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Werner knallhart
Quelle: dpa

Der Kundenservice im Supermarkt scheitert oft auf den letzten Metern

An den vollen Kassen unserer Supermärkte und Drogerien ist meist Schluss mit dem Shopping-Spaß. Wer dann die Selbstscan-Kasse nutzen will, sollte Spaß am Scheitern haben. Oder auf neue Technik hoffen.

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Mir fällt nicht eine Situation aus den vergangenen Jahren ein, bei der ich den Kassiererinnen und Kassierern persönlich einen Vorwurf hätte machen können, wenn sich die Kunden in der langen Schlange vor der Kasse mal wieder die Beine in den Bauch stehen, während die wertvolle Lebenszeit an ihnen vorbei rauscht. Denn das Prinzip ist schnell erklärt: Auch Supermarkt-Personal kann sich nicht zerteilen. Selbst dann, wenn das von den Human-Resources-Managern in den Zentralen mitunter wohl angenommen wird.

Zwar sehen selbst Discounter heute mitunter aus wie Delikatess-Manufakturen. Aber der Service an der Kasse ist neben der Billigfleisch-Kühltheke der unangefochtene Abtörner in der deutschen Einzelhandels-Shopping-Erlebniswelt. Ausgerechnet am Ende, wenn man am Ausgang gedanklich einen Strich unter diesen Tagesablaufs-Punkt macht, denkt man doch nicht selten: Scheißladen. Aus Marketing-Sicht sicher der Tiefpunkt der Customer Journey.

Denn was hilft es, wenn die Supermärkte Lebensmittel lieben, aber die Kunden auf den letzten Metern im Stich lassen? Wie gesagt: Ich meine damit die Personalplanung. Nicht die selbst aufgeschmissenen Mitarbeiter in der Fläche, die nicht selten alle Kartons und Rollwagen im Gang stehen und liegen lassen, um dann doch noch mal schnell an die Kasse zu springen, weil die Kollegin vorne unten auf den Knopf gedrückt hat.

In den Randzeiten mag das mit dem flotten Abkassieren ja häufig ganz gut funktionieren. Aber ausgerechnet dann, wenn man nur nach Hause möchte, nach Feierabend, so zwischen 17 Uhr 30 und 20 Uhr, da sehe ich doch genau in den ermatteten Augen der Schlangesteher, wie sie sich zurückträumen in die Zeit, in der sie noch so klein waren, dass sie in den Kindersitz des Einkaufswagens gepasst haben. Statt sich jetzt müde über die Griffstange gebeugt im Trippelschritt dem ersehnten Fließband anzunähern. Und vorne kramt wieder jemand zwanzig Münzen raus („Können Sie Kleingeld gebrauchen?“), weil er Kartenzahlung für zu umständlich hält.

Aber von den fünf Kassen sind eben nur drei geöffnet. Und an Kasse 1 will jemand eine Flasche Gin kaufen, da muss die Kassiererin mit dem Alkoholschlüssel erstmal an die verriegelte Vitrine hinten bei den Spirituosen gehen.

Ich kenne in Berlin eine Edeka-Filiale, da geht man am besten immer zu zweit rein. Der eine geht direkt durch und stellt sich an der Kasse an, während der andere die Produkte zusammenträgt. So spart man gut zehn Minuten (und damit in Corona-Zeiten sicherlich einige Aerosole). In einer großen Rewe-Filiale in Bielefeld ist es vormittags so gegen 11.30 Uhr naturgemäß recht leer. Was die Marktleitung dazu verführt hat, regelmäßig nur eine einzige Kasse zu besetzen. Es gelingt also auch in Leerlaufzeiten recht zuverlässig, die Kunden auf den letzten Metern mit Warterei ganz traurig zu machen.

Legendär ist ja die von einer Profi-Sprecherin vorgetragene Verkündung bei Lidl, die jeder und jedem das Adrenalin ins Blut schießen lässt: „Wir öffnen Kasse 3 für Sie.“ Naja, und dann geht sie los, die Kundenabwanderung. Vorgetäuscht lässig, aber mit Puls 180. Die, die an Kasse 1 ganz hinten stehen, wittern jetzt ihre Chance, nach dem Motto „die Letzten werden die Ersten sein“, doch noch als Sieger auf den Parkplatz zurückzukehren. Die Kirsche auf der Sahnehaube des Tages. Während die, die schon vorne länger warten, verbittert in die Runde quengeln: „Warum überholen Sie uns jetzt?“, was nicht selten nachträglich zu Reue und umständlichen Caddy-Einfädel-Rangierbewegungen kurz vor Fließband 3 führt.

Nur die eingefleischten Superexperten bleiben lässig an Kasse 1. Denn sie wissen: Während vorne den Kunden Lust auf die neue Kasse gemacht wird, dröhnt im hinteren Marktbereich noch die Durchsage: „Kasse 3 bitte!“. Denn die Kassiererin ist noch gar nicht auf dem Weg. Und wer anfangs ganz vorne an der neuen Kasse noch seinen unvergesslichen Triumph genießt, wird bald merken: Da kann er lange warten. Das Gefriergut kondensiert schon schön aufs Band.

