Werbesprech

Wie ein 120-Euro-Film die großen Weihnachts-Werbespots abhängt

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Spekulatius und Taschentücher

Coca-Cola, fälschlicherweise immer wieder zum Erfinder der Werbefigur Santa Claus erklärt, lässt sich nicht lumpen und erinnert mithilfe seiner Agenturen Santo und Ogilvy und seinem Spot „Uns verbindet mehr, als uns trennt“ mit einer politischen Botschaft an den Migrationshintergrund des Weihnachtsmanns. Das Branchenblatt Horizont schreibt dazu: „Diese Kampagne dürfte wohl kaum zu den Werbelieblingen der AfD-Wähler werden.“

Die Botschaft von McDonald’s kommt ähnlich politisch daher. Es geht um die Werte, die sich die Fastfood-Kette auf die Fahnen schreibt: Vielfalt, Diversity und Toleranz: „Mit der Kampagne will McDonald's daran erinnern, was an Weihnachten wirklich wichtig ist: Nämlich füreinander da zu sein – und dabei die Welt auch mal mit Kinderaugen zu betrachten.“ Die musikalische Untermalung durch „Auld Lang Syne“, das im englischsprachigen Raum traditionell zum Jahresende gesungen wird, tut dazu ein Übriges.

Unweigerlich kommt einem der Gedanke: Wäre die Welt nur wirklich so, wie sie sich in diesen kitschigen Werbespots darstellt. Da kommt Ikea im UK mit dem ersten Weihnachtsspot seiner Geschichte bodenständiger daher. Im Film erwachen kitschige Deko-Gegenstände zum Leben - und beschweren sich über die Unordnung in der Wohnung. Selbstverständlich hat Ikea eine Lösung parat.

Das Branchenmagazin W&V macht gar einen neuen Trend aus: weniger Gefühlsduselei, dafür schon fast depressive Spots wie den für Aviation Gin oder eher nachdenkliche wie die Botschaft von tegut. Immerhin heben sie sich damit vom Einerlei der Weihnachtsspots wohltuend ab.

Es stellt sich die Frage, ob diese übertrieben pathetischen Werbefilme überhaupt Sinn machen. Horizont schreibt: „In der Weihnachtszeit gehören nicht nur Spekulatius und eine heiße Tasse Tee, sondern auch Taschentücher auf den Fernsehtisch. Schließlich quillen die TV-Spots zwischen Nikolaustag und heiligem Abend vor Emotionen geradezu über, was die Tränendrüsen vieler Zuschauer über Gebühr beansprucht.“ Nach Analyse von Unruly lösen sie tatsächlich intensivere Reaktionen aus und steigern das Kaufinteresse um beachtliche 24 Prozent.

Wo bleibt Volkswagen?

Das scheint sich allerdings bis nach Wolfsburg noch nicht herumgesprochen zu haben. Denn Autobauer wie Volkswagen fehlen gänzlich in der Auflistung der Weihnachtswerber. Dabei könnte gerade die angeschlagene Automobilindustrie einen Goodwill-Schub durchaus gebrauchen.

Die gute Nachricht: Teuer muss die weihnachtliche Werbeoffensive nicht sein. Fast ins Absurde wird die kostspielige Werbe-Weihnacht von einem feinen, kleinen Spot aus dem walisischen Städtchen Rhayader geführt. Darin wirbt der Gemischtwarenhändler Hafod mit einem zweijährigen Jungen, der seinem Vater im Laden zur Hand geht. Der Film kostete ganze 100 Pfund. Angesehen wurde er bereits 2,5 Millionen Mal bei YouTube. Auch wenn es Edeka auf 3,5 Millionen Abrufe bringt, gilt der Hafod-Film für viele Experten als bester Weihnachtsspot des Jahres.

Ebenso wenig muss jedes Jahr ein neuer Film her. Zwangsläufig haben sie eine kurze Lebensdauer – und angesichts der Dauerberieselung mit Weihnachtsgefühlen werden viele Zuschauer manchen Spot womöglich nie gesehen haben.

Edeka beispielsweise hat zu Weihnachten 2017 von der Agentur Jung von Matt einen Film drehen lassen, der nach meinem Geschmack schöner und emotionaler ist als jeder der hier aufgeführten. Er erzählt von einer Welt, die von Robotern beherrscht wird und würde im nächsten Jahr womöglich noch viel besser passen – wenn wir 2020 etwas Aufmunterung noch viel dringender brauchen.

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