Werner knallhart
Einkaufswagen von Lidl Quelle: dpa

Kundenservice bei Lidl: Laden charmant, Hotline ignorant

Deutschland ist längst keine Service-Wüste mehr. Dank Firmen wie Amazon, die die anderen vor sich hertreiben. Im Vergleich geben Ketten wie Lidl und Rewe dennoch oft ein trauriges Bild ab. Und selbst Amazon kommt an seine Service-Grenzen.

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„Ja, die Discounter können billig, weil auch der Service und der Umgang mit den Kunden bei den Discountern so billig und mies ist!“ Ist das so? Viele Jahre war ich mir sicher: ja.

„Entschuldigung, wo haben Sie denn die Bio-Eier?“

„Bei den Eiern.“

Sowas hat sich in meiner Wahrnehmung aber geändert. In der Berliner Lidl-Filiale am Oranienplatz etwa war ich jüngst regelrecht entzückt. An der Kasse fragte ich mit Blick auf das Display, das 1 Euro anzeigte:

„Hä? Sind die Himbeeren nicht 50 Prozent reduziert? Die Hälfte von 1 Euro 79 wären doch 90 Cent.“

Mir ging es dummerweise intuitiv ums Prinzip. Dem Kassierer dann um die Lidl-Ehre. Er sprang wortlos auf, flitzte zu den Himbeeren, warf sich mit wehenden Haaren zurück auf den Kassierer-Stuhl, tippte irgendwas ein und das Display zeigte: 1 Euro. Hmm. Der Kassierer wirkte verzweifelt.

Ich dachte: Der Mann musste mich hassen. Ich rechnete kurz und sagte: „Ömm, tut mir leid, ich will wegen 10 Cent nicht den ganzen Betrieb aufhalten. Ich dachte, das ginge schneller. Ist egal jetzt.“

Da sagte der junge Mann erleichtert: „Ok, danke, ich krieg das jetzt nämlich irgendwie nicht hin. Tut mir leid, dass Sie da jetzt Unannehmlichkeiten haben. Ich hoffe, Sie haben trotzdem einen schönen Abend.“

Das Beste war: Das war kein aufgesagter Marketing-Quatsch. Das meinte der ernst.

Jüngst in einer anderen Lidl-Filiale: Ein regelrecht aufgekratzter Kassierer Ende zwanzig widmete sich jedem Kunden auf individuell zugeschnittene Art. Einem kleinen Jungen, dessen von ihm ausgesuchte Quarkpackung irgendwie einen öligen Film auf dem Deckel hatte, gab er zwei Stücke Küchenrolle und frotzelte: „Hier, pass auf mit deinem Rucksack, wenn du dir solch eingesaute Packungen aussuchst. Tschüss.“ Der Junge hüpfte fröhlich strahlend davon.

Zwei schüchterne junge Frauen mit Kopftuch verwickelte er in einen unverfänglichen Smalltalk über ihre Grillparty-Pläne am Wochenende. Und mir als Linkshänder erklärte er, ich sei heute schon der zwanzigste, der seinen Kreditkartenbeleg so umständlich mit links unterschreibt.

Der freundliche Kumpel-Kaufmann um die Ecke. Das geht auch beim Discounter und den Supermärkten. Dazu muss man nicht unbedingt zum kleinen familiengeführten Traditionsgeschäft.

Das sind die größten Lebensmittelhändler

Was die Verkäufer „auf der Fläche“ an Kundennähe hinkriegen, ist aber im Management der großen Ketten mitunter noch nicht angekommen. Nahbarer Umgang und der Kunde als König – keine Zeit für diesen Luxus.

Vergangene Woche meldete sich ein frustrierter Lidl-Kunde bei mir: „Sie schreiben doch immer diese Kolumne. Hier: Da bewirbt Lidl in seinem Mittwochs-Prospekt Gartenstühle. Aber in ganz Bielefeld sind die in sämtlichen Filialen ausverkauft. Am ersten Tag um 16 Uhr 30. Der Verkäufer war total nett. Er telefonierte für mich sämtliche Filialen in Bielefeld ab. Aber ohne Erfolg. Dann gab er mir einen Online-Gutschein. Ich solle die Stühle im Lidl-Online-Shop bestellen. Versandkostenfrei. Aber auch online waren die Stühle nicht mehr zu haben. Am ersten Tag der Aktion im Laden!“

Um dem nachzugehen, rief ich daraufhin bei der Lidl-Hotline an und wollte fragen, wie Lidl bei solchen Werbe-Flops seinen Kunden entgegenzukommen gedenkt. Doch mehrfach wurde ich aus der Warteschleife geworfen. Unerwartet viele Anrufe momentan angeblich. Soso. Wie bei den meisten Hotlines seit Kurzem. Kein Durchkommen. Das wäre bei Amazon einfach undenkbar. Wenn man dort innerhalb von sechzig Sekunden keinen Ansprechpartner am Telefon hat, muss wohl ein Blitz im Callcenter eingeschlagen sein.

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