Werner knallhart

Ladenschluss-Gesetz: Einkaufen wie im Mittelalter

Liest man die deutschen Ladenschluss-Gesetze, bekommt man Zweifel: Sind wir wirklich eine der führenden Wirtschafts-Nationen der Welt? Kleinkarierter kann Politik nicht sein.

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Deutschlands größte Lebensmittelhändler
Gute Zeiten für LebensmittelhändlerDie Lebensmittelhändler können größtenteils auf ein gutes Jahr zurückblicken. Bis auf wenige Ausnahmen verbuchten alle Unternehmen ein Umsatzwachstum - manche sogar im zweistelligen Bereich. Der Gesamtumsatz der zehn umsatzstärksten Händler in Deutschland lag bei rund 210 Milliarden Euro. Wobei ein Viertel davon allein auf den ersten Platz entfällt.Quelle: TradeDimensions, Lebensmittelhandel Deutschland 2014 Quelle: dpa
Bartels-Langness Quelle: PR
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Lekkerland
Metro-Gruppe Quelle: dpa

Lidl muss zu bleiben. Weil der Regionalexpress nicht langlaufend genug ist. Verstehen Sie nicht? Nun, das ist die Logik des deutschen Ladenschlusses. Von demokratisch legitimierten Paragraphenreitern uns allen so aufgedrückt:

Eigentlich wollte Lidl am Berliner Bahnhof Innsbrucker Platz auch gerne sonntags öffnen. Aber das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg wollte das nicht. Wahrscheinlich findet es, ausgestorbene Bahnhöfe passen besser zur sonntäglichen Ruhe in einer Millionenmetropole. Das Verwaltungsgericht hat das nun bestätigt. Denn im Berliner Ladenöffnungsgesetz (BerlLadÖffG) steht nun mal, dass Geschäfte an Bahnhöfen nur öffnen dürfen, wenn dort mindestens „langlaufende Regionalzüge“ verkehren.

Es kommt also nicht darauf an, ob es den Wunsch der Menschen gibt, am Sonntag dort einzukaufen. Es kommt auf die Länge der Fahrstrecke an, die die Regionalzüge zurücklegen auf ihrem Weg durch den Bahnhof hindurch. Ist doch logisch, könnte man sagen. Wer nur kurz Zug fährt, braucht ja keinen „Reisebedarf“ für unterwegs. Aber um Reisebedarf geht es gar nicht. Ist der Regionalexpress erstmal lang genug unterwegs, dürfen auch Weichspüler, Wischmops und Silberfischchenköder verkauft werden.

Was den Deutschen beim Einkauf wirklich wichtig ist

Das wäre so, als wenn jemand verfügte: Der Schwimmbad-Kiosk darf erst dann Pommes verkaufen, wenn jeder Badegast zehn Bahnen gekrault ist.

Das ist natürlich Bevormundung. Und das in einer Stadt, in der das Rauchen in Kneipen erlaubt ist, weil Passivrauchen Ausdruck von Berliner Freiheit ist.

Gut, in Bundesländern wie dem Saarland und Bayern müssen die Geschäfte sogar an Werktagen um 20 Uhr schließen. Aber in diesen Ländern gibt es ja auch keine richtigen Metropolen. Und zumindest in den weltoffenen Städten wollen die Menschen ihren Tagesrhythmus nun einmal selber bestimmen und nicht nach der Zeit der Hauptgottesdienste richten.

Aber ob Sie es glauben oder nicht: Bei der Frage, wann wo am Sonntag welche Geschäfte öffnen dürfen, hat in Deutschland sehr wohl die Kirche ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Wo kämen wir denn dahin, wenn die Menschen irgendwann am Sonntag nicht mehr in den Gottesdienst gingen, sondern stattdessen ausschlafen, gemütlich frühstücken und am Ende womöglich noch durch Geschäfte bummeln gingen? Dann gute Nacht, Deutschland.

Deutschlands teuerste Einkaufsstraßen
Platz 10Die Fußgängerzone Grimmaische Straße in Leipzig rangiert mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 120 Euro pro Monat auf dem zehnten Platz der teuersten Shoppingmeilen Deutschlands. Quelle: dpa
Platz 9Auf den Nürnberger Einkaufsstraßen Ludwigsplatz / Hefnersplatz / Karolinenstraße liegen die durchschnittlichen Sätze für ein Ladenlokal bei 160 Euro pro Quadratmeter. Quelle: dpa
Platz 8Bekannt für Politklüngel und Hochdeutsch: In Hannover kostet eine Gewerbeimmobilie etwa auf der Georgstraße im Schnitt 195 Euro pro Quadratmeter. Quelle: Creative Commons-Lizenz
Platz 7 / 6Auf der Königstraße in Stuttgart tummeln sich zur Spitzenzeit 11.335 Personen. Mit durchschnittlich 250 Euro pro Quadratmeter Ladenfläche müssen Händler hier rechnen. Quelle: dpa
Platz 7 / 6Auch auf der Kölner Schildergasse bezahlen Händler 250 Euro für den Quadratmeter Ladenfläche. Quelle: dpa
Platz 5Auf der Spitaler Straße in Hamburg tummeln sich zu Spitzenzeit 9840 Personen. In Sachen Ladenmiete sind bis zu 275 Euro pro Quadratmeter fällig. Quelle: Gemeinfrei
Platz 4Rang vier geht an die Kö in Düsseldorf. Wer hier seinen Laden neben Armani, Gucci oder Chanel platzieren will, legt dafür im Schnitt 285 Euro monatlich pro Quadratmeter hin. Quelle: dpa/dpaweb

Und so steht im Ladenschlussgesetz, das etwa für Bayern gilt, für Kur- und Erholungsorte: „Bei der Festsetzung der Öffnungszeiten ist auf die Zeit des Hauptgottesdienstes Rücksicht zu nehmen.“ Teilen sich Supermarkt und Kirchen da den Parkplatz?

