Werbesprech
Luisa Neubauer, Klimaaktivistin, bei ihrem Auftritt auf der Digital-Messe OMR. Quelle: dpa

Die Ohnmacht des Marketings vor der Transformation

Die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingen werden in den nächsten Jahren herausfordernder denn je. Darauf haben Marketing und Werbung bislang kaum Antworten. Finden sie keine, geraten sie weiter ins Abseits.

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Die Rahmenbedingungen für Marketing und Werbung stehen vor weitreichenden Veränderungen, die unsere Märkte erschüttern. Dazu zählt die unaufhörliche Verschiebung der Alterspyramide, die unsere Sozialsysteme an ihre Grenzen bringt. Die Schere zwischen arm und reich droht immer größer zu werden. Gleichzeitig erleben wir augenscheinlich das Ende des stetig wachsenden Wohlstands.

Die Wohlstandverluste aus der Covid-19-Krise und dem Ukraine-Krieg, die auf 420 Milliarden Euro beziffert werden, stellen über Jahre hinaus eine Belastung für die Wirtschaftssysteme dar. Zusätzliche Kosten, die sich aus der Energiewende ergeben, wirken sich Kaufkraft- und Konsum-mindernd aus. Haushaltsmittel, die in die Rüstungsindustrie fließen, sind totes Kapital und zehren die Volkswirtschaft aus.

Vergangene Epochen haben hierzulande gezeigt, dass in wirtschaftlichen Abschwüngen überproportional eingespart wurde, jedoch in Zeiten des Aufschwungs nicht überproportional investiert wurde. Die nächsten Jahre werden daher für den Werbemarkt eine anhaltende Durststrecke.

Zusätzliche Regulierungen und drohende Werbeverbote werden die Arbeit der Marketingexperten erschweren. Ein entsprechend düsteres Bild zeichnet der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft infolgedessen in seiner soeben veröffentlichten Trendanalyse 2023.

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Langfristige Markenwerte werden in schwierigen Zeiten zu Fremdwörtern. Marketing-Taktik schlägt Marketing-Strategie: Nur der kurzfristige Erfolg zählt. Kurzfristige Kampagnen-„Performance“ ist alles. Digitale Plattformen verdrängen die alten Medien, bis der in Print, TV und Radio beheimatete Journalismus nicht mehr finanzierbar sein wird.

Marketing war stets geübt, mit den vier „Ps“ umzugehen: Product, Price, Place und Promotion. Doch das reicht seit der Digitalisierung unserer Welt und Automatisierung aller Prozesse – und unmittelbar vor dem Einfluss und Einsatz künstlicher Intelligenz – schon lange nicht mehr.

Marketing aus der Mode gekommen

Thomas Strerath, ehemaliger CEO der Kreativschmiede Jung von Matt, kommentiert bei LinkedIn die Meldung, dass sich Douglas künftig die Funktion des Chief Marketing Officers (CMO) spart. Johnson & Johnson habe dies bereits 2019 gemacht, ebenso wie Uber, Airbnb und Hyatt – „mit der schönen Begründung, man wolle das Wachstum beschleunigen.“

Harvard Business Review komme zu der Einschätzung, dass „Chief Marketing Officers in den letzten Jahren aus der Mode gekommen sind. Einige Researcher behaupten, sie brächten keinen Mehrwert“. Im CMO Survey von Deloitte würde die Frage nach der Bedeutung von CMOs von diesen selbst mit einem Allzeit-Tief beantwortet.

„Harvard Business Review meint, 40 Prozent der CEOs erwarten von ihrer CMO, dass sie den Business Case für die Technologieinvestitionen, ihre digitale Transformation und die Kundenerfahrung (‚Customer Experience‘) erstellen. Gleichzeitig aber sind über 80 Prozent von ihrem CMO weder beeindruckt oder, schlimmer, noch trauen sie es ihm/ihr zu. Klingt nach einem Dilemma.“

Eine von Serviceplan Group aufgelegte Befragung von internationalen CMOs kommt in Rahmen des im November 2022 vorgelegten „CMO Barometer 2023“ zu diesen zentralen Ergebnissen:

  • Rezession, Nachhaltigkeit und der Umgang mit Unsicherheiten prägen die Agenda der CMOs im Wirtschaftsjahr 2023.
  • Der Mega-Marketing-Trend ist und bleibt Nachhaltigkeit.
  • Nach Innen beschäftigen sich die CMOs mit Menschen und Emotionen. Denn mehr denn je sind sie „people manager“ und agile Führung, Moderation und Inspiration gehören zum daily business.
  • CMOs beschäftigen sich vor allem mit der Weiterentwicklung der Customer Experience und der digitalen Transformation.

