Ich habe so eine Special-T-Maschine. Und ich denke darüber nach, sie in den Keller zu bringen. Um das zu verstehen, müssen Sie Folgendes wissen:
1. Ich habe ein Faible für Neues und gebe Innovationen neugierig eine Chance.
2. Ich trinke gerne mal einen Kaffee - aber Tee könnte ich den ganzen Tag trinken. Gerade jetzt, wenn es wieder kalt wird draußen.
3. Ich mache aus Tee keine Wissenschaft. Ich mag Jasmin-Tee, Earl Grey, Pfefferminz und Gewürztees mit Zimt und Süßholz und mit viel Milch. Aber fragen Sie mich nicht nach Second Flush und Broken sonstwas und so weiter. Und Ziehzeiten muss ich auf der Packung nachlesen.
Zusammengefasst: Auf den ersten Blick bin ich der perfekte Special-T-Kunde. Und trotzdem steht Special T bei mir auf der Kippe. Warum? Kurz gesagt: Das Tee-Erlebnis stimmt irgendwie nicht. Länger gesagt wie folgt:
Es gibt ja Leute, denen gelingt im Leben vieles besser, als sich stilvoll einzukleiden. Was aber nicht heißt, dass es ihnen egal ist, wenn ihre Garderobe anderen Menschen auffällt als gewollt, aber dämlich. Also gehen sie ins KaDeWe und sagen zum Verkäufer: „Bitte einmal ausstatten von oben bis unten. Business, elegant-sportlich. Danke.“ Da kann man nicht sehr viel falsch machen, wenn man sich das leisten kann. Das Blamage-Potenzial geht gegen null.
Es gibt Leute, die bringen an ihrem Geburtstag zwei Auftau-Schwarzwälder-Kirsch von Coppenrath & Wiese mit ins Büro und sagen: „Meine eigenen Backkünste wollte ich euch nicht antun.“ Und keiner wird denken: Faule Sau!
Und so ist es auch mit den Kaffee-Kapseln. Ob ich nun Bohnen oben in meine 1500-Euro-Maschine fülle, die diese dann auf Knopfdruck sensorgesteuert mahlt und siedendes Wasser durch das Mehl jagt, oder ob Nestlé die Bohnen mahlt, in eine 35-Cent-Nespresso-Kapsel füllt, ich die Kapsel in die 99-Euro-Maschine lege: Irgendwie ist es in beiden Fällen einfach eine Maschine, die den Job erledigt. Wie schon damals beim Filterkaffee mit dem hängenden Filter mit Tropfverschluss. Kaffee ist seit jeher ein Automaten-Getränk. Dass es deshalb an einem Kaffee aus Nespresso-Kapseln kaum etwas zu meckern gibt, merkt man daran, dass Kritiker sich in ihrer Not auf die energieverschwenderischen Alu-Kapseln stürzen.
Aber jetzt Special T. Der Kapsel-Tee, der von Nestlé jetzt in der Herbstzeit gerade groß in einer TV-Kampagne beworben wird. Dieser Tee wird zubereitet wie ein Kapsel-Kaffee. In einer speziellen Maschine, die sogar noch mehr kann als ein Gerät für Nespresso-Kapseln. Weil Tee eben nicht gleich Tee ist, erkennt die Special-T-Maschine (rund 100 Euro) die Kapsel (37 Cent) an ihrer Farbe und stellt den Brüh-Vorgang automatisch darauf ein. Mitunter presst sie erstmal einen kleinen Schluck heißen Wassers in die Kapsel, hält dann ein paar Sekunden inne, lässt den Tee ziehen und macht dann weiter. Es dauert rund anderthalb Minuten, bis die Tasse Tee dampfend und duftend und fertig zum Trinken vor einem steht. Länger braucht es nicht. Ein industrielles Tee-Wunder!
Jede Tasse Special T schmeckt so perfekt, so rund. Nichts sticht hervor. Keine Nuance säuft ab. Ein Geschmack kreiert von einem Lebensmittel-Multi.
