




Werbung ist teuer. Nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft liegen die Werbeeinnahmen der Medien bei 45 Milliarden Euro. Das macht Marketing und die werbliche Kommunikation für viele Unternehmen zum drittgrößten Budgetposten überhaupt. Man möchte also denken, dass die Werber sich größte Mühe geben Werbekampagnen zu entwickeln, die wir verstehen. Oder sich zumindest dabei nicht lächerlich zu machen. Doch weit gefehlt. Vor einem Jahr hatten wir uns an dieser Stelle die unsägliche „Gebäckstreet Boys“-Kampagne des Bäckerei-Filialisten Kamps vorgenommen. An Peinlichkeit war sie kaum zu überbieten. Dachte man. Doch nun ist sie zurück. Unter dem sinnigen Titel „Gebäckstreets Back“ präsentiert man uns „Neue Strophen aus’m Ofen“. Ausgelobt wird der zweifelhafte Werbestunt mit einem Gewinnspiel und Preisen im Wert von € 375. Die Kunden sind Kamps wohl nicht mehr wert.
Werbung, die Kunden verhöhnt
Die neue Kampagne des Designer-Labels Saint Laurent versteht niemand. Die Plakate, die in Paris zu sehen waren, sorgten weltweit für Entrüstung. Abgebildet hatte man extrem dünne Models, die sich lasziv räkeln oder unterwürfig über einen Hocker beugen. Für Kritiker sind die Plakate entwürdigend, eine Aufwertung der Magersucht oder gar Ansporn zur Vergewaltigung. Diese Werbung provoziert nicht einmal, sie verspottet und verhöhnt die Käufer der Marke. Der Direktor der französischen Werbeaufsicht sagte dem „Guardian“, er könne sich nicht vorstellen, dass Kunden mit diesen Motiven in Verbindung gebracht werden wollen. Inzwischen musste Saint Laurent die Schockplakate abhängen.
Dass erst ein Werbeverbot Werbungtreibende zur Räson bringen muss, ist sicher die Ausnahme. Ebenso unglücklich ist jedoch, wenn die eigene Kampagne auf einen Wettbewerber einzahlt, weil sie missverständliche Signale aussendet. Die Kampagne von Air Berlin arbeitet neuerdings mit den Farben rot und blau, mit denen Vielflieger eindeutig den Farbcode von Air France identifizieren. Dass die Stewardess im Spot eher frankophil erscheint, trägt nur noch zusätzlich zur Irritierung bei.
Welchen Marken die Deutschen am meisten vertrauen
Edeka: 52,5
Tchibo: 52,7
Bosch: 54,9
Rossmann: 55,4
Haribo: 56,5
Leibniz: 58,9
Nivea: 59,8
dm: 62,6
Miele: 62,9
Im vergangenen Herbst empörte sich die Öffentlichkeit über einen Werbefilm des Autoherstellers Smart, der zu Halloween ein Paar zeigte, das von einem Mann mit Eishockey-Maske („Freitag der 13.“) erschreckt wurde. Die Spots liefen, als Überfälle von Horror-Clowns Deutschland in Panik versetzten. Es bleibt ein Rätsel, warum die Verantwortlichen Werbung zeigen, deren Botschaft nur schwer zu verstehen ist.
Filme für eine deprimierte Generation
Die heißersehnte, neue Kampagne von Mercedes-Benz bedient sich einer für die Marke ungewöhnlichen Bildsprache und soll die jüngere Generation im Spannungsfeld zwischen Erwachsenwerden und Spießertum ansprechen. Jens Thiemer, Vice President Marketing bei Mercedes-Benz Pkw, spricht von einem "Vorstoß in Richtung Modernität, Progressivität und Dynamik". Die Filme sind bestenfalls deprimierend. Wenn sie wirklich den Nerv der Zielgruppe treffen, kann einem die Generation leidtun. Irritieren dürften sie aber die tatsächlichen Käufer der Marke. Der Mercedes-Kunde ist im Schnitt 55 Jahre alt und wird diese Kampagne nicht begreifen. Mercedes hat sie wohl daher praktischerweise auf Online-Medien versteckt, wo sie nicht viel Unheil anrichten kann.
Worst Case ist keine Wurstkiste
Die digitalen Plattformen tragen ohnehin zum besseren Verständnis der Werbung wenig bei. Wenn Facebook, die Fotos von Kunstwerken sperren, weil darauf Brüste zu sehen sind, einer Bloggerin gesponserte Werbung eines Laufhauses ausspielt, das Prostituierte sucht („Viele Männer und wenig Konkurrenz“), dann ringt man um Fassung. Digitale Werbung bleibt oftmals ein Buch mit sieben Siegeln.
