Augmented Reality war schon fast wieder tot. „AR“, wie die Fachleute Augmented Reality abkürzen, bedeutet „erweiterte Realität“. Der Begriff bezeichnet eine computerunterstützte Darstellung, die die reale Welt um virtuelle Aspekte erweitert. Wenn unsere Realität mit der digitalen Welt verschmilzt, entsteht eine neue Wahrnehmungswelt, die man ohne Übertreibung als faszinierend bezeichnen kann.
Erste Anwendungsbeispiele gehen auf das Jahr 1994 zurück. Doch zunächst verblieb die Innovation in der Nische der industriellen Anwendung. So entwickelte Vuzix zusammen mit SAP ein AR-gestütztes System für die Lagerhaltung, bei der die Anwender via Datenbrille zusätzliche Informationen erhielten.
Der kommerzielle Durchbruch gelang wohl erst Ikea 2013, also 19 Jahre später. Der schwedische Möbelkonzern entwickelte unter großem Beifall einen Katalog, in dem Möbelstücke mithilfe einer Smartphone-App eingescannt und virtuell an einen beliebigen Platz in der eigenen Wohnung projiziert werden konnten.
Jeder kennt unzählige AR-Beispiele, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass es sich dabei um Augmented Reality handelt. Wenn bei der Fußballübertragung die Entfernung zwischen Freistoßpunkt und Tor eingeblendet wird, ist dies eine AR-Anwendung, die für uns inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Im Gegensatz zu Augmented Reality handelt es sich bei Virtual Reality („VR“) um das gänzliche Ausblenden der Realität. Wer eine VR-Brille aufsetzt, taucht komplett in eine virtuelle Welt ein. Beide Anwendungen vermischen sich aber längst zum sogenannten „Mixed Reality“.
Google Glass: Der geplatzte Traum
Einen empfindlichen Dämpfer erlebte Google mit dem Projekt Google Glass, einer Brille mit Mikrodisplay und Kamera. Der Träger der Brille überträgt dabei Informationen seiner Umgebung ins Internet und erhält Navigationshilfen oder Hinweise auf Sehenswürdigkeiten.
Zum Problem wurde die Gesichtserkennung: Die Brille erkannte vorbeigehende Personen und übertrug auf Wunsch deren im Netz auffindbare Profildaten. So viel Transparenz war den Menschen dann doch nicht recht. Auch die Aussicht, von einem Träger heimlich fotografiert oder gefilmt zu werden, löste Diskussionen um Datenschutz und Privatsphäre aus. Google arbeitet wohl dennoch an einem neuen Modell.
Der große Durchbruch und damit die breite Anwendung in Marketing und Werbung blieben Augmented Reality bislang versagt. Das Entwickeln einer virtuellen Marken-Welt erweist sich als sehr aufwändig. Und vielen Verbrauchern ist das Laden der erforderlichen App zu umständlich, der zeitliche Aufwand wohl zu hoch. Entsprechend attraktiv muss daher der Gegenwert sein, den der Nutzer für seine Mühen erhält.
Virtual-Reality-Brillen
Ob Oculus Rift, Playstation VR oder HTC Vive: Alle Virtual-Reality-Brillen funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Im Sichtfeld zeigt ein Bildschirm die virtuelle Umgebung an, Linsen sollen für einen Rundum-Effekt sorgen. Das Bild wird bei jeder Bewegung des Kopfes angepasst – Sensoren messen jede Veränderung, der Computer errechnet blitzschnell das neue Bild.
Gründer Palmer Luckey baute eine erste Datenbrille aus Smartphone-Komponenten zusammen. Inzwischen hat die Facebook-Tochter die Technik so verfeinert, dass 2016 eine erste Verbraucherversion von Oculus Rift fertig wird. Oculus hat den Preis für die lange erwartete 3D-Brille mit 699 Euro in Europa höher als von Experten erwartet angesetzt.
