Werner knallhart
Quelle: imago images/Cavan Images

Apotheken-Sterben: Denken wir Medikamenten-Versorgung einfach neu

In Deutschland gibt es so wenig Apotheken wie seit 40 Jahren nicht mehr. Aber heute gibt es ganz neue Möglichkeiten – wenn wir uns mit dem Digitalen nur nicht so anstellen würden. Eine Kolumne.

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Seit dieser Woche wissen wir: Es gibt weniger als 18.000 Apotheken in Deutschland. Ist das wenig? Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände Abda findet: ja. Denn: „Jede einzelne Apothekenschließung wirkt sich direkt auf die Versorgungsqualität der Patienten aus“, sagt deren Vize-Chef Hans-Peter Hubmann.

Das sehe ich auch so, meine es aber anders. Ich war jüngst in einer Apotheke mitten in Berlin. Da musste ich erst warten, bis der Kunde vor mir zu Ende erklärt bekommen hat, dass das Medikament nicht vorrätig sei und erst bestellt werden müsse. Als ich dann dran war, konnte ich nicht bezahlen, weil die Apothekerin keine Kreditkartenzahlung akzeptierte („Erst ab zehn Euro und dann auch nur mit EC“). Also bin ich weiter in eine apotheker- und patientenfreundliche Apotheke am Ostbahnhof.

Wäre besagte erste Apotheke schon gestorben gewesen, ich hätte 15 Minuten gespart, was für mich eine deutlich bessere Versorgungsqualität gewesen wäre.

Ja, es stimmt, die Gewinnmargen, die Gewinnmargen. Aber der Bäcker nebenan nimmt die Kreditkarte auch zur Bezahlung eines einzelnen Brötchens zu 90 Cent. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Kunden ohne Bargeld, die zu Barzahlung verdonnert werden, wandern gerne mal ins Online-Geschäft. Und ein Kunde weniger ist schlechter als ein Kunde mit Karte. Da hilft kein Gejammer.

Was ich damit sagen will: Wer sich ans Alte krallt, bleibt zurück. Was hätten wir Deutschen an Steuergeld sparen können, wenn die Politik rechtzeitig erkannt hätte, dass wir Kunden im Großen und Ganzen ganz gut auf Warenhäuser alter Machart verzichten können. Jetzt werden hier und da bald Plätze frei für neue Quartiere, die so lebenswert und lebhaft sind, dass sich da sogar noch nach 20 Uhr Menschen aufhalten. Mit neuen Arbeitsplätzen, hoffentlich auch für diejenigen, die dem Konzept Warenhaus zu lange ihre Karriere anvertraut haben.

Wir brauchen auch für die Medikamentenversorgung ganz neue Konzepte. Denn das Apothekensterben wird weitergehen. Es gibt schlicht zu wenig interessierten Nachwuchs. Und eine Branche, die sich auf kurz oder lang wunderbar in die Online-Welt verlegen lässt, wirkt auch nicht sonderlich attraktiv für einen stationären Start ins Berufsleben.

Bitte, liebe Apothekerinnen und Apotheker, nicht böse sein, aber Sie sind nun einmal trotz Ihres womöglich sogar fulminanten persönlichen beruflichen Engagements Teil der Branchengruppe, die sich neu erfinden muss. Damit sind Sie nicht allein. Aus dem Otto-Katalog wurde otto.de, das Fernsehen und die gedruckten Zeitungen wandern in Mediatheken, der Verbrenner stirbt zugunsten des E-Motors, aus Kohle wird Wind, aus Kuh- wird Erbsenmilch, aus der täglichen Tierleid-Frikadelle wird das Biohack einmal pro Woche und Lehrerinnen und Lehrer lernen Unterricht mit ChatGPT.

Und was will der Apotheker-Verband? Mehr Geld pro Packung wegen der Inflation. Das ist ein wenig unambitioniert.

Beim Besuch einer Apotheke in Bielefeld fragte ein Freund jüngst nach einem Heimtest auf die für den Magen schädlichen Helicobacter pilori. „Muss ich bestellen“, sagte die Apothekerin. Am nächsten Tag war der sehr teure Test da. Auf der Packung stand: nur anzuwenden in Laboren. Das hat er aber erst zu Hause gemerkt. Auf den enttäuschten Hinweis meines Freundes bekam er zurück in der Apotheke die Antwort: „Tut mir leid. Aber ich kann ja nicht alles wissen.“

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Stimmt. Eine Apothekerin kann nicht alles wissen. Aber künftig könnten die Kunden eine KI fragen. Die wüsste sofort, was auf der Packung und auf dem Beipackzettel steht. Geschätzt 99 Prozent der Beratungen in Apotheken könnte eine künstliche Instanz mit freundlichem Lächeln im eigenen zu Hause der Kundinnen und Kunden bald besser erledigen als jemand, der völlig nachvollziehbar nicht alles wissen kann. Kunden brauchen Beratung durch Menschen? Unterschätzen wir nicht die nächste Generation der Seniorinnen und Senioren. Die haben ihr halbes Berufsleben mit dem Internet gearbeitet. Und Arzt und Ärztin sind ja auch noch da. Mit einer gut gemachten elektronischen Patientenakte auf Wunsch der Patienten können die Mediziner bestens etwa auf Wechselwirkungen hinweisen. Wird kommen. Bremsen zwecklos.