Okay, Lidl macht hier nach meiner Erfahrung unterm Strich im Vergleich zu anderen Ketten vieles besser. Aber auch hier herrscht nicht selten Achselzucken hinter der Kassen-Plexiglas-Wand: „Ich bin alleine hier vorne.“

DM hat ja diese niedliche Glocke. Man zieht am Strang, dann läutet es putzig elektronisch. Und manchmal kommt dann jemand aus der Shampoo-Ecke vorgeschossen und ruft: „Sie können auch zu mir vor kommen!“ Aber ich könnte Ihnen genau aufführen, bei welchen Filialen ein Zug an diesem schaumigen Schnurgriff zu nichts weiter führt, als dem Bedürfnis, sich die Hand zu desinfizieren. Sonst passiert nämlich nichts. Denn die einzige, die das Läuten hört, ist die, die schon vorne an der Kasse sitzt. Und die, ja, sitzt da ja schon.

von Henryk Hielscher, Karin Finkenzeller, Julian Heißler, Jörn Petring, Sascha Zastiral

Die Lösung für mehr Kundenbegeisterung könnten da ja die Selbstscan-Kassen sein. Und tatsächlich: Beim Sportartikel-Riesen Decathlon funktioniert das wunderbar. Der kommt aus Frankreich, deshalb hat man dort vorbehaltlos Spaß an Innovation. Dort gibt es SB-Kassen, da muss man noch nicht einmal scannen. Da legt man alles einfach an die Kasse und bei diesem Vorgang liest das gottähnliche Gerät sämtliche Produkte gleichzeitig über ihre elektromagnetischen Etiketten ab. In Sekundenbruchteilen.

Ja, ihr Rewes, Edekas, Aldis, Lidls, Rossmanns, DMs und ihr ganzen Biomärkte. So kann das auch gehen. Forsch voran. Kunden staunen lassen! Aber okay, Decathlon muss dafür alle Artikel mit einem solchen Etikett versehen. Ein aufgedruckter Strichcode reicht da nicht. Bei Rossmann scannt es sich auch ganz manierlich. Da muss man ja auch nichts abwiegen.

Aber wühlen Sie sich mal im Supermarkt durch die verschiedenen Birnensorten auf dem Display. Bei manchen Selbstscan-Kassen müssen Sie dann alles Gescannte auf der anderen Seite ablegen. Irgendwie wiegt die Kasse, ob da alles liegt. Tun Sie das nicht, wird das System misstrauisch und streikt. Aber selbst, wenn Sie es tun, streikt das System manchmal und ermahnt Sie abzulegen, was Sie aber ja schon getan haben. Aber den „hab ich doch schon“-Knopf gibt es leider nicht. Das ist meist der Moment, an dem wir nach dreißig gescannten Artikeln beim 31. bereuen, uns nicht in die Schlange Richtung Kassierer aus Fleisch und Blut angestellt zu haben. Da kann man beim Warten wenigsten wegdämmern. Besser fürs Herz.

Jüngst dachte ich bei Netto kurz vor der SB-Kasse: Bring deinem Schatz noch eine Stange Mon Chérie mit. Mein Gott, ja, Impulskauf. Was ich aber in meiner Impulskäufer-Naivität übersehen hatte: Mon Chérie legt alles lahm – und löst Alarm aus. Über den Scanner gezogen fängt gleich alles an zu blinken. Denn in Mon Chérie ist ja Alkohol drin und woher soll die Kasse wissen, dass ich schon 18 bin? Das könnte sie überprüfen, indem sie meine Kreditkarte schon einmal annimmt. Stattdessen muss aber eine Kassiererin meine Gesichtshaut mit ihren Augen scannen, um sicher zu gehen, dass ich kein Kind mehr bin. Aber diese Person kommt nicht. Es scannt mich keiner. Und das passiert häufiger. Denn: zu wenig Personal zur SB-Kassen-Betreuung.

Während wir etwa bei Ikea beim SB-Scannen regelmäßig so argwöhnisch beäugt werden, dass man am liebsten die Hände hochreißen will, um sich zu ergeben, stehen die Kassen in unseren Supermärkten nicht selten gelb oder rot blinkend in der Gegend rum – längst verlassen von den genervten Kunden. Wie mir, der ich dann einfach das Mon Chérie liegen lasse und den ganzen Rest noch einmal an der SB-Kasse daneben scanne. Wichtig also: Wer scannt, muss unbedingt alkohol-abstinent leben. Bedenken Sie das auch bei so mancher Trüffelschokolade!

Weil aber dann beim Scannen das Sicherheitsetikett vom Stremellachs nicht deaktiviert wird, wird man beim Rausgehen am Ausgang auch noch als Ladendieb angehupt. Mir schon öfters passiert. Ich habe mir angewöhnt, in solchen Fällen einfach scheinbar ungerührt weiterzugehen, in der Jackentasche den Kassenbon als schriftlichen Beweis meiner Redlichkeit fest von den Fingern umkrallt. Aber es fehlt ja eh meist das Personal, das dem Diebstahl-Alarm nachgehen könnte.

Es tut einem ja jeder leid, der Lebensmittel nicht online bestellt. Da scannen die Mitarbeiter, während man selber zuhause schon die Füße hochlegt. Oder es kommt ein deutscher Lebensmittelriese den Supermärkten Marke AmazonGO voraus, die nun in den USA entstehen. Die Einschläge kommen näher, auch die Londoner können kaufen, ohne am Ende Geld oder Karte zu zücken. Einkaufen ganz ohne Kasse. Weil Kameras, Sensoren und Waagen in den Regalböden registrieren, was wir entnehmen und in unsere Taschen stecken, bevor wir ungehindert nach draußen gehen.

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Rewe geht doch gerne mal voran (siehe Lebensmittel online). Und Amazon bietet die Technik auf dem freien Markt an. Sind wir in Deutschland reif für bequem, schnell und ohne Warte-Langeweile? Ich wäre ein williges Versuchskaninchen.

Mehr zum Thema: Marcus Werner schreibt über die alltäglichen Nebensächlichkeiten in der Wirtschaft, die es wert sind, liebevoll aufgeblasen zu werden. Hier finden Sie seine Kolumnen-Übersicht.

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