Steiff-Tiere im Schaufenster, die mit leerem Blick winken wie bekifft. Das ist Advent in der deutschen Innenstadt. Welche weltbewegende neue Weihnachts-Idee hatten die Einzelhändler eigentlich in den vergangenen zwanzig Jahren? Ah, ich weiß: Statt Glühbirnchen stecken nun LED-Lämpchen in den Lichterketten.
Angenommen, ich würde mich dazu entscheiden, einer meiner Nichten eines dieser Kuscheltiere zu schenken. Sagen wir das Lamm Linda, wollweiß, liegend, von Steiff. Weil meine Nichte ein Foto von diesem Ding ausgeschnitten und auf ihren Wunschzettel geklebt hatte und meine Schwester sagte: "Mach ruhig. Ein Lamm haben wir zwar schon, aber stehend." Wie würde der Einkauf an einem Samstag im Dezember laufen?
Aufstieg mit Schattenseiten: Wie funktioniert Amazon?
Jeff Bezos gründete amazon.com im Jahr 1995. Den deutschen Ableger amazon.de gibt es seit 1998. Groß wurde das Unternehmen mit dem Versand von Büchern, Videos und Musik-CDs. Seit dem Jahr 2000 können auch fremde Händler ihre Produkte bei Amazon anbieten. Mittlerweile macht der Konzern mit Sitz in Seattle zwei Drittel seines Umsatzes mit Waren wie Computern, Digitalkameras, Mode oder Lebensmitteln. Amazon ist auch einer der Vorreiter bei elektronischen Büchern sowie Musik- und Video-Downloads. Zweites großes Standbein neben dem Handel sind die Webservices mit dem Cloud Computing.
Amazon fährt eine riskante Wachstumsstrategie: Der Konzern lockt die Kunden mit günstigen Preisen sowie einer schnellen und vielfach kostenlosen Lieferung. Zudem investiert er kräftig, in die Versandzentren wie auch in die Entwicklung neuer Technologie. Dieser Wachstumskurs hat jedoch eine Kehrseite: Die Gewinnmargen sind eher dünn. Im vergangenen Jahr machte Amazon einen Verlust von 39 Millionen Dollar. Im ersten Quartal blieben unterm Strich 108 Millionen Dollar (78 Millionen Euro) – bei einem Handelsumsatz von 19,7 Milliarden Dollar.
Es ist der größte Auslandsmarkt. Im vergangenen Jahr setzte Amazon hierzulande 8,7 Milliarden Dollar um, umgerechnet sind das derzeit etwa 6,5 Milliarden Euro. Damit lag Deutschland noch vor Japan mit 7,8 Milliarden Dollar und Großbritannien mit 6,5 Milliarden Dollar. Der wichtigste Markt überhaupt ist allerdings Nordamerika mit 34,8 Milliarden Dollar. Amazon wuchs in seiner Heimat zuletzt auch deutlich schneller als im Ausland.
Gemessen am Einzelhandelsumsatz insgesamt ist die Rolle von Amazon überschaubar. Etwa 1,5 Prozent trägt Amazon zum Branchenumsatz von fast 428 Milliarden Euro bei. Das meiste sind jedoch Lebensmittel. Betrachtet man den Online-Handel von Unterhaltungselektronik bis hin zu Büchern, sieht die Sache ganz anders aus: Amazon hält hier fast ein Viertel des Marktes.
In Deutschland unterhält das Unternehmen Logistikzentren in Graben bei Augsburg, Bad Hersfeld, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim und Koblenz. Dort arbeiten nach Auskunft von Amazon etwa 7700 fest angestellte Vollzeitmitarbeiter. In Spitzenzeiten wie dem Weihnachtsgeschäft kommen in jedem dieser Zentren Tausende Saisonkräfte hinzu. Weltweit arbeiteten zum Jahreswechsel 88.400 Festangestellte im Unternehmen.
Amazon selbst äußerte sich auf Nachfrage bisher nicht dazu, ob seit der Ausstrahlung der ARD-Doku weniger bestellt wurde. Doch ein Vergleich legt nahe: Zu große Sorgen muss sich Amazon wohl nicht machen. Auch über den deutschen Rivalen Zalando tobte bereits ein - wenn auch kleinerer - Sturm der Aufregung nach Berichten über schlechte Arbeitsbedingungen. Am rasanten Umsatzwachstum änderte das nichts. Von 2011 auf 2012 verdoppelte Zalando seine Erlöse von 510 Millionen auf 1,15 Milliarden Euro.
