Werner knallhart
Rege Betriebsamkeit in einem US-Amazon-Center am Cyber Monday. Quelle: REUTERS

Black Friday und Cyber Monday sind schlecht fürs Herz

Durchgestrichene Preise und ablaufende Countdowns: Der Schnäppchenwahnsinn regiert wieder. Firmen wie Amazon sollten aufpassen, denn ihr Ruf steht auf dem Spiel. Viele Knallerpreise sind gar keine.

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Dieses unschlagbare Gefühl der kindlichen Vorfreude auf Weihnachten, es verglüht in der Pubertät und kommt nicht mehr zurück. Aber es gibt künstlichen Ersatz für dieses Kribbeln, dieses Hoffen. Die Ersatzdroge für Erwachsene heißen Black Friday und Cyber-Monday-Woche. Da wird vielen trotz der kalten Jahreszeit ganz warm ums wild puckernde Herz. Statt Geschenken gibt es Prozente.

Laut Umfragen kennen die meisten Deutschen diese neuen Tiefpreis-Feiertage, sie gehören zum Jahresablauf schon dazu. Traditionalisten müssen heutzutage stark sein: Nachdem schon Halloween seit einiger Zeit ein neuer fester Termin im Kalender geworden ist, gibt es jetzt eben auch noch den Black Friday. Da kann dann jede Firma nach Gutdünken auf den fahrenden Zug mit aufspringen. Und muss noch nicht mal sonderlich kreativ sein. Heute lese ich vom Magenta Thursday der Deutschen Telekom: „Jede Menge Aktionsangebote“. Von kommendem Donnerstag bis Montag. Hä? Naja. Irgendwas auf Englisch mit Prozenten. Das muss irgendwas mit Black Friday sein.

Das reicht als Legitimation völlig. Black Friday ist einfach immer der Tag direkt nach Thanksgiving, immer ein Freitag, ein Brückentag. Zeit zu shoppen für die Amerikaner also. Warum er Black Friday heißt, ist umstritten. Aber alle Theorien sind langweilig. Fakt ist: Kommender Freitag ist dieser Black Friday. Auch bei uns. Aber der Online-Handel wollte dem noch einen drauf setzen und erfand den Cyber Monday. Amazon erklärt den Cyber-Monday auf seiner Website recht unbeholfen: „Der Begriff Cyber Monday, der 2005 geprägt wurde, bezeichnet den Online-Shopping-Rausch, der in Amerika am fünften Montag im November beginnt.“

Nun, dieses Jahr gibt es gar keinen fünften Montag im November. Nein, in Wirklichkeit ist der Cyber Monday der Montag nach dem Black Friday. Und ebenso ein Rabattschlachttag. Und Amazon konnte immer noch nicht genug kriegen und erschuf direkt eine ganze Cyber-Monday-Woche. Die läuft aktuell bereits. Und noch mehr: Im Rahmen der Ankündigung dieser Woche gibt es viele Tage vorab auch schon Schnäppchen, so dass es sich so anfühlt, als ob irgendwie der ganze November ein Amazon-Schnäppchen-Monat ist. Jetzt heißt es wieder: „Täglich neue Angebote bis zu 50% reduziert.“ Und das ist noch untertrieben.

Supergünstig den Keller auffüllen

Und das löst bei vielen von uns einen spektakulären Effekt aus. Denn normalerweise bestimmen ja in der Marktwirtschaft Angebot und Nachfrage den Preis. Am Black Friday und in der Cyber-Monday-Woche aber bestimmen Angebot und Preis die Nachfrage. Oder anders gesagt: Wir kaufen den unnützesten Plunder, weil er offenbar so saugünstig ist. Shoppen für den Keller. Mit dem guten Gefühl, richtig Kohle zu sparen. Und umgekehrt mit der aufbrodelnden Panik im Brustkorb, wegen einer dummen Unaufmerksamkeit ein fantastisches Knallerangebot zu verpassen und dann zwei Wochen später in verabscheuungswürdiger Naivität das Tausendfache dafür hinzublättern. Dabei braucht man das Zeug weder heute noch morgen. Es geht schlicht um den Triumph, abgesahnt zu haben. Man nennt es Kaufrausch.

Ich nehme mich da nicht aus. Gerade habe ich gesehen, dass Amazon seine Fire Tablets für Kinder aktuell 40 Prozent billiger raushaut. Ich hatte schon die Idee, die meinen kleinen Nichten zu schenken, da fiel mir siedend heiß ein: Nein, meine Schwester hat mir schon vor sechs Wochen (da gab es schon mal so ein Schnäppchenangebot) eingebläut: „Die Kinder sollen noch keine Tablets bekommen.“ Es juckt trotzdem in den Fingern.
So ähnlich muss es sich für einen Raucher anfühlen, wenn er versucht, das Nikotin aus seinem Körper auszuschleichen.