„Klingt nach einem Dilemma“

Das klingt tatsächlich nach einem Dilemma für die Riege der Marketing-Verantwortlichen. Denn Themen wie Rezession, Nachhaltigkeit, Agilität und Customer Experience standen weder auf ihren Studienplänen, noch wurden sie damit in ihrer praktischen Arbeit je konfrontiert.

Ein Thema wie Nachhaltigkeit in Marketing und Werbung steht heute auf jeder Agenda jedes Unternehmens. Die Möglichkeiten, Emissionen zu senken, sind vielfältig. Dennoch fehlt es an Guidelines und Checklisten für die Verantwortlichen im Marketing. Weitgehend unbekannt es, dass einer der größten Verursacher von Energieverbrauch und Emissionen die Mediastrategie selbst ist.

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Eine aktuelle Studie unter Unternehmen in mehreren europäischen Ländern zu Investitionen in nachhaltige Marketingstrategien kommt immerhin zum Ergebnis, dass Nachhaltigkeitsthemen die Investitionen wert sind. Dennoch lagen in zwei Drittel aller Unternehmen die Investitionen in Nachhaltigkeit unter 50.000 Euro. In Deutschland sind die meisten Unternehmen bereit, ihre Budgets für nachhaltiges Marketing um fünf Prozent zu erhöhen. Das klingt nicht danach, als würde das Thema auch nur im entferntesten ernst genommen.

Helfen ungeliebte Senioren gegen die Gen Z?

Welche Maßnahmen gedenken Marketing Leader gegen den unausweichlichen Kaufkraftverlust insbesondere bei jüngeren Konsumenten, den berühmt-berüchtigten Millennials und der Gen Z zu ergreifen? Signifikante Kaufkraftdefizite werden hochpreisige Markenartikel empfindlicher treffen als Discountware bei Lidl und Aldi. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Werden Marketers ihre Zielgruppenansprache umschwenken auf die mit Abstand kaufkräftigeren Baby Boomer und Silver Surfer, den ungeliebten Senioren? Das ist nach Jahrzehnten des Jugendwahns im Marketing nicht vorstellbar. Auch den Agenturen, in denen überwiegend Menschen unter 30 arbeiten, fehlt hierzu jede Erfahrung, geschweige denn Expertise.

Oder werden Marketingchefs auf Nachhaltigkeit setzen anstelle von Mogelpackungen, die der Umwelt einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen? Eher nicht, denn die wenigsten Marketingverantwortlichen haben offenbar Einfluss auf die Verpackungsgestaltung.

Schlechte Vorzeichen und gute Vorsätze

Das alles sind keine guten Vorzeichen für ein neues Marketing mit positivem Einfluss auf eine Konsumwelt, die mit derartigen Herausforderungen zu kämpfen hat. Wenn Marketing nicht bald reagiert und Lösungen bietet, werden CMOs weiter an Einfluss verlieren.

Sie könnten sich ein Beispiel nehmen an einem Manifest von Richard Jung, Professor Communication Design & Corporate Identity und ADC Vorstand Forschung & Lehre. Er ruft die kreative Werbebranche des 21. Jahrhunderts dazu auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen und ihre einzigartige Position für den sozialen Wandel zu nutzen:

„In einer Zeit des Klimawandels, des Umbruchs und der politischen Unruhen erkennen wir die gesellschaftliche Bedeutung der kreativen Werbebranche an. Wir stehen an der Schnittstelle von Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Kunst und Kultur und tragen eine Verantwortung, die über kommerzielle Interessen hinausgeht. Unsere Aufgabe ist es, eine bessere Welt zu schaffen, indem wir unsere einzigartigen Talente und kreativen Energien nutzen.“ Sechs Bereiche bringen das Selbstverständnis von Agenturen auf den Punkt:

1. Wir sind der Nachhaltigkeit verpflichtet
2. Wir setzen uns für Vielfalt und Integration ein
3. Wir inspirieren und provozieren
4. Wir formen Identität und Kultur
5. Wir fördern Verbindungen
6. Wir sind Agenten des Wandels

„Macht da nicht mehr mit!“ war der Appell an die Werbewirtschaft von Klimaschützerin Luisa Neubauer auf dem Hamburger OMR-Festival. Unsere Welt verändert sich – und Marketing und Werbung mit ihr.

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Jetzt fehlt es nur noch am breiten Commitment, am ehrlichen und sprichwörtlich nachhaltigen Bekenntnis der gesamten werbungtreibenden Industrie.

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