Werbesprech
Ein Standbild aus dem der Penny-Weihnachtswerbespot 2022. Quelle: Screenshot

Die schaurigsten Weihnachtsspots des Jahres 2022

Und wieder füllen sich die TV-Werbeblöcke mit den rührseligen Weihnachtskampagnen der Handelswerber. Doch in diesem Jahr ist vieles anders – nur leider nicht besser.

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Die erste der neuen Weihnachtskampagnen, die das Licht der Werbeblock- und Web-Öffentlichkeit erblickte, löste gleich eine Flut an Meldungen in der Presse aus. Über einen Mangel an Aufmerksamkeit konnte sich der Spot des Discounters Penny wahrlich nicht beschweren, womit wir auch schon bei der Antwort auf die Frage sind, warum die Lebensmitteleinzelhändler sich Jahr um Jahr in den teuren Wettstreit um die beste, rührseligste und bewegendste Weihnachtsgeschichte begeben. Denn – ohne die Filme der übrigen Wettbewerber überhaupt gesehen zu haben – war man sich schnell einig: Penny ist der Weihnachtsspot des Jahres 2022.

Im bemerkenswerten Penny-Film thematisiert der Discounter den Riss in der Gesellschaft: „In ‚Der Riss‘ geht es um aktuelle Themen, die für Konflikte zwischen Personengruppen und Generationen sorgen: Klimakrise, Pandemie, russische Propaganda, Fremdenfeindlichkeit, Inflation – die Liste ist lang. Der Film ‚thematisiert die Risse, die sich mehr und mehr durch unsere Gesellschaft ziehen und ermahnt zur Rückkehr zum offenen Dialog‘, heißt es in einer Mitteilung der verantwortlichen Agentur Serviceplan. Die Geschichte des Films spielt in einem gewöhnlichen Häuserblock. Bei jedem thematisierten Konflikt bilden sich in der Szenerie Risse in der Häuserwand, der Aufzug verbeult, Türen sprengen. Bis zum entscheidenden Punkt: ‚Können wir reden?‘, fragt ein Junge seine Nachbarin, die er noch kurz zuvor wutentbrannt angeschrien hat.“ Das geht unter die Haut.

Zehn Jahre schmalzige Weihnachtswerbung

Erst seit zehn Jahren kreieren insbesondere die Einzelhändler spezielle Werbespots zum Weihnachtsfest. 2012 hatte das britische Kaufhaus John Lewis begonnen, die Zeit vor Weihnachten besonders zu bewerben. In diesem Jahr präsentiert John Lewis die Geschichte eines Mannes, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Skateboarden zu lernen. Am Ende des Spots wird aufgelöst, warum: Der Mann nahm die Strapaze auf sich, weil er und seine Frau ein Pflegekind aufnehmen, das begeisterte Skateboarderin ist. Und tatsächlich spendet das Kaufhaus Teile der Einnahmen aus den im Film beworbenen Produkten an gemeinnützige Organisationen. Aus Haltung werden Taten.

In Deutschland, schreibt das Branchenblatt Meedia, „nutzen vor allem Edeka, Penny, Netto, Kaufland, Lidl oder Otto das Fest, um ihre Botschaften auszusenden und Gefühle zu erzeugen. Unvergessen ist der Edeka-Spot #Heimkommen, in dem der Senior seinen Kindern seine eigene Todesanzeige schickt, um die Familie wenigstens zu Weihnachten an einem Tisch zu versammeln.“

Edeka rückt in diesem Jahr vom Ziel ab, uns zu Weihnachten mit einer großen Geschichte zu beeindrucken und präsentiert stattdessen Harmonie und Selbstlosigkeit: eine Story, in dem ein Kind den Weihnachtstisch für die örtliche Feuerwehr deckt. Es ist, nach den unvergessenen Filmen der vergangenen Jahre, jedoch nichts Halbes und nichts Ganzes. Wer den deutlich längeren Spot nicht kennt, versteht die Geschichte mit der Feuerwehr nicht einmal. Schade. Und Horizont meint gar, der Film erinnere allzu sehr an einen Spot der Telekom...

Auch Aldi („Gutes für alle“) ist eher traditionell unterwegs und arbeitet in seinem Film mit einer Einkauftasche, aus der alles hervorgezaubert wird, was zum Weihnachfest gehört – von der Weihnachtsgans bis zum Kandelaber.

Wettbewerber Lidl setzt auf eine Figur namens „Mr. Easy“, der für ein entspanntes Fest sorgt: „Inmitten schreiender Kinder, hektischer Weihnachtseinkäufe und in Flammen aufgehender Kochversuche bleibt Mr. Easy cool und zaubert ein Weihnachtsfest wie aus dem Bilderbuch.“ Irgendwie alles ganz nett, aber mehr als nett leider auch nicht.



