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Quelle: imago images

Der Kampf um die Werbe-Milliarden 2023 wird heftig

In diesen Wochen entscheiden Werbungtreibende, wohin die 25 Milliarden Euro Werbeinvestitionen des Jahres 2023 fließen. Dabei wird es Gewinner – und sehr viele Verlierer geben. Zu Unrecht.

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Das Jahr 2022 endet mit dunkelgrauen Wolken am deutschen Werbehimmel. Der Werbemarkt ist über die letzten Monate hinweg immer wieder und immer heftiger eingebrochen. Selbst Unternehmen, die für antizyklische Werbung bekannt sind wie Procter & Gamble, kürzten ihre Werbeausgaben. Wo Rohstoffpreise in die Höhe schnellen und Lieferketten unterbrochen wurden, kann man es den Werbekunden nicht verdenken.

Während die Prognosen der Agentur-Networks für das laufende Jahr immer noch von einem Plus ausgehen, wird es voraussichtlich mit einem schmerzhaften Minus enden. Einzig davon nicht betroffen ist der Online-Werbemarkt, dem der Online-Vermarkterkreis OVK ein Plus von fast sieben Prozent zutraut: „Die Pandemie hat den Trend zur Digitalisierung verstärkt, das hat auch Einfluss auf den Werbemarkt. Mediennutzung, Handel und Kommunikation haben sich in den vergangenen beiden Jahren stark ins Internet verlagert. Das hohe Niveau des Vorjahres der Online-Display-Werbung wurde im ersten Halbjahr erneut übertroffen“ schreiben die Vermarkter.

Der Kampf um die Werbegelder wird beispiellos

Die Nettozahlen zu den Werbeumsätzen in Deutschland stammen vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW), der zuletzt für das Jahr 2021 „Netto-Werbeeinnahmen erfassbarer Werbeträger“ in Höhe von 25,9 Milliarden Euro meldete. Für 2022 wird dieses Niveau wohl nicht erreicht. Und im nächsten Jahr müssen sich die Medien eher mit 25 Milliarden Euro oder weniger begnügen. Um einen beispiellosen Kampf um die Werbegelder vorherzusagen, muss man kein Prophet sein.

Zu den ganz großen Verlierern werden die klassischen Medien Print und TV gehören. Gründe hat das viele. Aber viele dieser Gründe haben mit der Nutzung der klassischen Medien durch die relevanten Zielgruppen wenig zu tun. Der Entscheidung zugunsten digitaler Medien liegen selten rationale Ursachen zugrunde, sondern erstaunlicherweise höchst emotionale Gründe. Gedanken wie „Print ist old school“ oder „lineares Fernsehen guckt kein Mensch mehr“ sind weder sachlich noch richtig. Sie führen jedoch zur regelmäßigen Zunahme digitaler Spendings.

„Linear zu werben ist nicht mehr zeitgemäß“

Anlässlich der Veröffentlichung der turi2-edition „Audio“ postete ich bei LinkedIn: „Ich hoffe, möglichst viele Mediaentscheider und Kreative inhalieren die neue Edition und lassen sich von der Kraft von Audio und der menschlichen Stimme inspirieren. Vielen Kampagnen fehlt die nach wie vor stark unterschätzte Wirkung von Audio, um in die Gehirne ihrer Zielgruppen zu gelangen.“ Dies kommentierte ein User mit den Worten: „Bei linearen Angeboten ist werben einfach nicht mehr zeitgemäß. Der Streuverlust ist enorm und ein Werbeeffekt häufig nicht messbar.“ Da muss man als Mediaexperte erst einmal schlucken.

Der Verfasser dieses Kommentars ist Gründer einer Social-Media-Agentur, der sein Metier selbstverständlich verteidigen darf, nicht aber die Werbewirkung von 100 Jahren Werbung in klassischen Medien mit einem lapidaren, hingerotzten Satz in Frage zu stellen hat. Er wird auch die jüngsten Radio-Hörerzahlen nicht kennen. Die Radiozentrale fasst zusammen: „53,5 Millionen Menschen nutzen täglich über 4 Stunden Audioangebote. Radio konnte im Vergleich zum letzten Jahr sogar 500.000 Hörer:innen pro Werktag dazu gewinnen. In der besonders spannenden, jungen Zielgruppe gewinnt Radio überproportional 2,7 Prozent hinzu.“

Wir erleben derzeit eine neue Generation Digital Natives in Agenturen, die erstmals die Realität und somit alle Fakten zur Mediennutzung in Deutschland vollständig ausblendet und ihren Werbekunden den ausschließlichen Einsatz digitaler Medien nahelegt. Bei ihr hätten erwiesen starke Medien wie Radio nicht die geringste Chance auf Berücksichtigung im Media-Mix, geschweige denn die Printmedien.

Print wollen nicht einmal die Medienhäuser selbst

Fakt ist: Allein über ihre gedruckten Ausgaben erreichen Zeitungen weiterhin 38 Millionen Menschen, also 54 Prozent der Bevölkerung. Zusammen mit ihren Onlineausgaben erreichen sie mehr Menschen als je zuvor, werden jedoch von Agenturen und Werbekunden als Werbeträger weitgehend ignoriert.