Wo bleibt die Tee-Zeremonie?
Und jetzt frage ich Sie: Wo bleibt da die Tee-Zeremonie? Diese Frage schoss mir regelrecht ins Mark, als ich darüber nachdachte, meiner Schwester (passionierte Tee-Trinkerin und Kaffee-Verächterin) das Special-T-System zu Weihnachten zu schenken. Ich spürte irgendwie: Sie würde es hassen. Sie liebt ihre Schublade mit den ganzen Teedosen, die sie sich aus aller Welt zusammengesammelt hat. Sie liebt es, im Teeladen an den dutzenden Sorten zu schnuppern, sie liebt es, eine Kerze im Stövchen anzuzünden, den Tee mit mehreren Versuchen auszutarieren und zu erforschen, wie heiß das Wasser sein muss und nach wie viel Sekunden das Teenetz aus der Glaskanne raus muss. Mit anderen Worten: Tee trinken ist für sie mehr, als ein Heißgetränk zu konsumieren. Tee ist ein kleines bisschen Handwerk zwischendurch. So wie Plätzchen backen. Die werden nie perfekt, aber schmecken nach einem ehrgeizigen Sonntagnachmittag.
Bin ich im Vergleich zu ihr ein bloßer Tee-Wegschlucker? Ich koche gerne mit Familie und Freunden, ich suche mir meinen neuen Lieblingswein gerne bei schwipsigen Weinproben aus. Warum sollte ich weiter Special T nutzen?
Ich glaube, Nestlé hat selbst erkannt: Der perfekte Designer-Tee ist irgendwie seelenlos. Gucken Sie mal auf deren Internet-Seite www.special-t.de. Dort drückt man emotional kräftig auf die Tube: „Wir haben den legendären Earl Grey durch eine Kombination der zwei edlen Teesorten Keemun und Ceylon mit subtilen Bergamottenoten neu interpretiert. Die Schale dieser wertvollen Frucht stammt aus der italienischen Region Kalabrien… Leicht, mit diskreten, schnell verklingenden Tannin-Noten.“ Ach ja, solch ein salbungsvolles Gequatsche kennt man ja schon aus den Nespresso-Läden, äh, „-Boutiquen".
Und die Grafiken! Man fühlt sich eingetaucht in eine psychedelische Zauberwelt voller geheimnisvoller Blüten, Ranken, Früchten, Bäumen, durch die Models in wallenden Gewändern schleichen wie im Rausch. Man fragt sich: Was haben die denen in den Tee geträufelt?
Aber schneiden Sie dann mal so eine Kapsel auf. Man blickt in einen Hightech-Bio-Brei aus nassem Grünzeug, Plastikstöpseln und Metall. Als hätte man Alien-Brut geschändet. Gar nicht idyllisch und wunderbar.
Special T zu trinken, ist, als wenn man sich ein gerahmtes Ikea-Riesenfoto von Manhattan über die Couch hängt. Es wirkt beeindruckend, ist aber irgendwie seelenlos. Selbstgemacht wäre einfach schöner.
Special T einmotten oder noch eine Saison weitermachen? Hmm. Ich glaube, ich bestelle noch einmal Kapseln nach. Denn ich gebe einer Innovation wieder neugierig eine Chance: Gestern schreibt mir Nestlé, die Kapseln der ganz neuen Generation sind jetzt mit 50 Prozent weniger Karton verpackt (vorher kam jede Kapsel in einer lächerlichen erschütterungsfesten Pappschublade aus der Packung) und die Kapseln - Achtung - sind jetzt nicht mehr aus Aluminium, sondern aus Polypropylen, also aus Plastik. Und ich will jetzt unbedingt wissen: Warum geht mit Tee, was bei Nespresso nicht geht? Kapseln ohne Alu. Also noch eine Runde Special T.
Aber ich glaube: Dann muss wirklich wieder Zeit sein für meine Teekanne. Wo ist die eigentlich?