Unser Geschmackssinn ist so leicht zu überlisten, es ist schier peinlich. Ich kenne keinen Menschen, der in meiner Kindheit nicht mit mir einer Meinung war: Die grünen Gummibärchen schmecken nach Apfel. Weil das ja gar nicht anders sein konnte. Wonach sollten sie denn sonst schmecken? Nach Erdbeere etwa?
Nun, sie schmeckten nach Erdbeer. Apfel gab es gar nicht.
Dann hat Haribo vor knapp einem Jahrzehnt die Geschmäcker seiner Gummibärchen den Farben neu zugeteilt. Es stand sonst offenbar zu befürchten, dass die Verbraucher vor Verzweiflung durchdrehen. Seit 2007 schmeckt das grüne Gummibärchen nicht mehr nach Erdbeere, sondern nach Apfel. Himbeere ist seit jeher dunkelrot. Erdbeere ist jetzt hellrot. Damit einem das Auge beim Schmecken helfen kann.
Verbrauchertests haben längst bewiesen: Sagt man einem Probanden mit verbundenen Augen: „Mund auf, jetzt kommt ein Löffel Kirschsaft“, dann schmeckt ein Großteil der Leute Kirsche, obwohl es in Wirklichkeit Himbeer-Saft war. Wir trauen eher gesprochenem Wort als unserer eigenen Zunge. So schlecht trainiert sind wir.
Und so kommt es, dass selbst Winzer bei Weinproben ihren eigenen Tropfen geschmacklich nicht von anderen unterscheiden können und geschulte Sommeliers sich bei Blindverkostungs-Wettbewerben blamieren. Wir trinken eben nie, bevor wir hingucken.
Und wenn doch mal, dann meist zum großen Vergnügen der Kumpels drum herum, wenn das Opfer in der Mitte mit verbundenen Augen ein Kölsch nicht vom Pils unterscheiden kann und ein alkoholfreies Weizen nicht von einem mit Alkohol.
Schnell! Mal eben aus der Hüfte: Wie unterscheidet sich Ihrer Meinung nach der Geschmack von Radeberger von dem von Bitburger, Krombacher oder König Pilsener? Na?
Die beliebtesten Biermarken in Deutschland 2015
Erdinger
Absatz: 1801 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -1,2 %
Radeberger
Vorjahr: Platz 9
Absatz: 1895 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +1,5 %
Hasseröder
Vorjahr: Platz 8
Absatz: 2245 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -0,2%
Warsteiner
Vorjahr: Platz 6
Absatz: 2342 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -7,4 %
Paulaner
Vorjahr: Platz 7
Absatz: 2420 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +/- 0%
Beck’s
Vorjahr: Platz 5
Absatz: 2559 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +1,1%
Veltins
Vorjahr: Platz 4
Absatz: 2785 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +0,5%
Bitburger
Vorjahr: Platz 3
Absatz: 3840 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -1,1%
Oettinger
Vorjahr: Platz 1
Absatz: 5393 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: -4,1%
Krombacher
Vorjahr: Platz 2
Absatz: 5487 Hektoliter
Veränderung gegenüber 2014: +0,3%
Weil die Konsumenten bei Bier kaum Unterschiede im Geschmack feststellen, verlassen sich die meisten wieder auf das gesprochene Wort und auf das, was sie sehen - sprich auf die Werbung.
Nennen Sie mir aber eine Biermarke, die in ihrer Werbung den Geschmack ihres Biers erklärt. Jever vielleicht. Friesisch herb. Da passt das nördliche unrasierte Image zum Geschmack. Aber sonst? Felsquellwasser, Siegelhopfen, all dies kann doch kaum einer rausschmecken. Der SWR hat einst einen Geschmackstest unter Marketing-Studenten gemacht. Bierprobe aus neutralen Gläsern. Das Ergebnis: Tatsächlich schmeckten fast alle Teilnehmer Unterschiede. Allerdings war in allen Gläsern das Gleiche. Psyche schlägt Geschmackssinn.