Die schlimmsten Ausrutscher geschehen den Werbeprofis jedoch nach wie vor bei den Claims, die sie den Marken anhängen. Sie sollen kurz und prägnant sagen, wofür die Marke steht und was sie besonders macht. Suzuki gelingt das nicht. Ihr neuer Claim für das Modell Vitara lautet „Alles und mehr“ und ist an phantasieloser Aufgeblasenheit nicht zu überbieten. Verstehen muss man das nicht.
Nach einer Untersuchung der Naming-Agentur Endmark sind der Mehrheit der Deutschen insbesondere englischsprachige Werbesprüche ein Rätsel. Fast zwei Drittel geben an, solche Claims nicht zu verstehen. Und drei Viertel der Konsumenten verstehen englische Werbe-Claims nicht im Sinne des Absenders. Die ungezügelte Liebe der Werber zur englischen Sprache treibt wundersame Blüten.





Da wird aus dem „Have it your way“-Spruch von Burger King schnell mal „Nimm’s mit auf den Weg“. Und selbst aus dem Backshop ein „Hinterhofladen“. So wenig wie der Worst Case eine Wurstkiste ist, ist ein Bodybag ein Rucksack (der auf Englisch übrigens rucksackheißt) - sondern eben ein Leichensack.
Dergleichen Reklame-Kapriolen gibt es zuhauf: Aus dem RWE-Slogan „One Group. Multi Utilities“ wurde in den Augen mancher Betrachter “Ohne Gruppe. Multi-Kulti“, aus „Broadcast yourself“ von YouTube „Mach deinen Brotkasten selber“. Und unter Renaults „Drive the Change“ verstanden viele „Wechsel den Fahrer“. Mit „Drive alive“ war es jedoch Mitsubishi, die den Vogel abschossen: Deutsche Verbraucher verstanden darunter „lebend ankommen“. Unvergessen ist auch der Spruch der Parfümeriekette Douglas „Come in and find out“, den viele mit „Komm rein und finde wieder raus“ übersetzten.
Das Dilemma der Werber sitzt tief
Wenn so viele Werbekampagnen nicht verstanden werden oder bei den Zielgruppen falsch ankommen, muss es einen Grund haben. Eine Antwort darauf liefert Amir Kassaei. Der streitbare weltweite Kreativchef der Agenturgruppe DDB platzierte jüngst eine ungewöhnlich harte Breitseite gegen seine eigene Zunft. In einem Interview mit der Fachzeitung Horizont teilte er aus: „Es zeigt, dass unsere Branche den Kontakt zur Realität der Menschen verloren hat.“ Die Werbebranche berausche sich an Dingen, die null Relevanz hätten: „Wir müssen endlich mit diesem furchtbaren Selbstbetrug aufhören und aus unserer Parallelwelt raus!“
BrandIndex Buzz-Score-Ranking: Diese Marken haben sich 2016 am besten ins Gespräch gebracht
Grundlage des Rankings bilden die Ergebnisse auf der Erhebungsdimension Buzz im Markenmonitor BrandIndex von YouGov. Hierfür befragt YouGov repräsentativ ausgewählte Deutsche nach Ihrer Wahrnehmung und Bewertung von Marken: "Wenn Sie von dieser Marke in den vergangenen zwei Wochen etwas gehört haben – etwa in der Werbung, in den Nachrichten oder persönlich über Freunde oder Bekannte – war es positiv oder etwas negativ?". Positiv- und Negativ-Stimmenanteile gegeneinander aufgerechnet ergeben den Buzz-Score. Ein hoher Buzz-Wert bedeutet also, dass eine Marke bei Verbrauchern positive Aufmerksamkeit erregt hat.
Marke: Rewe
Buzz score: 13,0
Marke: Tchibo
Buzz score: 13,2
Marke: YouTube
Buzz score: 13,9
Marke: Deichmann
Buzz score: 14,9
Marke: Wikipedia
Buzz score: 14,8
Marke: Lidl
Buzz score: 15,2
Marke: Harbo
Buzz score: 16,5
Marke: dm
Buzz score: 17,4
Marke: DHL
Buzz score: 17,4
Marke: Nivea
Buzz score: 18,2
Und weiter: „Dazu gehört auch, dass wir endlich dieses absurde Bullshit-Bingo mit Begriffen wie Content Marketing und Programmatic Advertising stoppen.“ Man brauche, so Kassaei, Substanz und keinen Firlefanz.
Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Die Werbebranche hat offensichtlich die Bodenhaftung verloren. Sie gibt vor, den Verbraucher in den Mittelpunkt zu stellen, gibt sich aber immer weniger Mühe ihn zu verstehen. Schuld an der schwindenden Werbe-Aufmerksamkeit haben also weniger die Fragmentierung oder Digitalisierung der Medien, sondern ein fehlendes Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen.
Amir Kassaei will nach Abschluss der Kampagne, an der er derzeit arbeitet, die Werbebranche nach 30 Jahren verlassen. Das ist schade. Die Branche braucht Querdenker wie ihn.