Werbesprech

Der Fußball-EM droht das Werbe-Fiasko

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Von "Fanhansa" bis zum "offiziellen Direktsaft" der EM

Von EM-Marketing-Fieberwahn zeugen auch Deutschland-Klopapier von Penny (wer kam denn auf diese „Scheiß“-Idee?), ebenso wie Volvics Super-Fan-Mineralwasser und ein EM-Energy Drink namens „Schlaaand“ in der praktischen 1-Liter-Dose.

Dazu gelernt haben die Brauereien. Während sich Warsteiner, Veltins, Hasseröder, Karlsberg und Licher zur WM 2014 noch zeitgleich mit identischen Kronkorken-Aktionen ausschalteten, begnügt sich Bitburger zur EM mit dem Titel des DFB-Partners. In manchen Marketingetagen hat sich womöglich herumgesprochen, dass der Werbeeffekt solcher Kampagnen ohnehin gleich null ist.

Diese Teams rüsten Adidas und Co. bei der EM aus

Aber nicht überall. Auch seriöse Unternehmen verfallen dem EM-Wahn. So veranstaltet etwa Anwalt.de ein Gewinnspiel für Anwälte, bei dem man sich - je nach Abschneiden der Nationalelf - sechs Freimonate sichern kann. Die Saftmarke Innocent benannte sich kurzerhand um in den „offiziellen Direktsaft der UEFA EURO 2106“.

Das wiederum ließ dem Billigflieger Eurowings keine Ruhe. Er erklärt sich zum „offiziellen Sponsor günstiger Europaflüge“ und bittet Gewinnspielteilnehmer um Fotos von ihren Pizzen beim Italiener. Darauf muss man erst einmal kommen. Zumal die Eurowings-Mutter Lufthansa sich als „Fanhansa“ für teures Geld als Official Carrier des DFB ausgibt. Dabei sind es sogar ausgerechnet die Lufthanseaten, die mit ihrem Spot zu den wenigen Lichtblicken im Werbewahnsinn um die Europameisterschaft zählen.

„Allein mit dem Thema Fußball im Umfeld der EM zu werben, ist noch kein Erfolgsgarant für die positive Wahrnehmung von Marken“, schreibt das Fachmagazin Horizont und kürt Legos „kleinste Pressekonferenz der Welt“ zu einer der seltenen Ausnahmen.

Während der digitalen Lego-Kampagne die Öffentlichkeitswirkung fehlt, erlebte Kinder Schokolade mit ihrem Konzept des Nationalspieler-Packagings das genaue Gegenteil: Auslöst durch die Hetze der Pegida-Anhänger zählte die Kampagne zu den am meisten diskutierten der vergangenen Wochen. Doch ein solches Phänomen lässt sich schwerlich planen.

Die Werbewirtschaft glaubt, allen Unkenrufen zum Trotz, fest daran, dass ihre EM-Reklameauswüchse den Absatz pushen, weil sie die Kampagnen in ein „positives und begeisterndes Umfeld“ stellen. Sie rechnen in diesem Jahr, ausgelöst durch den Sondereffekt EM, mit einem Plus von zwei Prozent bei den Werbeausgaben. Schön, dass wenigstens die Werbewirtschaft davon profitiert, wenn schon der Werbeerfolg für die meisten Marken wieder kläglich ausfallen wird. Für sie wird die EM 2016 eher zum Werbe-Fiasko.

Von einem „positiven Umfeld“ kann bislang leider keine Rede sein. Weder im Vorfeld der EM und erst recht nicht nach den Ausschreitungen in Marseille. Bleibt zu hoffen, dass sich die Lage beruhigt und die Spiele friedlich fortgesetzt werden können.

Deutschland ist - nach Frankreich - bei den Buchmachern der an zweiter Stelle gerankte Teilnehmer bei dieser Europameisterschaft. Das wahrscheinlichste Abschneiden ist demnach ein Ausscheiden der „La Mannschaft“ im Viertelfinale. Drücken wir unserer Turniermannschaft die Daumen. Immerhin geriet das erste Spiel gegen die Ukraine zum Traumauftakt.

Und allen, die dem Treiben auf den Spielfeldern und der überbordenden EM-Reklame gar nichts abgewinnen können, bleibt nur die Hoffnung, sich vielleicht irgendwann einmal tatsächlich für vier Wochen in ein künstliches Koma versetzen lassen zu können...

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