Also bleibt den Brauereien gar nichts anderes übrig, als die Kunden mit Lifestyle-Versprechen zum Zugreifen zu bewegen. Das Kalkül: Solange der Geschmack unseres Biers im Vergleich zum Rest des Marktes nicht auffällig nach unten wegsackt, so dass der Kunde nach dem ersten Schluck mit verzerrten Gesicht absetzt, solange zählt im Wesentlichen das Drumherum.
Das kann man sich wunderbar an der Marke Holsten angucken. Die eiern da schon eine ganze Weile von einem Werbespruch zum nächsten und versuchen, eine Positionierung zu finden, die Kunden lockt. Kaum eine Biersorte bekommt so häufig neue Claims.
Bier als kleines Kunstwerk: Nicht besser, aber origineller
Wie Holsten schmeckt? Weiß ich nicht. Aber ich kenne das Image. Früher lautete der Spruch mal: „Die helle Freude.“ Nettes Wortspiel, aber helle Biere gibt es viele. Dann: „Auf uns, Männer.“ Der Werber-Arschtritt für alle Frauen war gewollt.
Im Werbespot knurrte ein Mann am Grill dann gar eine junge Frau bedrohlich an, die gerade Gemüse auf den Rost legen wollte. Nun lautet der Claim: „Ecken, Kanten, Holsten“. Also immer noch das Bier für echte Männer, die sich es sich schön saufen müssen, keine Frau an ihrer Seite zu haben.
Die Geschichte des Bieres
Der Anthropologe Jeremy Geller entdeckt Ende der 1980er Jahre Überreste einer Brauerei in Oberägypten, die sich auf die Zeit um 3500 bis 300 v.Chr. datieren lassen.
Aus der Zeit um 2500 v. Chr. stammen die ersten Dokumente, die Bier tatsächlich als solches erwähnen. So standen den Arbeitern, die die Pyramiden von Giseh errichteten, pro Tag zwei Krüge Bier und drei Laib Brot zu. Der Sumerologe Samuel Noah Kramer entdeckte außerdem eine Tontafel aus der Zeit um etwa 2100 v. Chr., auf der Bier als Heilmittel bei Krankheiten angepriesen wird.
600 Jahre später gab es in Mesopotamien, also dem heutigen Irak und dem Nordosten des heutigen Syriens, bereits 20 verschiedene Biersorten.
Noch einmal 100 Jahre später wird das erste Reinheitsgebot der Welt verfasst – und zwar im damaligen Mesopotamien. Ein Loblied an Ninkasi, Göttin des Bieres und der Brauer, hält fest, wie damals Bier hergestellt wurde. Nämlich aus Gerste, Malz, Gewürzen und Wasser. Zwischen 1730 und 1685 vor Christus entstand der Kodex Hammurapi, der als wichtigste Textsammlung des antiken Mesopotamiens gilt. Bei dem Kodex handelt es sich um eine Stele mit Richtersprüchen und Urteilen, die heute im Louvre ausgestellt ist. Diese Gesetzessammlung enthält auch Richtlinien für die Herstellung und den Verkauf von Bier.
Die ersten Fundstücke, die auf die Bierherstellung in Deutschland hinweisen, stammen aus der Zeit von 800 v. Chr. Demnach waren auf deutschem Boden die Oberfranken die ersten, die Bier gebraut haben. Von da an machte das Bier eine steile Karriere in Deutschland – sowohl als Getränk für die ärmeren Bevölkerungsschichten, als auch als Handelsware. 768 nach Christus machen die deutschen Bierbrauer eine wichtige Entdeckung: Um das Bier würziger und länger haltbar zu machen, benutzen sie von da an zusätzlich Hopfen.
Jetzt kommen die Mönche ins Spiel: 814 wird der Plan für das Benediktinerkloster St. Gallen entworfen. Dieser Plan beinhaltet neben dem reinen Kloster auch drei Brauereien.