Oder: „Sonn- und Feiertage im Dezember dürfen nicht freigegeben werden.“ Will da jemand nicht wahrhaben, dass zu keiner Zeit im Jahr die Menschen offene Geschäfte am Sonntag besser gebrauchen könnten, als im Weihnachts-Trubel? Oder soll der Konsumrausch eingedämmt werden? Da können wir alle ja froh sein, dass der Gesetzgeber offenbar noch nicht gemerkt hat, was für ein wildes kapitalistisches Kirmes-Treiben an den Adventssonntagen auf den tausenden von Weihnachtsmärkten herrscht. Die wären sonst als erstes dicht.

Ladenschluss-Gesetze zum Schutz der Angestellten?

Bei der Festlegung von verkaufsoffenen Sonntagen und Feiertagen müssen die Behörden vorher die kirchlichen Stellen anhören, „soweit weite Bevölkerungsteile der jeweiligen Kirche angehören.“ Wieso muss das mit der Kirche eigentlich extra im Gesetz stehen? Ein guter Volkvertreter lässt sich doch gerne beraten von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen. Da fragt man den Einzelhandel, da fragt man Kirchenvertreter und Vertreter anderer Religionen, Verkehrsplaner, Event-Manager, Gastronomen, Sportvereine und so weiter. Warum stehen dann nicht alle im Gesetz?

Das mit der Kirchenanhörung gilt übrigens nicht für den 1. Mai und den 3. Oktober. Da wird die Kirche nicht gefragt. Aber was, wenn die heidnischen Feiertage auf einen Sonntag fallen? Man mag es sich gar nicht vorstellen.

Muttertag ist mal auf Pfingstsonntag gefallen. Hohoho, das war vielleicht was. 2008 war das. Durften da Blumen in Baden-Württemberg verkauft werden, wie sonst auch am Sonntag? Durfte man da bitte schön seiner lieben Mutter ein paar frische Blumen schenken? Natürlich nicht. Gemeinden, die das erlauben wollten, wurden per Gericht zurückgepfiffen. So saßen dann Mütter und Kinder vor leeren Vasen. 2035 wird das wieder spannend. Mal sehen, wie weit wir dann sind.

Und damit Händler sonntags nicht vor Geschäftsvergnügen überschnappen, hat man sich in Stuttgart noch etwas Feines ausgedacht. So klingt der Humor der schwäbische Gesetzgeber: Zeitungen und selbst erzeugte landwirtschaftliche Produkte dürfen an Sonntagen sechs Stunden lang verkauft werden. Milch, Brot und Blumen aber nur drei Stunden lang.

Wirklich wahr. Witzig wäre auch: Alles, was rot ist, darf nur eine Minute lang verkauft werden. Naja.

Wäre es Griechenland, würden wir mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf schütteln und sagen: „Kein Wunder, dass dieses Land am Boden liegt.“

Aber wir sind es, die sich diese hinterwäldlerischen Ladenschluss-Gesetze leisten. Angeblich zum Schutz der Angestellten. Aber es klingt doch eher nach aufgezwungener Sonntagsruhe. Denn es ist doch wirklich Siebzigerjahre-Denken, dass längere Öffnungszeiten automatisch mit der Ausbeutung der Mitarbeiter einherginge. Das ließe sich alles fair regeln. Und nicht wenige Mitarbeiter würden sich über die Wochenend-Zuschläge freuen.

Gucken wir mal nach Schweden, wo man Gesetze meist unideologisch ausbaldowert nach der obersten Maxime: Was ist gut für die Menschen? Und siehe da: Es funktioniert!

Da öffnen dann am Sonntag einige Warenhäuser, aber nur am Nachmittag für ein paar Stunden. Weil sich mehr nicht lohnt. Da haben dann einige Supermärkte auf, aber nicht alle, weil es sich nicht für alle überall lohnt. Und weil ein Sonntag, an dem man einkaufen kann, keine Sensation ist wie in Deutschland, ist sonntags in den Fußgängerzonen auch keine Volksfeststimmung sondern einfach ein schöner Tag, an dem die einkaufen, die gerne einkaufen möchten, und an dem nicht einkauft, wer nicht möchte.

Gehen Sie mal an einem Sonntag an den Berliner Ostbahnhof. Das ist so ein Bahnhof mit Zügen, die superduper weit fahren, da hat dann auch Rewe auf. Und da geht es an den Kassen zu, als würde man einen Hühnerschlegel in ein Becken ausgehungerter Piranhas halten. Der Bedarf ist da. Die Menschen wollen sonntags einkaufen. Und müssen dafür extra mit der S-Bahn anreisen, weil alle anderen Märkte geschlossen sind. Rewe freut´s und Lidl guckt blöd. Rewe hat halt die längeren Züge. Das ist soziale Marktwirtschaft in Deutschland 2015.

Hoffentlich kriegt das kein Grieche mit. Denn in den neuen europäischen Vereinbarungen mit Griechenland findet sich die Forderung: Ausweitung der Ladenöffnungszeiten auf Sonntag.

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