Handel und Werbung müssen sich umstellen. Immer mehr Deutsche kaufen online. Der vernetzte Verbraucher, dessen Customer Journey längst von der Digitalisierung geprägt ist, macht immer häufiger einen Bogen um die lokalen Läden. Nach einer aktuellen Studie von PriceWaterhouseCoopers kaufen 85 Prozent der 18- bis 34-Jährigen mindestens einmal monatlich online ein, 15 Prozent der 25- bis 34-Jährigen sogar täglich. Auch der Handelsverband Deutschland HDE schlägt Alarm. 70 Prozent der Geschäfte klagen über rückläufige Besucherzahlen.
Der Handel steht vor gewaltigen Herausforderungen: Zwei Drittel der Verbraucher recherchieren im Laden vor ihrem Online-Kauf und ebenso viele recherchieren umgekehrt online vor dem Kauf im Laden. Und der Laden ist dabei immer der Verlierer. Nie zuvor war den Kunden das Angebot so transparent und selten zuvor stand der Preis so im Mittelpunkt des Verbraucherinteresses. Damit steht der Markenartikel, der stets seine Qualität in den Vordergrund stellte und dafür einen höheren Preis verlangte, am Scheideweg.
Die Werbung muss ebenso umdenken. Seit Jahrzehnten macht sie Marken bekannt, preist ihre hohe Qualität, unterscheidet sie damit von anderen, insbesondere den billigen Handelsmarken - und machte sie so begehrlich. Dieser Mechanismus, der den Unternehmen hohe Umsätze und Gewinne bescherte, ist nun infrage gestellt. Die Verbraucher suchen online, vergleichen online und kaufen online.
Nur noch Search und Online-Werbung?
Das US-Fachmagazin „Advertising Age“ beschwört bereits den Tod des sogenannten Sales Funnel. In der digitalen Welt verändere sich der ursprüngliche Weg von Bekanntheit über Interesse zum Kauf. Der Verbraucher springt von einem digitalen Kanal zum nächsten, vergleicht Alternativen und sucht nach dem besten Deal - am Rechner, am Tablet und am Smartphone.
Die Unternehmen reagieren darauf, indem sie Werbegelder von den alten Medien abziehen und in digitale Kanäle lenken. Unilever senkte seinen TV-Werbeetat allein im letzten Jahr um 44 Millionen Euro. Die Marken investieren immer mehr Werbegeld bei Google, Facebook, YouTube und den Web-Portalen von web.de, Bild.de, Spiegel.de & Co.
Nun greift Facebook auch ins Einkaufsgeschehen ein und will Unternehmen künftig ermöglichen, ihre Waren per Chat zu bestellen.
Wie es scheint, braucht man in nicht allzu ferner Werbezukunft nur noch Google-Search, Online-Werbung, Facebook und einen Online-Shop. Und ein wenig Beacon-Technologie, um die Kunden in die wenigen, verbliebenen Geschäfte an die richtigen Regale zu locken.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Doch die meisten Werbungtreibenden lassen sich dadurch offenbar nicht beirren. Sie werben weiter, als wäre nichts geschehen. Was machen die Automobilhersteller, wenn die Millennials gar keine Autos mehr wollen? Inzwischen werden in den USA mehr Neufahrzeuge an über 75-Jährige als an 18- bis 35-Jährige verkauft. Werben sie künftig in Seniorenheimen?
Eine Fülle neuer Kampagnen ist in den letzten Wochen an den Start gegangen. Sie versuchen, den neuen Verbraucher-Typus, der immer schwerer zu erreichen ist, vielfach mit neuen Mitteln einzufangen. Schlägt Condor den richtigen Weg ein, indem man sich mit einer reinen Online-Kampagne an Homosexuelle („Egal auf wen Sie fliegen, wir fliegen Sie hin“) wendet?
Ist es erfolgversprechender, wenn Bahlsen anlässlich seines 125. Geburtstages einen kleinen Jungen mit den Ballettsachen seiner Schwester losschickt? Seinen großen Auftritt um Vertrauen, Geborgenheit, Familie und Freundschaft hatte der Spot noch vor dem TV-Start im Netz. Dort sollte er viral die Konsumenten begeistern und hatte nach wenigen Tagen bei YouTube immerhin über eine Million Abrufe.
Wenn Werbung versucht, lustig zu sein
Ist es wirksamer, wenn der angeschlagene Karstadt-Konzern mit einer Online-Kampagne zum charmant gemeinten Tiefschlag gegen McDonald’s ausholt, um den Frühjahrumsatz für seine Karstadt-Sports-Artikel anzukurbeln?
Erreicht man die digitalen Geschäftsreisenden, wenn Eurowings mit seiner ersten Kampagne auf Satire und Selbstironie setzt? Diesen Film wollten nach über drei Monaten nur 750.000 Menschen bei YouTube anschauen. Dennoch, wer viel mit der Billig-Linie fliegt, weiß, dass man als Eurowings-Kunde viel Geduld und Humor mitbringen sollte.
