Werner knallhart
Der Kampf der Apotheken gegen den Online-Versand ist aussichtslos. Die Rettung: Impfen, Sehtests, Allergietests Quelle: dpa

Die Rettung für Apotheken: Impfen, Sehtests, Allergietests

Der Kampf der Apotheken gegen den Online-Versand ist aussichtslos. Viele Kunden können auf die formelle Beratung vor Ort wunderbar verzichten. Neue Aufgaben könnten die Apotheken aber aufwerten und Wartezimmer beim Hausarzt entlasten.

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Sagen Sie in Deutschland niemals: „Wir treffen uns vor der Apotheke.“ Denn so werden Sie Ihre Lieben niemals pünktlich wiedersehen. Der eine steht dann vor der „Löwenapotheke“, die andere vor der „Marienapotheke“, der Dritte vor der „Apotheke am Rathaus“.

Es gibt einfach so unfassbar viele Apotheken. Man könnte auch sagen: mehr als nötig. Aus Kundensicht. Bleiben Sie in irgendeiner deutschen Innenstadt mal auf dem Gehweg stehen, stellen Sie sich auf Ihrer Straßenseite mit dem Rücken zur Häuserzeile und dann wenden Sie Ihren Kopf einmal nach links und danach nach rechts. Fast immer klappt es: Sie entdecken in diesem Panorama irgendwo eine Apotheke. Wirklich!

Und dann fahren Sie mal nach Dänemark. Dort stehen die Kunden in den wenigen Apotheken, die es dort gibt, mitunter in Warteschlangen bis raus auf die Straße. Das kennen wir in Deutschland so nur von Postfilialen in der Mittagszeit.

Bei diesem Apotheken-Überangebot in Städten schmerzt es natürlich ganz besonders, wenn einem als Unternehmer dann der Onlinehandel jung und frisch und frech dazwischen grätscht. Die alteingesessenen Apotheken plakatieren deshalb immer mal wieder halb Deutschland zu und warnen vor dem Untergang der schönen Welt, so wie wir sie kennen. Kernaussage: Wenn wir Medikamente im Internet bestellen (was aus Kundensicht für viele eine sehr vernünftige, komfortable Sache ist), müssen ganz viele Apotheken schließen und dann gibt es keine Beratung mehr. Und keinen Notdienst.

Ich schätze das als interessierter Verbraucher so ein: Apotheken sterben nicht dort, wo es so wenige gibt, dass die Versorgung vor Ort gefährdet wäre. Sondern dort, wo es so viele gibt, dass sie sich schon heute gegenseitig kannibalisieren. Es würde ja reichen, wenn man beim 180-Grad-Blick in der Innenstadt nur noch eine, und nicht zwei oder drei Apotheken sehen könnte. Wie gesagt: aus Kundensicht.

Bei einer Überversorgung mit Apotheken wird neue Konkurrenz (wie Onlineapotheken) aus Apothekersicht schnell zur Gefahr für die eigene Existenz. Gerade dann, wenn endlich bald mal digitale Rezepte Standard werden, die man dann ruckzuck online einreichen kann. Das Bundesgesundheitsministerium hat das ja jetzt im Sommer auf den Weg gebracht. Und das muss ja auch kommen. Schluss mit dem hinterwäldlerischen Zettelkram! Meine Güte! Unsere EU-Nachbarn lachen uns aus. Wirklich!

Wenn das eRezept mal da ist, werden gerade chronisch Kranke, die die Medikamente regelmäßig nachkaufen und nicht sofort am selben Tag benötigen, sicherlich erst recht online kaufen. Wozu dann noch in die Apotheke laufen? Ja, die Apotheken werben mit der persönlichen Beratung. Aber bitte, liebe Apothekerinnen und Apotheker, seien Sie jetzt mal ganz, ganz ehrlich zu sich selber: In 90 Prozent der Fälle (vielleicht sogar noch häufiger) laufen die Beratungsgespräche doch so ab: „Wissen Sie, wie Sie die Tabletten einnehmen?“ „Ja, hat mir die Ärztin eben gesagt.“ „Alles klar, ich stecke Ihnen hier noch ein Päckchen Tempos ein. Gute Besserung.“ Und wenn ein Rezept im Spiel ist, dann gibt es noch nicht mal mehr die Stelle mit dem Tempo. Hat der BGH verboten.

oder:

„Kann ich mit den Tabletten denn Autofahren?“ „Moment, ich gucke mal…“ Und dann wird der Beipackzettel vom Display der Kasse vorgelesen. Ein gut gemeinter Service für Analphabeten. Und auch für Senioren, die sich auf dem winzig bedruckten und zigfach zusammengefalteten Poster in der Packung nicht mehr zurechtfinden. Okay. Aber wenn diese beiden Kundengruppen zusammen groß genug wären, bräuchten die Apotheker die Online-Konkurrenz ja nicht zu fürchten.

