast-Folge des „Chefgesprächs“ mit Alnatura-Chef Götz Rehn: „Für mich war die Zeit bei Nestlé ein großes Geschenk“.

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