Frühe Vorschriften zu Qualität und Preis des Bieres in Deutschland wurden bereits im 12. Jahrhundert erlassen. Eine Festlegung auf Wasser, Malz und Hopfen als Rohstoffe erfolgte für München 1487 durch Herzog Albrecht IV. von Bayern.
Als Vorläufer des Reinheitsgebotes gilt unter anderem eine „Biersatzordnung“, die Herzog Georg den Reichen 1493 für das damals von ihm regierte Teilherzogtum Niederbayern erließ.
Am 23. April 1516, erlässt der bayerische Herzog Wilhelm IV. die Vorschrift, dass zur Herstellung von Bier „allain Gersten, Hopfen und Wasser genommen und gepraucht sölle werden“.
Im Jahr 1906 wurde das bis dato nur für Bayern gültige Reinheitsgebot zum Reichsgesetz und galt somit für ganz Deutschland. Zeitgleich fingen die Menschen an, wehrloses Bier mit Limonaden oder Wasser zu verdünnen.
Durch eine Änderung im deutschen Biersteuergesetz dürfen Mischbiere – Cola-Bier, Radler, Bananenweizen und sonstige Obst- oder Bier-Enenergydrink-Mischungen - als fertige Flaschen- oder Dosengetränke im Handel vertrieben werden.
Jetzt vor der Fußball-EM läuft die neue Kampagne für Holsten, das auch nordisch herb sein will wie Jever und Flensburger, aber billiger, so der Deutschland-Chef der Holsten-Mutter Carlsberg Sebastian Holtz im Handelsblatt.
Norddeutsch. Für Männer. Billiger. Joa, da hat man so Szenen vor dem geistigen Auge. Warum dann nicht gleich der Spruch, der seit Jahrzehnten an Norddeutschlands Stammtischen kursiert? „Holsten knallt am dollsten.“
Auf die Spitze treiben es die Craft-Beer-Brauer. Kurioserweise hat Holsten einst einem norddeutschen Getränkegroßhändler die brachliegende Marke „Ratsherrn“ verscheuert. Der Mann hat dann einem Craft Beer den Namen Ratsherrn verpasst. Jetzt macht er damit Holsten ordentlich Konkurrenz im Norden. In Hamburg kommt das neue Bier mit altem Namen gut an - und ist sogar deutlich teurer als Holsten.
Craft Beer. Bier als Handwerk. Ein Trend in der Nische. Kleine Brauereien setzen auf das wohlige Image von regional und selbstgemacht. Als Kontrapunkt zu den Giga-Brauereien, die nach und nach sämtliche Welt-Marken unter ihren Dächern vereinen. Was macht das Craft Beer also so besonders?
Nun, da geht vieles durcheinander. Einige sagen: Craft-Beer-Brauer sind Handwerker in unabhängigen kleinen Mikro-Brauereien. Andere sagen, auch große Brauereien können Craft Beer. Es müsse nur mutig und originell sein. Fakt ist: Alles passiert im Rahmen des Reinheitsgebotes. Unendlicher Spielraum ist da nicht.
Aber Bier als kleines Kunstwerk, das macht das Bier nicht automatisch besser, aber origineller. Und da sind wir wieder beim Image. Und bei einem Dilemma. Das Craft-Beer-Image verdammt die kleinen Brauer zur ewigen Nische.
Denn Beispiele Bionade und das Phänomen „Fassbrause“ zeigen: Wenn es zu sehr Mainstream wird, wird das Image langweilig. Dann achtet man plötzlich nur noch auf den Geschmack und dann wird es schnell gefährlich.
Das deutsche Reinheitsgebot
Die bayrischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen am 23. April 1416 in Ingolstadt die neue Landesverordnung. Darin hieß es: „Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopfen / unn wasser / genommen unn gepraucht sölle werdn.“
Die Landesverordnung schrieb damit fest, dass für Bier nur Gersten, Hopfen und Wasser verwendet werden darf. Das erste Reinheitsgebot diente vor allem dem Verbraucherschutzes. Denn die Landesverordnung erschwerte es den Brauern, die auch ohne Rücksicht auf die gesundheitliche Wirkung Ochsengalle, Fliegenpilze oder psychodelische Kräuter in den Kassel warfen. Wertvolles Getreide wie Weizen oder Roggen hingegen blieb durch die Verordnung allein den Bäckern vorbehalten.
