Werbesprech

Marken im Disruptionsstress

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Jeder gegen jeden, klein gegen groß

Glaubte die Lufthansa bislang, Air Berlin sei der größte Wettbewerber, muss sie nun mit ansehen, wie der Billigflieger Easyjet die Streikphase der Kranich-Piloten ausnutzt und erstmals um deutsche Geschäftskunden wirbt. Das Unternehmen wildert ausgerechnet mit dem Thema Pünktlichkeit in der Kernzielgruppe des Noch-Marktführers. Das neue Motto im Marketing heißt „Jeder gegen Jeden“. Keine Marke ist mehr vor Angriffen sicher.

Die Kleinen fressen die Großen. Die größten Marken werden zum Freiwild für die schier unüberschaubare Schar der neuen Kleinen, die die Vorzüge der digitalen Medienwelt nutzen, um sich fast mühelos Bekanntheit und Vertrauen in ihren immer größer werdenden Zielgruppen zu ergattern.

Alyssa McDonald lehrt mit Blyss die Schokoladen-Konzerne das Fürchten und zeigt vorbildlich, wie man echte Schokolade macht. Emmas Enkel definieren den Lebensmittel-Einkauf neu. Nur ihr Name ist noch eine Leihgabe aus der guten, alten Tante Emma-Zeit.

Immer mehr Marken greifen nach Marktanteilen, ohne sich dabei traditioneller Werbung zu bedienen. Sie bauen ihre Markenwelten mithilfe sozialer Netzwerke und YouTube-Kanälen auf. Dass dabei nicht alle Old-Economy-Unternehmen tatenlos zusehen, beweist die Otto-Gruppe mit ihrem Start-up „Collins“, das jüngst den neuen Online-Shop „About You“ startete. Auch Rewe ist inzwischen aufgewacht und stellt sich den neuen Marktanforderungen.

Wie sehr die jungen, digitalen Unternehmen bereits an den Märkten der Old Economy nagen, zeigt sich auch an der Erhebung der weltweit beliebtesten Arbeitgeber. Darin platzieren sich Uber, Adobe, Airbnb und Booking.com erstmals unter den Top 100, während Traditionsunternehmen wie Procter & Gamble, Shell, McKinsey, Boston Consulting und Danone zu den Verlierern zählen. BMW und Roche büßen innerhalb eines einzigen Jahres sogar 22 Rangplätze ein.

Sie alle verlieren im Kampf um die besten Arbeitnehmer zunehmend an Gunst und Rang. Vier der ersten fünf Plätze belegen ohnehin die Digital-Fürsten Google, Apple, Microsoft und Facebook. Wenn die Traditions-Unternehmen auch den Kampf um die besten Leute verlieren, sind sie in Zukunft nichts mehr wert.

Die Befreiung aus dem Reklame-Ghetto

Unternehmen und Marken, die das Jahr 2020 erleben wollen, müssen sich schleunigst etwas einfallen lassen. Sie müssen sich dem digitalen Zeitalter und seinen mündigen, selbstbewussten Verbrauchern stellen - sich im Zweifel völlig neu erfinden. Sie müssen endlich beginnen, ihren Konsumenten zuzuhören und sich ihren Bedürfnissen in einer sich wandelnden Zeit beugen.

Sie müssen sich selbst wandeln. Über Change-Management nur zu philosophieren und zu reden, reicht nicht mehr aus. Dies ist allerdings die langersehnte Chance für zukunftsorientierte Marketing- und Werbe-Manager, sich aus ihrem Reklame-Ghetto zu befreien und die Rolle des Vorreiters zu übernehmen.

Wer heute noch glaubt, die Anfangserfolge der digitalen Start-ups seien Eintagsfliegen, sieht sich bald im Abseits. Die Platzhirsche, die sich dem Wandel versagen, sind zum Abschuss freigegeben. Denn die nächste und womöglich größte Revolution wartet bereits an der nächsten Ecke: Der 3D-Druck, der das Zeug dazu besitzt, die nächste industrielle Revolution auszurufen, wird bald die gesamte Warenproduktion auf den Kopf stellen. Den Letzten, der selbst darauf nicht reagiert, beißen die Hunde.

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