Werner Knallhart
Beim Discounter Aldi soll es bald kein Fleisch der untersten Kategorie geben. Quelle: imago images

5 Mega-Umbrüche, die Rewe, Edeka, Lidl und Aldi erzwingen könnten

Bio, Fairtrade, regional. Die deutschen Handelsriesen nutzen ihre Marktmacht nicht nur dazu, Preise zu drücken. Sie forcieren auch Konsumtrends. Wenn sie wollten, könnten sie radikal dazu beitragen, uns noch gesünder, klimafreundlicher und tierlieber zu ernähren. Fünf Ideen.

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Wie gelingt der Wandel im Konsumverhalten, wenn der Konsument nicht selber damit anfängt? Was so oft als Marktversagen bezeichnet wird, ist oft einfach Ethikversagen. Moralische Kapitulation etwa bei den Anbietern. Wenn Landwirte darüber klagen, ihre Tiere leider nicht artgerecht halten zu können, weil das Fleisch dann zu teuer würde: „Wenn wir uns bessern, kaufen die Leute billiger irgendwo anders.“ Die Erzeuger gerieren sich als hilflose Opfer der ruchlosen Konsumenten und fallen als Speerspitze einer Umbruchbewegung bislang zumindest im große Stil aus.

Am Kühlregal im Supermarkt, am Drehregal im Klamottengeschäft, am Hängeregal im Elektronikmarkt gibt es für uns Verbraucher allerdings keinen Impuls für Empathie für Mensch, Tier, Klima und Umwelt. Und hier scheitern Produzenten und Handel. Sie beklagen sich über den gleichgültigen Verbraucher, blenden ihn aber an allen Ecken. Schleifen jeden Stein des Anstoßes. Als Journalist klärt man selten gemeinsam mit den Herstellern auf, sondern bringt sie bei Recherche und Berichterstattung oftmals gegen sich auf. Und diese Doppelmoral, dem willfährigen Konsumenten den Blick wegzudrehen von der verstörenden Wahrheit, um sich dann über den egoistischen Verbraucher zu beklagen, wird gesellschaftlich getragen. Noch.

Von den Produzenten zu erwarten, auf eigene Faust ohne Hilfe von uns allen mit einem Schlag alles so umzustellen, dass alle am Ende ohne Gewissensbisse gut einschlafen könnten, ist jedoch illusorisch. Dies wäre ein wirtschaftlicher Suizid. Hilfe von uns allen: Das wäre in einer repräsentativen Demokratie die Bundesregierung. Mit anderen Worten: Vergessen Sie´s. Für gesellschaftlichen Fortschritt in Sachen Konsum zuständig sind im Merkel-Klöckner-Deutschland mittlerweile die EU und das Bundesverfassungsgericht. Und jetzt neu: der Handel.

Aldi Nord und Süd, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, Rewe mit Penny und Edeka mit Netto sehen sich zwar sicherlich nicht als die Umerzieher der Nation. Aber sie erspüren Trends. Und es wäre zu wenig zu sagen: Sie greifen sie auf. Die deutschen Lebensmitteleinzelhändler machen die Trends riesig.

Ich erinnere mich noch an die Phase des Bio-Durchbruchs bei den Discountern. Die Skepsis bei einigen Bio-Fans war so groß, dass sie die Discounter dafür kritisierten, die Bio-Bewegung durch die Vermassenmarktisierung kaputt zu machen. Anstatt zu erkennen, dass das Öko-Label „bio“ nach gesetzlich festgezurrten Maßstäben vergeben wird und überall gilt. Mittlerweile finden sich bei den Discountern längst über den Bio-Standard hinausgehende Labels wie Bioland und Demeter in den Regalen. Der Handel hat „bio“ das elitäre Image genommen. Was will man denn bitte mehr?

Die Fairtrade-Schokoladen der Discounter ergattern öfters Topbewertungen bei unabhängigen Produkttests. Überhaupt: Fairtrade hat den Weg ins Bewusstsein der Verbraucher gefunden nicht über unsere Wochenmärkte mit dem Anstrich des ackernahen Verkaufs. Die Fairtrade-Bio-Banane finden Sie eher bei Lidl als Mittwochvormittag auf dem Marktplatz und den Fairtrade-Blumenstrauß fast schneller bei REWE als auf der Online-Seite von Fleurop.

Auch beim Fleisch ist der Handel in der Vergangenheit immer wieder freiwillig vorangegangen. Etwa mit eigenen Tierschutz-Ampeln. Oder auch mit Fleischalternativen wie Veggie-Burger-Frikadellen, die mit viel Marketing-Tamtam eingeführt wurden. Jetzt hat Aldi ja auch angekündigt, das Fleisch der untersten Kategorie aus dem Frischfleisch-Sortiment ausschleichen zu wollen.

Ja, könnte man abwinken, die machen das nur, weil die Verbraucher das wollen. Halten wir aber fest: Dann hätte die Landwirtschaft doch auch reagieren können. Stattdessen übernimmt das der Handel mit seiner Marktmacht. Und macht das Thema dadurch groß. Ein Marketing-Sieg in diesem Fall für Aldi. Aber auch ein Sieg für uns alle auf dem Weg zu einer menschlicheren Landwirtschaft. Denn anders als bei anderen Trends, über die man sagt, wenn die bei Tchibo und Lidl angekommen sind (etwa selbstklebende LED-Lichterketten für unters Sofa), ist der Hype vorbei, wird ja keiner aus der ersten Generation der Bio-Konsumenten aus Trotz wieder aufs konventionelle Niveau zurückspringen. Sondern im Zweifel einen Gang zulegen. Und aus Prestige Demeter zum privaten Standard erheben. Es geht voran. Nicht dank einer innovativen Politik. Sondern dank Aldi, Lidl, Rewe und Edeka.
Der Wunsch einer erst noch kleinen Verbrauchergruppe wird vom Handel in Innovations-Kampagnen überhöht. Das dient dem Image des Handels. Aber es motiviert bislang von Trends unbeeindruckte Kunden, auf den Zug aufzuspringen. So entstehen echte Umbrüche.

Wo ginge das noch? Hier ein paar Ideen:

1. Stilles Wasser abschaffen

Es ist absoluter Klima-Bullshit, stilles Wasser aus dem Süden Frankreichs, aus Italien oder gar Japan nach Deutschland zu schaffen, wo es dann von Kunden in rosafarbenen und babyblauen Pfandkästen erst in Kofferräume, dann in die Vorratskammer geschleppt werden, wenn wir doch das beste Wasser komfortabel in der mit zum Anschlag gefüllten Wasserleitung haben. Wer seinen Durst ausschließlich mit Leitungswasser stillen würde, käme mit Getränkekosten von unter drei Euro hin. Pro Jahr. Mehr Platz im Getränkelager für das, was wir nicht alle zuhause haben. Und weniger CO2 durch Wasser. Einige Wasserversorger werben ja schon damit. Wie wäre es hier mit einer Vernunft-Offensive aus dem Handel? Ja, Lidl ist mit der Marke Saskia selber einer der größten Wasserproduzenten Deutschlands. Aber VW war einst auch der größte Dieselbauer.

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