Es fehlt an Einzigartigkeit – und am Handwerk

Was den Spots fehlt, ist das Einzigartige, das unverwechselbar zum Absender gehört. Hat man die Filme von Edeka, Aldi oder Lidl einmal gesehen, vergisst man sie ebenso schnell auch wieder. Hängen bleibt davon nicht viel. Und einen triftigen Grund, einer der Händler über andere zu bevorzugen, liefern diese Werbespots nicht wirklich.

Das dürfte vielen ZuschauerInnen auch mit dem Weihnachtsfilm von Otto so gehen. Ich habe die Geschichte um den jungen Musiker, der sich bei Otto Haargel bestellt, nicht verstanden. Um sicher zu gehen, habe ich ihn mehreren Unbeteiligten vorgelegt, von denen keine/r – ähnlich wie bei Edeka – die Story oder die Botschaft verstand. Es scheint, als würden viele dieser Weihnachtsfilme inzwischen so überambitioniert und verkrampft kreiert, dass das Handwerk dabei auf der Strecke bleibt.

Den diesjährigen Weihnachtsfilm von Rewe kommentiert W&V mit den Worten: „Für seine Weihnachtspots legte sich mancher Lebensmittelhändler richtig ins Zeug und handelt bewegende gesellschaftliche Themen ab. Anders Rewe: Die Nummer Zwei im Markt kommuniziert kleine Gesten, welche die Welt besser machen.“

Auch Netto „spart sich die Gefühlsduselei zu Weihnachten“ (Horizont): „Während Penny zum diesjährigen Weihnachtsfest mal so richtig auf die Kacke haut und sich mit dem aufwändig produzierten Weihnachtsfilm an der gesellschaftlichen Spaltung abarbeitet, rüstet Netto emotional spürbar ab. In der Weihnachtskampagne des Lebensmittelhändlers geht es diesmal nicht um große Gefühle, sondern – ganz schlicht und zeitgemäß – um den besten Festtagsbraten zum kleinsten Preis.“

Emotionale Abrüstung – und Langeweile

Wenigstens Amazon erzählt uns eine wunderschöne Geschichte von einem Vater, der seiner Tochter ein unvergessliches Erlebnis verschafft. Ansonsten – und mit Ausnahme von Penny’s „Riss“, der es bei YouTube bereits auf 12 Millionen Aufrufe bringt – macht sich tatsächlich emotionale Abrüstung breit und, wenn wir ganz ehrlich sind: Langeweile. Wenn das die Antworten der Werber auf die Krisen um uns herum sind, von denen uns das Weihnachtsfest für einen Augenblick ablenken könnte, dann ist das eine sonderbar schwache Leistung.

Es stellte sich ohnehin die Frage, warum der Wettstreit um die rührseligste Weihnachtskampagne eine kommunikative Domäne ausgerechnet der Discounter und Händler sein sollte. Samsung führt vor, mit welch einfachen Mitteln man Emotionen („Wie geht es Ihnen?“) zeigen kann, die unmittelbar und höchst professionell mit dem eigenen Produkt verbunden werden. Auch den Volksbanken Raiffeisenbanken gelingt es, einen Film zu Weihnachten zu präsentieren, der die Botschaft „Gemeinschaftssinn“ auf einfachste Weise transportiert.

Werber sind 2022 an der Aufgabe gescheitert

Unter der Headline „Kreativ im Allzeittief“ fragte Absatzwirtschaft: „Was macht die Krise in diesem Winter mit der Kreation für die sonst so heiß ersehnten Weihnachtsspots?“ Die Antwort von Thomas Heyen (Jung von Matt) lautete: „Wir dürfen gespannt sein. Ich hoffe auf einen kreativen Umgang mit der derzeitigen Lage. Auf Botschaften, die Zuversicht und Optimismus ausdrücken. Auf Geschichten, die an den Zusammenhalt appellieren.“ Viel davon ist nicht zu sehen. Viele Werbungtreibende und Kreative sind in diesem Jahr an der Aufgabe gescheitert.

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Mit einer Ausnahme. Penny zeigt uns Werbung mit Haltung, die vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft warnt. Werbung, die selbst erwachsen geworden ist. Anspruchsvoll und ehrlich. Penny wird mit seinem Film „Der Riss“ vermutlich nicht einen Euro mehr Umsatz zu Weihnachten machen. Das weiß auch Marketingchef Marcus Haus. Aber sie haben eine Botschaft für uns und verdienen dafür unseren Respekt. Danke.

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