„Ja, die Discounter können billig, weil auch der Service und der Umgang mit den Kunden bei den Discountern so billig und mies ist!“ Ist das so? Viele Jahre war ich mir sicher: ja.
„Entschuldigung, wo haben Sie denn die Bio-Eier?“
„Bei den Eiern.“
Sowas hat sich in meiner Wahrnehmung aber geändert. In der Berliner Lidl-Filiale am Oranienplatz etwa war ich jüngst regelrecht entzückt. An der Kasse fragte ich mit Blick auf das Display, das 1 Euro anzeigte:
„Hä? Sind die Himbeeren nicht 50 Prozent reduziert? Die Hälfte von 1 Euro 79 wären doch 90 Cent.“
Mir ging es dummerweise intuitiv ums Prinzip. Dem Kassierer dann um die Lidl-Ehre. Er sprang wortlos auf, flitzte zu den Himbeeren, warf sich mit wehenden Haaren zurück auf den Kassierer-Stuhl, tippte irgendwas ein und das Display zeigte: 1 Euro. Hmm. Der Kassierer wirkte verzweifelt.
Ich dachte: Der Mann musste mich hassen. Ich rechnete kurz und sagte: „Ömm, tut mir leid, ich will wegen 10 Cent nicht den ganzen Betrieb aufhalten. Ich dachte, das ginge schneller. Ist egal jetzt.“
Da sagte der junge Mann erleichtert: „Ok, danke, ich krieg das jetzt nämlich irgendwie nicht hin. Tut mir leid, dass Sie da jetzt Unannehmlichkeiten haben. Ich hoffe, Sie haben trotzdem einen schönen Abend.“
Das Beste war: Das war kein aufgesagter Marketing-Quatsch. Das meinte der ernst.
Jüngst in einer anderen Lidl-Filiale: Ein regelrecht aufgekratzter Kassierer Ende zwanzig widmete sich jedem Kunden auf individuell zugeschnittene Art. Einem kleinen Jungen, dessen von ihm ausgesuchte Quarkpackung irgendwie einen öligen Film auf dem Deckel hatte, gab er zwei Stücke Küchenrolle und frotzelte: „Hier, pass auf mit deinem Rucksack, wenn du dir solch eingesaute Packungen aussuchst. Tschüss.“ Der Junge hüpfte fröhlich strahlend davon.
Zwei schüchterne junge Frauen mit Kopftuch verwickelte er in einen unverfänglichen Smalltalk über ihre Grillparty-Pläne am Wochenende. Und mir als Linkshänder erklärte er, ich sei heute schon der zwanzigste, der seinen Kreditkartenbeleg so umständlich mit links unterschreibt.
Der freundliche Kumpel-Kaufmann um die Ecke. Das geht auch beim Discounter und den Supermärkten. Dazu muss man nicht unbedingt zum kleinen familiengeführten Traditionsgeschäft.
Das sind die größten Lebensmittelhändler
Edeka-Gruppe
Zu dem Unternehmensverbund zählt neben Namensgeber Edeka auch der Discounter Netto.
Bruttoumsatz: 55,9*
* In Milliarden Euro im Jahr 2017 in Deutschland
Quelle: Statista.com
Schwarz-Gruppe
Der größte Handelskonzern in Europa ist mit seinen Märkten Lidl und Kaufland in Deutschland "nur" die Nummer 2.
Bruttoumsatz: 39,83
Rewe-Gruppe
Zu dem Unternehmen aus Köln zählen neben Rewe auch Penny, Toom und der österreichische Supermarkt Billa.
Bruttoumsatz: 38,51
Aldi-Gruppe
Aldi Süd und Aldi Nord sind zusammen der erfolgreichste Dicounter-Konzern der Welt, in Deutschland reicht es für Platz vier.
Bruttoumsatz: 30,43
Metro-Gruppe
Zu dem Konzern zählen Real und die Metro-Cash-&-Carry-Märkte.
Bruttoumsatz: 13,14
Was die Verkäufer „auf der Fläche“ an Kundennähe hinkriegen, ist aber im Management der großen Ketten mitunter noch nicht angekommen. Nahbarer Umgang und der Kunde als König – keine Zeit für diesen Luxus.
Vergangene Woche meldete sich ein frustrierter Lidl-Kunde bei mir: „Sie schreiben doch immer diese Kolumne. Hier: Da bewirbt Lidl in seinem Mittwochs-Prospekt Gartenstühle. Aber in ganz Bielefeld sind die in sämtlichen Filialen ausverkauft. Am ersten Tag um 16 Uhr 30. Der Verkäufer war total nett. Er telefonierte für mich sämtliche Filialen in Bielefeld ab. Aber ohne Erfolg. Dann gab er mir einen Online-Gutschein. Ich solle die Stühle im Lidl-Online-Shop bestellen. Versandkostenfrei. Aber auch online waren die Stühle nicht mehr zu haben. Am ersten Tag der Aktion im Laden!“
Um dem nachzugehen, rief ich daraufhin bei der Lidl-Hotline an und wollte fragen, wie Lidl bei solchen Werbe-Flops seinen Kunden entgegenzukommen gedenkt. Doch mehrfach wurde ich aus der Warteschleife geworfen. Unerwartet viele Anrufe momentan angeblich. Soso. Wie bei den meisten Hotlines seit Kurzem. Kein Durchkommen. Das wäre bei Amazon einfach undenkbar. Wenn man dort innerhalb von sechzig Sekunden keinen Ansprechpartner am Telefon hat, muss wohl ein Blitz im Callcenter eingeschlagen sein.