Samsung bietet die Datenbrille Gear VR bereits jetzt als Zubehör fürs Smartphone an – es wird in die Halterung geschoben und dient als Display, die zwei Linsen in der Brille sorgen für die 3D-Optik. Damit ist das System nicht so leistungsfähig wie Konkurrenzprodukte, aber mobil. Die Technik stammt übrigens von Oculus VR.
Der Elektronikhersteller HTC entwickelt seine Virtual-Reality-Brille Vive gemeinsam mit dem Spielespezialisten Valve. Um die Position des Spielers möglichst genau zu ermitteln, werden im Raum zwei Lasersensoren montiert, die mit den Sensoren am Gerät permanent in Kontakt sind. Eine Besonderheit: Nutzer können sich damit im Raum bewegen. Einführung: Ende 2015.
Die virtuelle Realität muss nicht teuer sein: Mit Cardboard hat Google eine zusammenfaltbare Pappkonstruktion entwickelt, in die Nutzer ihr Smartphone schieben können. Eine App bereitet die Bilder passend auf. Technisch sind die anderen Systeme überlegen, Cardboard lässt aber erahnen, welche Möglichkeiten es gibt.
Die besten Beispiele für erfolgreiche Anwendungen der virtuellen Realität finden sich in der Automobilbranche, die früh lernte, ihre potentiellen Käufer mit virtuellen Showrooms, Probefahrten und Konfiguratoren zu ködern. Doch selbst die Pkw-Marketer sprechen noch vom „sleeping giant“, vom schlafenden Riesen. Alleine der Weltmarkt für Augmented Reality soll laut Juniper Research bis 2020 auf insgesamt sieben Milliarden Euro anwachsen.
Der Poké-Hype greift um sich
Die Chancen dafür stehen gut. Denn ein kurioses Welt-Phänomen hat binnen weniger Tage Abermillionen Verbraucher in den Bann von Augmented Reality gezogen: Pokémon Go. Seit Anfang Juli können Spieler in Deutschland mit ihren Smartphones virtuelle Pokémon fangen, trainieren und in virtuelle Kämpfe schicken. Angeblich 16 Millionen Deutsche sind der Faszination des Spiels bereits erlegen. Die Stadt Düsseldorf sperrte jüngst eine Brücke über ihren Kö-Graben für den Verkehr, damit die Spieler ohne Gefahr dem Poké-Hype nachgehen können.
Das Fremdenverkehrsamt Basel landete derweil einen beachtlichen Viral-Coup, in dem sie Pokémon-Go-Spieler verfolgen. In ihrem Clip drehen die Schweizer den Spieß um und schießen Passanten, die auf ihre Handydisplays starren, mit Poké-Bällen ab. Alleine in den ersten 24 Stunden schauten 43 Millionen Menschen das Video des gelungenen Streichs.
Augmented Reality entführt in fremde Welten
Die digitale Welt steckt voller Wunder. Einerseits wünschen sich fast die Hälfte der Verbraucher einen „mitdenkenden“ Kühlschrank in ihrem Smart Home, andererseits beginnen erste Unternehmen ihre digitalen Werbeausgaben einzufrieren.
Kein Wunder: Nach einer US-Studie, die die Forscher von Lumen mit Blickaufzeichnungsgeräten durchführten, wird nur jede dritte Displayanzeige überhaupt angesehen. Und nur neun Prozent dieser Banner werden wenigstens eine Sekunde lang betrachtet. Für die Forscher ist Displaywerbung daher „wasted money“, rausgeschmissenes Geld.
Die Werber müssen sich schleunigst etwas einfallen lassen. Da kommen Augmented und Virtual Reality wie gerufen. Dass solche Anwendungen erfolgreich für Automobilwerbung eingesetzt werden können - das braucht nur wenig Fantasie. Den Pkw-Herstellern laufen die jungen Käufer derzeit in Scharen davon. Sie brauchen also mehr denn je einen modernen, zeitgemäßen Auftritt. Pikachu lässt grüßen.
Doch nicht nur technologiegetriebene Unternehmen sollten sich mit dem neuen Trend beschäftigen. Im Textileinzelhandel werden wir demnächst Kleider anprobieren können, ohne uns dafür umziehen zu müssen. Augmented Reality macht’s möglich.