Ich gönne jedem Apotheker seinen Job in seinem Laden vor Ort. Aber dazu braucht es ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell. Wenn andere mit neuen guten Modellen einem das Wasser abgraben, muss man selber mit Neuem kommen.

Gesundheitsminister Jens Spahn denkt ja über Dinge nach, die den Apotheken vorkommen müssten wie ein Geschenk des Himmels. Die Bundesregierung möchte Apotheken künftig das Impfen gegen Grippe erlauben. Das ist aus Apothekersicht natürlich genial. Denn eine Impfung bietet dir keine Online-Apotheke. Die Impfung wäre für die Apotheke vor Ort das, was für die stationäre Buchhandlung der herrlich duftende Espresso in der Bücherwurm-Lounge ist: Der gewisse Service, den der Onlinehandel rein physisch nicht bieten kann.

Der Anfang von etwas ganz bedrohlich Modernem

Und wer reinkommt, um sich impfen zu lassen, der kauft vielleicht direkt noch Lakritzkreide oder eine Handcreme, die nach Lavendel duftet. Für sowas gibt es dann auch wieder ein Päckchen Tempo.

Gut, ne? „Impfungen gehören nicht in eine Apotheke, das haben Apotheker nie gelernt“, hat der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, der „FAZ“ gesagt. Dass das Ganze den Ärzten nicht passt, ist beruhigend. Zeigt es doch, dass das Impfen eine Aufgabe ist, um die es sich zu kämpfen lohnt. Aber bei allem Respekt vor den Errungenschaften der modernen Medizin mit OPs am offenen Herzen und so weiter: Ich hätte auch keine Bedenken, meine dreijährige Nichte zu bitten, mich gegen Grippe zu impfen.

Ich bin mir sehr sicher, dass Apotheker das erst recht in einem schnellen Online-Kurs erlernen könnten. Da sollte Herr Weigeldt nicht so skeptisch sein. Aber ich kann mir denken, was die Ärzte umtreibt: Es könnte nur der Anfang sein von etwas ganz bedrohlich Modernem.

Und ja, das wäre gar nicht schlecht. Aus Kundensicht. So viele Dienstleistungen, die in der Arztpraxis ablaufen, werden letztendlich von den Helferinnen durchgeführt. Warum den Patienten nicht ersparen, dafür extra zum Arzt zu gehen? Andere Patienten mit dramatisieren Anliegen werden es ihnen danken. Und den Krankenkassen käme das sicher auch entgegen. Die AOK findet die Grippeimpfung in der Apotheke zumindest schon mal gut.

Ich bin kein Mediziner. Aber ich denke mal laut: Wie wäre es mit folgenden Dienstleistungen in der Apotheke?

1. Impfungen auch gegen andere Krankheiten. Ein elektronischer Impfpass könnte in der Apotheke ausgelesen werden. Empfohlene Standard-Impfungen könnten eben mal aufgefrischt werden. Piks, Tempo-Päckchen, auf Wiedersehen.

2. Allergietests: Da werden allergene Flüssigkeiten auf die Haut des Unterarms aufgetragen und dann die Haut darunter leicht aufgekratzt. Danach werden die Quaddeln in ihrer Größe beurteilt. Meiner dreijährigen Nichte würde ich das nicht zutrauen, wegen des Durcheinanders mit den ganzen Flüssigkeiten. Meiner achtjährigen Nichte aber schon. Und für den unwahrscheinlichen Fall eines allergischen Schocks wäre die Apotheke für Gegenmittelchen ja an der Quelle.

3. Sehtests für den Führerschein. Ich habe jüngst einen beim Arzt für den Bootsführerschein gemacht. Rot-Grün-Blindheit mit einem Büchlein, Sehschärfe mit einem Poster an der Wand. Solange alles okay ist, erkennt das auch ein Apotheker. Sollte es Bedenken geben: ab zum Augenarzt für Genaueres.

Ich sage ja nicht: Hautkrebs-Screening, Schulter einrenken und Mandeln abtasten in der Apotheke. Aber all das, was keine tief greifenden ärztlichen Gespräche vorab und danach erfordert und Handgriffe sind, die eine Helferin ohne Anwesenheit eines Arztes auch erledigen kann, könnte man vielleicht doch auch in einem hygienischen Raum einer Apotheke erledigen. Wenn die Apotheker es in einem Lehrgang gelernt haben. Wenn das gut gemacht ist, würde ich mich als Kunde freuen.

Und welche neuen Aufgaben könnten Ärzte übernehmen, wenn einige alte an die Apotheken abwandern? Falls das hier ein paar Apotheker und Ärzte lesen: Was sagen Sie?

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