Fünf Tage für eine Kundenanfrage
Lidl hingegen bittet um eine E-Mail an info@lidl-shop.de. Oje, oje. Also gut. Die automatische Antwort: „Liebe Kundin, lieber Kunde, vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir werden uns schnellstmöglich um Ihr Anliegen kümmern. Da uns derzeit außergewöhnlich viele Anfragen erreichen, kann dies bis zu fünf Tage dauern.“
Fünf Tage nimmt sich Lidl raus, um eine simple Kundenanfrage zu beantworten, die schon über die Hotline nicht möglich war. Eine Arbeitswoche! Zusätzlich frage ich die Pressestelle von Lidl an. Die Antwort sinngemäß zusammengefasst: Es ist bedauerlich, aber das etwas schon am ersten Tag ausverkauft sein kann, stehe ja schließlich auf den Handzetteln. Das Lidl-Management als Retter der Service-Wüste. Motto: Wir schreiben ja vorher hin, dass unser Service miserabel sein kann, was regen sich die Kunden auf?
Besonders schlimm daran: Der Online/Hotline-Service von Lidl ist nicht alleine schlecht. Beispiel: der Rewe-Lieferservice.
Da will ein neuer Kunde zum ersten Mal online bestellen und stellt fest: In seinem Liefergebiet sind Liefertermine erst übernächste Woche möglich. Alles andere ist ausgebucht. Kann das sein im Jahr 2018 in Mitteleuropa? Lebensmittel einkaufen und neun Tage warten? Auf Nachfrage des Kunden, wie das denn sein könne, kommt folgende wortwörtliche Antwort von lieferservice@rewe.de, die mir vorliegt: „Dass Sie Ihren gewünschten Liefertermin nicht auswählen können, liegt an der bereits ausgebuchten Lieferkapazität. Bitte wählen Sie einen anderen Zeitraum - vielen Dank.“
Mit anderen Worten: Wir halten Sie für einen Idioten, den wir am besten mit Es-ist-so-weil-es-so-ist-Antworten abspeisen. Denn wir von Rewe haben wirklich weder Lust noch Zeit, uns für unseren rückständigen Lieferservice zu rechtfertigen.
Solch eine Scheiß-egal-Antwort bei einem Neukunden! Fremdscham-Alarm. Wer sich solche Kundenbetreuer leistet, hat offenbar noch nie was von Amazon Fresh gehört.
Fehlt bei einer Fresh-Lieferung etwa ein Artikel (Beispiel: Vanilleeis), bekommt der Kunde ohne Diskussion einen 5-Euro-Gutschein und obendrein Ersatzlieferungen (Beispiel: Stracciatella) meist geschenkt. Und wochenlanges Warten ist dort einfach niemals Thema.
Aber einen Hoffnungsschimmer gibt es für die deutschen Supermarkt-Bürohengste: Amazon Metropolen-Schnelllieferservice Prime Now hat sich vergaloppiert. Die Zustellung innerhalb von sechzig Minuten ist seit einiger Zeit nicht mehr buchbar, obwohl der Blitzservice sogar noch im Hilfebereich aufgezählt und erläutert wird.
Nach Auskunft der auskunftsfreudigen Hotline hat Amazon dieses Angebot still und heimlich vorübergehend eingestellt – um den Service erst einmal in Ruhe zu optimieren. Denn die sechzig Minuten wurden nach Auskunft der Hotline vom Lieferanten zu häufig gerissen; und man wolle nicht versprechen, was man nicht halten kann. Jetzt also erstmal ein Zwei-Stunden-Fenster.
Ist ja nicht Lidl, die bei solch einem Angebot irgendwo ein kleines Sternchen hinschreiben würden: Kann sein, dass es nicht klappt. Also nicht wundern, wenn es Mist wird.
Oder Rewe: Lieber Kunde! Es ist so, weil es so ist.
Und so bleibt den deutschen Ketten ihr einzig großes Pfund zum Wuchern: ihre Mitarbeiter in den Filialen. Die hat Amazon nicht. Und diese Leute bieten gelassen und mit starken Nerven das, was hinter den Kulissen offenbar oft noch fehlt: Respekt vorm Kunden.
Update, 17. Mai:
Die Amazon-PR-Abteilung widerspricht mittlerweile der Aussage des Amazon-Kundenservice zum fehlenden Ein-Stunden-Fenster bei Prime Now: Der Service könne zwar nicht durchgängig angeboten werden, weil dafür einfach nicht genügend Lieferkapazitäten zur Verfügung stünden. Aber komplett eingestellt wurde der Superexpressservice nicht.
Meine Anmerkung: Bei mehreren Stichproben an unterschiedlichen Tagen über mehrere Wochen hinweg in Berlin wurde mir kein 60-Minuten-Fenster angeboten. Ich Pechvogel.