Manchmal tut man Dinge im Leben, die ergeben keinen Sinn. Kategorie 1. Und manchmal tut man sie obendrein ohne Verstand. Ohne Verstand ist es dann, wenn man die Dinge tut, obwohl man weiß, dass das keinen Sinn ergibt. Kategorie 2.
Kategorie 1 lässt sich kaum umschiffen. Beispiel: In den Achtzigerjahren hieß es: Höchstens ein bis zwei Frühstückseier pro Woche. Denn im Eigelb stecke zu viel Cholesterin. Mein Vater hat sich strickt dran gehalten. Statt Ei lieber mehr Leberwurst, das stand irgendwie nicht auf der roten Liste.
Heute weiß man: Wenig Ei war sinnlos. Denn das ganze Zeug im Ei hat das Huhn vorab in seinem Hintern exakt so zusammengemixt, dass das Cholesterin von anderen Bestandteilen in Eigelb und Eiweiß sozusagen in seiner Wirkung neutralisiert wird.
Wusste man früher nicht - kann man meinem Vater keinen Vorwurf machen.
Etwas seltsam wäre es gewesen, mein Vater hätte weiter keine Eier gegessen mit der Begründung: „Ach, ich weiß auch nicht.“ Denn das wäre die Kategorie 2 gewesen. Und immer, wenn wir uns eingestehen müssen: „Ich befürchte, ich stecke in diesem Punkt in der Kategorie 2“, müssen wir dringend was ändern. Damit wir beim Zähneputzen in den Spiegel gucken können.
Noch ein Beispiel: die Sache mit dem Mineralwasser. Ich weiß, ich wiederhole mich, wenn ich sage: Wer stilles Mineralwasser kauft, statt aus der Leitung zu trinken, der schmeißt letztendlich Geld zum Fenster raus. Genauso gut könnte man eben den Kühlschrank die ganzen Abende über offen stehen lassen, weil die Lampe darin so gemütlich schimmert. Es ginge eben billiger.
Denn:
1. Wer seinen Bedarf an Mineralien allein mit Mineralwasser decken will, muss im Schnitt jeden Tag 100 Liter trinken. Insofern ist unser Mineralienhaushalt nicht auf Mineralwasser allein angewiesen.
2. Der kleine Teil an Mineralien, den wir über Wasser aufnehmen, lässt sich wunderbar übers Leitungswasser trinken. Denn Leitungswasser hat auch ordentlich Mineralien.
3. Keime haben im Leitungswasser schlechte Chancen. Das Wasser wird kalt und mit hohem Druck durch die Rohre transportiert. Stilles Mineralwasser wird in Flaschen mitunter durch halb Europa gekarrt. Steht es da mal zwischendurch in der Sonne (spätestens auf dem eigenen Balkon zu Hause), schmeckt das Wasser danach schnell so, wie die Flasche riecht. Nach Plastik. Und die strengen mikrobiologischen Grenzwerte beim Mineralwasser gelten nur für den Abfüllort, nicht für das Wasser, das am Ende bei uns ankommt.
Es gibt also keinen dringenden vernünftigen Grund, stilles Mineralwasser zu kaufen, wenn es einem um die Gesundheit geht. Weil wir das jetzt wissen, sitzen wir alle nun in Kategorie 2. Deshalb müssen aus Marketing-Sicht unbedingt Emotionen her. Damit wir uns in Kategorie 2 wohl fühlen.
Evian schreibt auf seiner Website: „Jeder Tropfen Evian beginnt seine Reise als Regen oder Schnee hoch oben in den unberührten Gipfeln der französischen Alpen und fließt durch eine riesige Mineralwasserschicht tief im Herzen der Berge, bevor er schließlich an der Quelle in Evian-Les-Bains zu Tage tritt. Diese fantastische Reise ist das Geheimnis hinter der Reinheit von Evian und dauert über 15 Jahre.“
Jetzt ist das Geheimnis also raus: 15 Jahre. Und am Ende von anderthalb Dekaden unterscheidet sich das Wasser an Reinheit nicht wesentlich im Vergleich zu unserem Leitungswasser, das nach seiner fantastischen Reise durch unser riesigen Rohrleitungsnetz ins Herz unserer gemütlichen Wohnungen sprudelt.
Tja, alle Mühe umsonst. Da kann man sich dann eigentlich auch die Lkw-Fahrt über die Autobahn sparen, um die Evian-Plastikflaschen in die deutschen Supermärkte zu chauffieren. Dann verrußen auch weniger die leider gar nicht mehr so unberührten Alpen.