Bis die bayrische Regelung auch von anderen Ländern übernommen wird, dauert es über 350 Jahre: Erst mit der Reichsgründung 1871 führen auch andere Gebiete in Deutschland das Gebot ein. Wahrscheinlich auch unter dem Druck der Bayern, die ihren Zutritt zum Reich an diese Voraussetzung geknüpft haben sollen. Ab 1906 gilt das Gebot reichsweit.
Auch im Biersteuergesetz von 1923 ist das Reinheitsgebot enthalten. Doch eingehalten wird es in Krisen- und Kriegszeiten nur bedingt: So wurde zwischenzeitlich der Vertrieb von verfälschten Bieren nicht geahndet, und nach dem Krieg waren Ersatzzutaten wie Zucker, Hirse oder Kartoffeln sogar ausdrücklich erlaubt – außer in Bayern. Das Land versuchte daher mit einer Reihe von Gerichtsprozessen, das Reinheitsgebotes wieder bundesweit durchzusetzen.
Bis 1987 schützte das Reinheitsgebot nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem auch die deutschen Brauer: Alle in Deutschland verkauften Biere mussten dem Reinheitsgebot entsprechen. Ausländische Brauer, deren Produkte das nicht taten, durften diese in Deutschland auch nicht als Bier vertreiben. Entsprechend gab es in Deutschland nur wenige ausländische Marken. Der Europäische Gerichtshof kippte das Gesetz 1987: Das Importverbot beschränke den Handel zwischen den Partnerländern.
Heute findet sich das Reinheitsgebot im Gesetz in der Bierverordnung und dem Vorläufigen Biersteuergesetz wieder. Dort heißt es: „Farbebier muss aus Gerstenmalz, Hopfen, untergäriger Hefe und Wasser hergestellt werden, es muss vergoren sein.“ Für obergärige Biere sind die Bestimmungen weniger streng. Daran halten müssen sich aber mittlerweile nur noch deutsche Brauereien, die auch für den deutschen Markt produzieren.
Bis zum Jahr 2016 soll das Reinheitsgebot Weltkulturerbe gehen - zumindest, wenn es nach dem deutschen Brauerei-Bund geht. Doch zwischen dem Plan und der Umsetzung liegen einige Hürden: Der Brauerei-Bund hat den Antrag bereits beim Land Bayern eingereicht. Doch die Bayern müssen den Vorschlag noch in die Vorauswahl für ein mögliche immatrielles Kulturerbe aufnehmen. Diese Liste wird dann an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet, die aus den Vorschlägen der Länder noch mal eine Liste erarbeitet. Erst diese Vorschläge werden dann an die UNESCO weitergeleitet, die den Antrag von einem unabhängigen Experten-Komitee prüfen lässt. Der Evaluierungsprozess dauert in der Regel zwei Jahre.
Und so wird es für die Craft-Beer-Brauer kommen wie mit der dunklen Salz-Chili-Schokolade. Kurz gab es sie am Ende sogar beim Discounter. Jetzt ist dunkle Schokolade wieder out. Weil sie Massenware geworden ist. Kippt das Image, schafft es der Geschmack oft nicht alleine.
Weil die Masse der Kunden sich am Image orientiert. Und so ist ein Millionenbudget besser investiert in eine bundesweite Werbekampagne als in einen mutigen Bier-Geschmack. Denn wenn wir dann noch Kotelett, Kartoffelsalat und Ketchup im Mund haben und das Bier beim Runterspülen um die zwei Grad hat, dann schmeckt man überhaupt nichts mehr. Ein glücklicher Genießer ist, wer das dann noch nicht einmal merkt.