Deshalb Vorsicht: Im Rausch sind wir leichte Opfer. Und nicht alle Angebote sind fair.

Oberste Regel: Nicht mit der unverbindlichen Preisempfehlung vergleichen

Verbraucherschützer kritisieren vor allem einen Rabatttrick. Den unsäglichen Vergleich mit der „unverbindlichen Preisempfehlung“ (UVP). Der ist nicht nur unfair, der geht auch auf die Pumpe.
Beispiel: WMF Classic Line Messerblock als „Angebot des Tages“ in der Cyber-Monday-Woche für 44 Euro 99. Amazon gibt an: 68 Prozent Rabatt. Wow! Wann gibt es schon mal knapp 70 Prozent?
Aber: Durchatmen! Amazon legt hier unfreundlicherweise die unverbindliche Preisempfehlung zugrunde. 139 Euro!

Ich habe mal geguckt: Außer dem Hersteller WMF selbst ruft kein Händler diesen, ja, krassen Preis auf. Auf gut einem Dutzend Seiten von Online-Shops war der Messerblock zu Preisen zwischen 60 und 90 Euro zu haben. Damit wäre der Messerblock bei Amazon zwischen 25 und 50 Prozent billiger. Amazons Preis ist also immer noch unschlagbar. Aber eben kein Wahnsinns-Rabatt von 68 Prozent zum sonst üblichen Preis, sondern zu einem völlig unüblichen Preis, dieser fiesen Augenwischerei namens „unverbindliche Preisempfehlung“, die aus Stuhl gefühlt Gold macht. Mittlerweile ist besagtes Cyber-Monday-Wochen-Angebot bei Amazon abgelaufen. Nun kostet der Messerblock 74 Euro 09. Und eben nicht 139 Euro. Zu den jetzt 74 Euro bedeuteten die 45 Euro einen Rabatt von gerade mal 39 Prozent. Was für eine Adrenalinverschwendung!

Rabattvergleiche mit der UVP sind also kundenunfreundliche Schnäppchenkosmetik. Das passt nicht zu Unternehmen, die bei Kundenfreundlichkeit punkten wollen. Weder online noch in der Fußgängerzone. Aufschlussreich ist allein der Vergleich mit
a. dem eigenen sonst verlangten Preis oder
b. dem marktüblichen Preis bei der Konkurrenz.

Wer also wirklich wissen will, wie viel er bei Amazon spart, der gehe etwa auf Seiten wie den Preis-Tracker camelcamelcamel.com. Der Service vergleicht Amazons Angebote mit den Preisen der Konkurrenz. Der Clou der Site ist aber der Vergleich mit dem vorher bei Amazon üblichen Preis, obwohl Amazon den bei seinen Rabattaktionen selbst verbirgt. So sagt die Website etwa, besagter Messerblock habe vor der Rabatt-Aktion sogar nur knapp sechzig Euro gekostet.

Noch schwieriger für aufgepeitschte Schnäppchenjäger wird es bei durchgestrichenen Preisen im Laden auf der Straße. Die Rotstiftpreise, die oftmals auch an der UVP ansetzen. Wenn dann tief im Bauch der Warenhäuser noch nicht einmal Handyempfang ist, wie soll man da vergleichen? Da wird einem doch der Rücken nass.

Aber es geht auch nervenschonend. Beispiel Wormland (sprich tatsächlich Wormland, und nicht etwa Wörmländ, denn der Klamottenhändler für Männer kommt aus Hannover): Wormland schwingt im Laden nicht den roten Edding, sondern gibt drei Rabattgutscheine zwischen zehn und 20 Prozent aus, die während der Black-Friday-Saison für alle Artikel gelten. Sogar für bereits reduzierte Kleidungsstücke. Das sind zwar keine schillernden 68 Prozent, aber es ist fair und transparent.

Übrigens: Während ich das hier schreibe, läuft bei Amazon der Countdown auf null - für ein Superknaller-Angebot für ein Santoku-Messer. UVP: 129 Euro 99. Cyber-Monday-Wochen-Preis: 16 Euro 99. Ersparnis nach Amazon-Logik: unfassbare 87 Prozent. Wird es das in diesem Leben nochmal geben??? Leute!
Zack, vorbei. Und schon steht da der neue Dauerpreis ohne Cyber: 29 Euro 99. Meine Nerven! Für was, für was?

Es gibt eine Gegenbewegung zu Black-Cyber-Schnäppchen: Den Kauf-nix-Tag. Der fällt nicht zufällig auf den Black Friday. Und ich bin mir nicht sicher, ob er von Konsumverweigerern ins Leben gerufen wurde oder von Herzspezialisten.

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