Wenn wir uns mal ganz ohne Verlustängste fragen: Was wird noch kommen? Wie wäre es mit einem wegen des Fachkräftemangels notgedrungen ausgedünnten Netzwerk relativ großer Apotheken vor Ort (mit Kartenzahlung!), die dank ihrer Größe gut wirtschaften können und so gemeinsam einen richtig gut gemachten Online-Lieferservice organisieren (mit Kartenzahlung!), der auch ländliche Regionen zuverlässig im Blick hat? Ohne Fahrerei, ohne die Aerosole anderer kranker Kunden im Verkaufsraum einzuatmen, ohne Zettelwirtschaft.

Bei spontan dringend benötigten Medikamenten liefern Botendienste (etwa mit Flugdrohnen) gegen Aufpreis im Ländlichen an feste Knotenpunkte (Apotheken-Packstationen mit per App zu öffnenden Fächern) oder sogar nach Hause vor die Tür. Das ginge schneller als heute, wo wir erst in die Apotheke laufen müssen, um dann mit Zetteln und Bestellmarken ausgestattet wieder nachhause zu trotten, damit wir später (abends oder am nächsten Tag) noch einmal mit den Zetteln hinlaufen können.

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Seien wir ehrlich, auch, wenn da einige erstmal schlucken müssen: Wenn die ganz überwiegende Standard-Beratung („Sie wissen, wie man Paracetamol einnimmt?“ – „Jaja. Danke.“ – „Alles klar, schönen Tag noch“) und sogar Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten in aller Ruhe von zu Hause aus von Pharma-Chat-KIs übernommen und die Versorgung mit den Blistern und Fläschchen sogar über kleine Pick-up-Hubs abgewickelt werden kann – warum sollte das nicht demnächst kommen?

Aus Angst vor der Zukunft plakatieren die Apotheken Botschaften, die suggerieren, dass eine gute Beratung und Versorgung nur vor Ort in einer Filiale möglich ist: „Wenn man Mensch ist und nicht nur ein Account.“

Online wird man wenigstens nicht auf sein Bargeld reduziert.

Im Ernst: Meine Mutter (77) hat sich vor einigen Jahren ein neues Auto gekauft und hat dafür erst dann einen Fuß vor die Tür gesetzt, als der Autotransporter vor selbiger stand. Alles andere ging online.

Die Kneipe an der Ecke lässt sich nicht online ersetzen, Apotheken sehr wohl. Dass mich meine Apothekerin beim Reinkommen mit Namen begrüßen muss, um mich in meinem Sinne bedienen zu können, glaube ich nicht. Und das nette Pläuschchen über den Tresen ist sicherlich kein massentaugliches Geschäftsmodell.

Wer heute noch den effizienten Online-Handel als unmenschlich verteufelt, wird es bald schwer haben, die Kehrtwende zu erklären. Denn wenn sogar Telemedizin den Arztbesuch vor Ort ersetzt (was auch viele Ärztinnen und Ärzte praktisch finden), sogar Hautkrebsscreenings im ersten Durchgang aus der Ferne mit dem Handy möglich sind, warum sollte ausgerechnet die Medikamentenversorgung am Fachkräftemangel scheitern?

Statt den Leuten Angst zu machen, dass wir künftig nicht mehr zuverlässig an unsere Pillen ran kommen und mit den Apotheken die Menschlichkeit stirbt, wenn Apotheken nicht an mehr Geld rankommen, sollten die motivierten Expertinnen und Experten der Apotheken-Branche mit umwälzenden Ideen Lösungen präsentieren, die die Menschen in Europa trotz Fachkräftemangel gesund machen.

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Wenn sich das E-Rezept bald durchgesetzt haben wird, wird auch die Online-Apotheke ihren großen Durchbruch feiern. Heute muss man noch den mit Kugelschreiber unterschriebenen rosafarbenen Zettel per Post an die Online-Apotheke schicken. Das muss man sich mal vorstellen! Und trotzdem sterben die stationären Apotheken schon heute schleichend. Der große Umbruch kommt erst noch. Ich wünsche der Branche, dass ihr der Wandel schneller gelingt, als die Kunden abwandern.

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