Die Art und Weise, mit der RTL nach Übernahme der Magazinmarken von Gruner + Jahr mit den Printtiteln umgeht, veranlasst das Branchenblatt Meedia zum Kommentar: „Auch für traditionsreiche Zeitschriften wie Eltern, Schöner Wohnen oder Capital, die das Verlagshaus Gruner + Jahr am Baumwall jahrzehntelang prägten, findet sich in dem Werbestreifen kein Platz. Dass [CEO Thomas] Rabe nur noch die Zeitschriftenmarke Stern zeigt, ist möglicherweise ein böser Vorbote auf einen bevorstehenden, groß angelegten Ausverkauf des Zeitschriftenportfolios von RTL.“

Ein fataler Bärendienst

Was die Führungsriege bei RTL übersieht, ist das Signal, das man damit aussendet. Es lautet: „Vergessen Sie Print. Auch für uns als Bertelsmann-Konzern findet sich dafür kein Platz mehr.“ Sie erweisen dem gesamten Printmarkt einen geradezu fatalen Bärendienst. Aktuell erlebt die Branche auch eine Diskussion um die Werbeprospekte, die milliardenfach in unseren Briefkästen landen und von immer mehr Filialisten abgeschafft werden oder werden sollen. Bei REWE formierte sich jedoch der Widerstand zahlreicher Kaufleute, die bei einer Abschaffung der gedruckten Handzettel um ihren Umsatz bangen. Print wehrt sich also (noch) erfolgreich gegen sein Ableben.

Das Lagerfeuer brennt weiter, aber TV ist out

Dem ehemaligen „Lagerfeuer“ Fernsehen wirft man vor, Zuschauer an die Streamingdienste zu verlieren. Das ist wahr, beschränkt sich jedoch tatsächlich auf Zuschauende unter 30 Jahren, die für die überwältigende Zahl der werbenden Marken nicht zur Kernzielgruppe gehören.

Das Onlinemagazin DWDL hat das Alter der Sender untersucht: „59 Jahre – so hoch war das Durchschnittsalter des TV-Publikums in Deutschland im ersten Halbjahr 2022. Und erreichte damit einen neuen Höchststand. Damit setzte sich ein Trend der letzten Jahre nahtlos fort – denn in den letzten fünf Jahren wurde mit jedem Jahr auch das TV-Publikum ein Jahr älter.“ Solange diese Altersgruppen jedoch für den mit Abstand größten Konsumanteil im Land verantwortlich sind, bräuchten sich die TV-Vermarkter keine Sorgen zu machen. Doch auch sie verlieren inzwischen an Bedeutung im Werbemarkt. TV-Werbung ist „out“.

Die Außenwerbung erfreut sich dank des Booms digitaler Flächen („Digital-Out-of-Home“) bester Laune. Und auch Kino kehrt nach dem Pandemie-bedingten Einbruch zu alter Stärke zurück. Dennoch bleiben die Werbekunden bei den „linearen Medienangeboten“ immer häufiger aus.

Onlinewerbung erreicht nur ein Drittel der Menschen

Der Werbemarkt und seine Protagonisten wollen die traditionellen Medien einfach nicht mehr. Sie wollen alles, auf dem das Etikett „Digital“ prangt. Das ist insofern verwunderlich, als es einerseits den traditionellen Werbemedien, wie die Fakten zeigen, ausgesprochen gut geht – und andererseits die Kritik an den digitalen Werbe-Plattformen, ihrer Nutzung und ihrer Wirkung, gleichzeitig immer mehr zunimmt.

So schreibt Olaf Peters-Kim, Co-Gründer des Technologieunternehmens Welect, in seinem Blog: „Online erreicht oft nur noch ein Drittel der Menschen“ und führt weiter aus, dass das unter Onlinewerbern beliebte Targeting Käufe häufig nicht fördert, sondern sogar behindert.

Metaverse – und keiner geht hin

Auch das gewaltige Internet-Zukunftsprojekt „Metaverse“ gerät in die Diskussion. Zwar plant nach einer Umfrage von Bitkom fast jedes zweite deutsche Unternehmen Investitionen ins Metaverse, aber dazu müsste es auch genutzt werden. Das ist offenbar nicht der Fall. „Trotz Milliardenbewertung nutzen nur wenige Menschen die Metaverse-Projekte ‚Decentraland‘ und ‚The Sandbox‘“, schreibt t3n und titelt: „Stell dir vor, es gibt das Metaverse und keiner geht hin“.

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Die Werber, die derzeit ihre Kampagnen für 2023 planen, stehen vor zwei Alternativen: entweder immer mehr Geld in Online investieren oder eine ausgewogene Balance aus digitalen und klassischen Medien entwickeln. Es ist keinesfalls alles Gold, was digital glänzt. Und Fakten sollten für die Medienentscheidung ausschlaggebender sein als Emotionen. Es empfiehlt sich, Medien einsetzen, die nachweisbar in ihren Zielgruppen Wirkung entfalten – statt nur das zu tun, was gerade en vogue ist.

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