Immer, wenn wir anderen uns Gewohnheiten und Lebensweisen aufstülpen wollen, müssen wir uns fragen: Warum eigentlich?
In unseren Breiten herrscht zum Glück ganz überwiegend Konsens, dass es nicht in Ordnung ist, anderen beim Vorbeigehen einfach so die Faust ins Gesicht zu schlagen. Solche Werte dürfen mit Verve aufgestülpt werden, dass es nur so ploppt.
Dann aber gibt es Leute, die bei belanglosen Geschmacksachen ihre eigenen Angewohnheiten über die der anderen stellen und andere Routinen verachten: Wer Weißweinschorle bestellt, habe keine Ahnung von Wein (Quatsch), wer Berliner Weiße trinkt, sei kein echter Berliner (der echte Berliner ist mittlerweile der zugezogene) und wer Weißwurst nach soundsoviel Uhr isst, muss ein Preuße sein (was für viele ein Kompliment ist).
So traut sich so mancher im Flugzeug nicht, Tomatensaft zu ordern, obwohl ihm über den Wolken danach gelüstet. Und das nur, weil der Tomatensaft an Bord irgendwie das Prädikat „peinliches Wenigflieger-Highlight“ abbekommen hat. Wobei sowohl wenig zu fliegen als auch Tomatensaft trinken (im Gegensatz zu Zuckercola) von wahrer Vernunft zeugt.
Und mit dieser Anmaßung, anderen seine eigenen Gewohnheiten und Traditionen aufstülpen zu wollen, erklärt sich auch der Lebkuchen-Knatsch.
Es gibt Zeitgenossen, die dem Handel einen Vorwurf machen: „Muss das sein, dass Sie den Menschen die Weihnachtszeit kaputt machen?“ Ach, Gottchen. Das ist so, als würde man BMW den Vorwurf machen: „Müsst ihr eure Autos so oft in Silbermetallic lackieren? Was ist mit meiner Lieblingsfarbe gelb?“
Der Handel bietet Lebkuchen im Spätsommer an, weil die Leute sich im Spätsommer nach Lebkuchen reißen. Und zwar mehr als in der Weihnachtszeit. Tatsache! Ein Drittel ihrer Einnahmen mit Weihnachtsgebäck erzielen Handel und Hersteller im September.
Denn im Advent backen die Leute ihre Kekse selber und kaufen weniger Fertiges. Und weil es ein Dreivierteljahr weder Lebkuchen, noch Zimtsterne, noch Spekulatius zu kaufen gab, freuen sich Millionen Kunden jetzt im September über die frischen Kekse. Sie freuen sich. Lasst sie sich freuen!
Es mag christliche Kindergärten und Schulen geben. Christliche Supermarktketten aber nicht. Der Handel ist deshalb auch nicht der Knecht Ruprecht der kirchlichen Traditionswahrer. Zum Glück!
Dass es Menschen gibt, die über Weihnachtsmärkte laufen und die Leute belehren, der Schokoweihnachtsmann müsse eigentlich ein Schokonikolaus sein, deshalb sei die auf der Alufolie aufgedruckte rote Zipfelmütze falsch, ist als schrullige Exzentrik genauso zu tolerieren, wie der Konsum von Lebkuchen völlig losgekoppelt von jedem christlichen Ansatz. Jeder darf mit seinen Weihnachtstraditionen machen, was er will. Ist das nicht schön? Und kann man seinen Nächsten lieben, wenn er im Sommer eine Marzipankartoffel isst? Ich meine ja.