Die Omnichannel-Trends im Handel
Eine Umfrage des Handelsinstitut EHI unter Führungskräften und IT-Verantwortlichen von 95 Handelsunternehmen hat ergeben, dass 63 Prozent der Befragten Omnichannel für den bedeutendsten technologischen Trend halten. Die wichtigste Herausforderung ist dabei für 51 Prozent die Optimierung der Kanal-Integration aus organisatorischer Sicht, gefolgt von technischer Systemverknüpfung, Realtime-Anbindung und Stammdatenmanagement. Nur 12 Prozent der Firmen schätzen die Kanal-Integration im eigenen Unternehmen bereits als gut ein, 40 Prozent sehen sich auf gutem Wege.
Quelle: EHI-Studie „IT-Trends im Handel 2015“. Das Handelsinstitut EHI hat CIOs und IT-Leiter von insgesamt 95 Handelsunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz in persönlichen Interviews zu Projekten, Trends und Investitionsprioritäten befragt. Die interviewten Einzelhändler stehen für insgesamt über 300 Milliarden Euro Unternehmensumsatz.
Mobile Anwendungen stehen für 57 Prozent ebenfalls ganz oben auf der Liste der Technologietrends. Dies schlägt sich auch in den Projekten nieder: Ein knappes Viertel der Befragten hat mobile Systeme für Mitarbeiter im Store im Fokus – 17 Prozent feilen an mobilen Lösungen für ihre Kunden.
Auch das Thema Mobile Payment ist mit 26 Prozent der Nennungen ein Bereich, der sehr interessiert beobachtet wird. Viele Händler erhoffen sich hier eine Beschleunigung der Kassendurchlaufzeiten. Auch die Möglichkeiten der Verbindung mit Loyalty-Programmen oder gegebenenfalls Händler-Apps bergen Potenzial.
40 Prozent der Unternehmen erwarten entsprechend den vermehrten Anforderungen in den nächsten Jahren steigende IT-Budgets. Im Vergleich zu 2013 sind die Budgets bereits jetzt deutlich auf durchschnittlich 1,24 Prozent vom Nettoumsatz gestiegen.
Die wachsende Relevanz von Technologie in allen Unternehmensbereichen hat deutlichen Einfluss auf die Position und Bedeutung der IT-Abteilung. 62 Prozent der IT-Verantwortlichen definieren die wesentliche Rolle der IT als Enabler mit enger Einbindung in die Prozessorganisation. Für 38 Prozent ist IT darüber hinaus auch zentraler Innovationstreiber innerhalb des Unternehmens. Bedingt durch diese Entwicklung hat sich das Anforderungsprofil an Mitarbeiter der IT-Abteilung stark in Richtung Prozess- und Businessorientierung gewandelt. 66 Prozent der Handelsunternehmen haben aufgrund akuten Fachkräftemangels Schwierigkeiten, Positionen adäquat zu besetzen.
Liegt Volkswagen mit seiner neuen Image-Kampagne richtig, mit der der angeklagte Konzern dem Abgasskandal trotzen will? Man bemüht sich dabei, den Marketing-Schwerpunkt der letzten Jahre von Fahrzeug, Design und Innovation wieder mehr in Richtung Mensch zu verschieben.
Krombacher setzt mit seiner aktuellen Artenschutz-Kampagne erneut auf die Rettung der Natur durch Bierkonsum. Die frühere Regenwald-Kampagne war seinerzeit per Gerichtsbeschluss gestoppt worden, da die Werbespots die "Entscheidungsfreiheit" des Verbrauchers unzulässig einschränkten, weil sie ihn vor die Entscheidung stellten, entweder "Krombacher zu kaufen oder den Schutz des Regenwalds zu verweigern".
Nicht lustig, nicht wirksam
Homosexuelle Menschen werden die Condor-Kampagne vermutlich nicht sonderlich lustig finden. Bahlsen setzt auf Gefühl, was zwar immer irgendwie funktioniert, aber nicht wirklich neu ist. Karstadt wird nicht dadurch gerettet, in dem man sich über die Kunden von McDonald’s lustig macht.
Und Eurowings sollte sich lieber um seine Produktqualität kümmern als um Reklame-Satire, über die höchstens die schmunzeln können, die nicht regelmäßig mit der Airline fliegen (müssen).
Dass Biertrinken weder den Regenwald noch Arten rettet, dürfte selbst den „heavy consumers“ unter den Biertrinkern einleuchten. Und Imagewerbung wie die von Volkswagen verblasst wirkungslos, wenn die Marke nicht einmal den geringsten Anforderungen nach Produktversprechen und Ehrlichkeit genügt.
Nein, der Weg in die Marken-Zukunft führt einzig über Werte. Erst wenn die Produktqualität stimmt, lohnt Werbung – egal ob klassisch oder digital. Das macht keinen Unterschied. Wenn es gilt, Marken einen Wert zu geben, ist höchstens Bahlsen auf der richtigen Spur.
Marken müssen Haltung zeigen. Da liegt Condor daneben und Krombacher gibt sich vergeblich Mühe. Aber nur dann, wenn Marken halten, was sie versprechen (Volkswagen) werden die Verbraucher folgen. Das ist den mündigen und digitalen Konsumenten heute wichtiger denn je. Sie besitzen die Transparenz und die Macht.
Mit dem reinen Schwenk von herkömmliche in digitale Medien ist es nicht getan. Die Marken, die die Konsequenzen aus der vernetzten Welt erkennen und auch in ihrer Werbung glaubhaft umsetzen, werden die Digitalisierung überleben. Alle anderen werden wohl qualvoll sterben.