Die Chancen der digitalen Realität gelten erst recht für Touristikwerbung. Reiseunternehmen werden uns den Flug (sic!) oder die Bahn- und Kreuzfahrt hautnah erleben lassen und uns in fremde Welten entführen. Eher müssen sie Acht geben, das Erlebnis nicht so faszinierend und realistisch zu machen, dass es die Reise selbst ersetzt. Da lauert Gefahr.
„Pokémon Go“: Kleine Kampf-Monster erobern die Welt
Es ist das erste Mal, dass man „Pokémon“ auf dem Smartphone spielen kann. Der japanische Spiele-Anbieter Nintendo brachte die beliebten Figuren bisher nur in Games für die hauseigenen Konsolen heraus. Inzwischen jedoch wechseln immer mehr Spieler auf Smartphones und Nintendo konnte diesen Trend nicht mehr ignorieren.
„Pokémon“ ist eine Wortbildung aus „Pocket Monster“ - Taschenmonster. Zum ersten Mal tauchten sie 1996 in einem Spiel in Japan auf. Die „Pokémon“ sind darauf versessen, gegeneinander zu kämpfen. Der Spieler fängt sie als „Pokémon-Trainer“ mit Hilfe weiß-roter Bälle ein und bildet sie aus. Im „Pokémon“-Universum gibt es mehr als 700 Figuren. Die beliebteste dürfte „Pikachu“ sein - ein kleines gelbes Monster mit einem Schwanz in der Form eines Blitzes. Neben den Videospielen blüht ein gewaltiges Geschäft mit Sammelkarten und allen möglichen anderen Fanartikeln von Plüschfiguren bis Brotdosen.
Im Grunde geht es auch hier darum, „Pokémon“ zu fangen und dann gegeneinander antreten zu lassen. Der Clou ist jedoch die Standort-Erkennung (GPS) auf dem Smartphone. Die „Pokémon“ verstecken sich an verschiedenen Orten - und ein Spieler sieht sie nur, wenn er in der Nähe ist. Dann werden die Figuren auf dem Display des Telefons in die echte Umgebung eingeblendet („Augmented Reality“). In den USA, Neuseeland und Australien sammelten sich schon große Menschenmengen an Orten mit populären „Pokémon“ an. Die kleinen Monster reagieren auf die virtuelle Umgebung: So tauchen Wasser-Pokémon besonders häufig in der Nähe von Flüssen oder Seen auf.
Es wurde gemeinsam entwickelt von der Nintendo-Beteiligung Pokémon Company und der ehemaligen Google-Tochter Niantic Labs. Letztere hatte unter dem Dach des Internet-Konzerns das ebenfalls auf Ortungsdaten basierte Spiel „Ingress“ programmiert. In ihm kämpfen zwei Lager um virtuelle Portale, die an verschiedenen Orten platziert wurden.
Der Kosmetikbranche eröffnet Augmented Reality gänzlich neue Präsentationsmöglichkeiten. Die erweiterte Realität wird Frauen erleben lassen, wie sich ihre Haut sichtbar verjüngt, wenn sie nur auf die Marke XY vertrauen. Die Hersteller werden allerdings noch mehr darauf achten müssen, dabei die „Realität“ nicht aus den Augen zu verlieren. Augmented wird die Werbung - zum Ärgernis mancher Werber - zwangsläufig ehrlicher machen.
Ungleich schwieriger wird es für die großen Werbeinvestoren aus der Nahrungsmittelindustrie und den schnelldrehenden FMCG-Konsumgütern. Nicht jeder Konsument wird bereit sein, sich der Augmented-Welt eines Joghurts oder Badreinigers hinzugeben.
Das jedoch hängt einzig von der Kreativität der Werber ab. Die genialen Ideen kann ihnen Augmented Reality nicht abnehmen. Im Gegenteil: In der Brave New Digital World ist mehr Kreativität gefragt denn je. Wir dürfen gespannt sein.