Das ist schwer abzuschätzen. Die Empörung hat auch die Politik erreicht und es ist Wahlkampf. Die Vorwürfe wegen der schlechten Behandlung von Leih- und Zeitarbeitern richten sich aber primär gegen die Leiharbeitsfirmen. Denen droht das Bundesarbeitsministerium inzwischen mit einer Sonderprüfung. Die Firmen selbst äußern sich nicht. Die Bezahlung bei Amazon entspricht aber wohl den gültigen Standards. Mit einem Bruttostundenlohn von mindestens 9,30 Euro zahlt Amazon mehr als den gesetzlichen Mindestlohn für Zeitarbeiter, der derzeit im Westen bei 8,19 Euro und im Osten bei 7,50 Euro liegt.
In Großbritannien gab es im vergangenen Jahr eine Debatte darüber, wie sich Amazon und andere US-Konzerne mit legalen Tricks vor dem Steuerzahlen drückten. Ein Amazon-Vertreter musste vor einem Ausschuss des Parlaments erscheinen und wurde dort von den Parlamentariern vor laufenden Kameras in die Mangel genommen. In den USA hatten sich Mitarbeiter darüber beschwert, dass sie im heißen Sommer in unklimatisierten Lagerhallen schuften mussten. Nach US-Medienberichten erlitten mehrere Beschäftigte Schwächeanfälle. Amazon reagierte und rüstete Klimaanlagen nach.
Online so.
10 Uhr: Ich mache mir zuhause einen Espresso.
10.02 Uhr: Ich schnappe mir mein Smartphone, setze mich mit dem Espresso in der linken Hand in den Sessel, lege die Füße hoch, öffne die Amazon-App mit der rechten Hand und suche nach Steiff Lamm. Es erscheinen Steiff Träum Süß Lamm, Boeky Lamm liegend, Lamm Linda stehend, Luzie Lamm, Lamby Lamm und noch ein paar andere Schafbaby-Varianten. Und auch Linda Lamm wollweiß liegend. 27 Euro 99. Ich klicke auf "in den Einkaufswagen", dann gehe ich zur virtuellen Kasse und wähle meine eigene Packstations-Adresse. Und weil ich zwar mit Liebe, aber ohne Fingerspitzengefühl mit Geschenkpapier umgehe, klicke ich auf "als Geschenk verpacken" für 2 Euro 99 extra und auf "jetzt kaufen". 30 Euro 98 inklusive Versand. Anfang der Woche würde das Vieh bei mir ankommen.
Die Durchwahl ist 459
10.04 Uhr: Fertig. Ich nippe zum ersten Mal am Espresso. Am Montag oder Dienstag hole ich Linda aus der Packstation um die Ecke. Das kostet mich rund fünf Minuten oben drauf.
Aber Weihnachten war ja traditionell eigentlich das Fest der Einzelhändler. Also, angenommen ich wäre so tollkühn, in ein Geschäft zu gehen, damit die Innenstädte nicht aussterben. Wie würde das laufen?
10 Uhr: Ich mache mir einen Espresso und öffne nebenher schnell die Internetseite von Galeria Kaufhof auf dem Smartphone. Wenn dort schon immer die Kuscheltiere psychedelisch winken, werden sie da ja wohl auch zu kaufen sein. Ich suche nach Steiff Lamm und finde Lamm Linda in wollweiß. Preis: 34 Euro 90. Oh! Der Versand käme noch mal auf 3 Euro 95. Aber egal, ich will ja ins Geschäft. Ich suche mir online die Telefonnummer der Kaufhof-Filiale am Alexanderplatz heraus. "Ich würde gerne wissen, ob ein bestimmtes Kuscheltier vorrätig ist. Können Sie mich bitte...". "Selbstverständlich. In der Spielwarenabteilung ist gerade besetzt. Wollen Sie es selber versuchen zwischendurch?" Die Durchwahl ist 459. Ich habe nichts zu schreiben. 459, 459, 459, 459. Ich lege auf und wähle die Durchwahl an. Wahrhaftig: besetzt.
10.05 Uhr: Ich will es riskieren. Das pure Einzelhandels-Abenteuer. Ich ziehe mir Schuhe, Daunenjacke und Schal an, denn draußen sind es knapp über null Grad.
10.06 Uhr: Ich trinke den Espresso und verlasse das Haus. Zu diesem Zeitpunkt wäre der Einkauf bei Amazon schon längst abgeschlossen gewesen.
10.14 Uhr: Ich erreiche die U-Bahnstation. Die U8 zum Alexanderplatz kommt in 2 Minuten. 459: besetzt.
10.16 Uhr: Die U-Bahn ist vollgestopft mit Shoppern. Es sind gefühlt 20 Grad im Waggon.
10.18 Uhr: Meine Daunen sind irgendwie nicht atmungsaktiv! Ich öffne meine Jacke.
10.21 Uhr: Ich verlasse die Bahn am Alexanderplatz, stecke mir meine In-Ear-Kopfhörer rein, verzichte auf Musik und lasse mich von den strömenden Menschenmassen an die Erdoberfläche spülen. Die Kälte zieht mir unter den Pulli. Ich schließe meine Daunenjacke und wähle 459: besetzt.